Arbeitswelten 2050: Die Arbeit von morgen verstehen

Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir können nach Trends und Entwicklungen suchen, die in Zukunft wichtig werden. Der "Zukunftskreis" des Bundesforschungsministeriums tut genau dies: mit wissenschaftlichen Methoden Zukunftstrends identifizieren und ihre Auswirkungen beschreiben. In der Serie "Arbeitswelten 2050" präsentieren Mitglieder des Zukunftskreises ihre Sicht auf die Zukunft der Arbeitswelten.

Ein hoher Grad an Digitalisierung, Arbeiten im Home-, Smart- oder Coworking-Office, Internationale Vernetzung und flexible Aus- und Weiterbildung: das ist die Welt von morgen. Eine hohe Lebensqualität und eine gelungene Work-Life-Integration wünschen sich die jungen Generationen im Arbeitsleben. Um die Dynamiken des künftigen Arbeitsmarktes zu verstehen, müssen alle Bereiche der Gesellschaft angeschaut werden, denn Arbeit ist ein Querschnittsthema.

Die Folgen von Digitalisierung und demografischem Wandel

Der Arbeitsmarkt ist in dauernden Wandel begriffen. Neben den Auswirkungen der aktuellen Pandemie stellen rasante Veränderungen, die vor allem durch die Digitalisierung und den demografischen Wandel angetrieben werden, Regionen und Nationen vor neue Herausforderungen.

Vor allem durch Digitalisierung und technologischen Fortschritt wird der Arbeitsmarkt unmittelbar, rasch und konkret verändert. Während in einigen Sektoren die Nachfrage sinkt, steigt sie in anderen. Die aktuelle Krise hat zudem den mittleren technologischen Fortschritt der Unternehmen beschleunigt, und dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen.

Urbanisierung, Migration und die sich verändernde Rolle der Frau verändern die demografische Zusammensetzung der Gesellschaft, die vor allem in den entwickelten Teilen der Welt immer multikultureller und älter wird. Neben Pluralitätsgewinnen können damit auch Soldaritätsverluste und die Verschärfung der Unterschiede zwischen sozialen Klassen verbunden sein.

All diese Faktoren führen dazu, dass unser System im Hinblick auf mögliche Zukünfte grundsätzlich überdacht werden sollte. Dabei ist es sinnvoll, eine "große" von einer "mittleren" Perspektive zu unterscheiden.

Sechs übergreifende Dimensionen der Veränderung

Die sechs wichtigsten Aspekte zum Verständnis der "großen" Perspektive sind:

1. Re-Globalisierung,

2. Glokalisierung,

3. Multi-Resilienz

4. Zukünftebildung,

5. Inter- und Transdisziplinarität,

6. Nachhaltigkeit.

Alle sechs greifen immer stärker ineinander. Re-Globalisierung bedeutet, dass sich bisherige Globalisierungsmuster in Richtung De-Globalisierung verändern und Arbeit wieder stärker an ihre Ursprungsorte zurückkehrt statt ausgelagert zu werden. Glokalisierung heißt, dass Arbeit stärker auf lokale Bedürfnisse angepasst und zwischen globalen und lokalen Anforderungen ausbalanciert wird.

Multi-Resilienz heißt, dass Arbeit als Faktor einer umfassenderen gesellschaftlichen Entwicklung zu mehr Widerstandsfähigkeit gegen zunehmende "Krisenbündel" oder "Bündelkrisen" konzipiert wird und damit über ihre eigene, reine Zweckhaftigkeit hinausgeht. Zukünftebildung bedeutet, dass innovative Aus- und Weiterbildungskonzepte wie das UNESCO-"Futures Literacy"-Konzept mit seinen angewandten "Future-Literacy-Laboratorien" an Bedeutung gewinnen, weil sie ein umfassendes Mitdenken der Arbeitenden an gewollten und nicht gewollten Zukünften ermöglichen.

Inter- und Transdisziplinarität bedeuten, dass auf einer soliden Fachwissen-Basis zunehmend darüber hinaus gehende Fähigkeiten zur Zusammenführung verschiedener Aspekte komplexer Probleme, darunter insbesondere technologische Steuerungsprobleme, vonnöten sind, die systematisch organisiert werden müssen. Und Nachhaltigkeit bedeutet, dass die Arbeit wie auch ihre Produkte weg von "Verbrauchen und Ersetzen" hin zu "Gebrauchen und Erneuern" gehen sollten.

Wenn man diese sechs Dimensionen zusammennimmt, entsteht ein Gefühl für das Managen von Arbeit, das sich – als Ganzes – bereits seit einigen Jahren im "Bauchgefühl" vieler Manager und Personalleiter angekündigt und festgesetzt hat, nun aber systematisiert werden sollte. Damit ist ein Gefühl für den "großen" Veränderungsprozess für Arbeit verbunden. Das "große" Gefühl wird gerade in Zeiten des Systemumbruchs wichtiger.

In der Praxis unmittelbar spürbare Dimensionen der Veränderung

Dazu kommt die "mittlere" Perspektive: die noch unmittelbarer angewandte Dimension der Veränderung. Sie muss in einer Mischung aus "großer" und Tagesperspektive gesteuert werden. Dabei spielen sowohl praktische wie auch ideologische Elemente eine Rolle. Durch die Automatisierung, aber auch durch Bewegungen wie den "Transhumanismus", der Menschen mit Maschinen zu Cyborgs verbinden will und jedenfalls den Sprung von der Mensch-Maschine-Interaktion zur Mensch-Maschine-Konvergenz vorantreibt, werden zahlreiche Berufsbilder komplett verändert werden.

Egal, ob morgen viele Aufgaben von Maschinen, künstlicher Intelligenz und Robotern erledigt werden oder diese nur als Hilfsmittel dienen werden, fest steht, dass diese Veränderungen nicht nur Auswirkungen auf das Unternehmen, sondern auch auf das gesamte gesellschaftliche Leben haben werden. So werden in Zukunft manche Berufe teilweise verschwinden. Der klassische Alleskönner-Handwerker, welcher alles repariert oder als Spezialist in seiner Nische überlebt, wird zwar weiterhin existieren. Allerdings wird es einen Buchhalter genauso wenig wie einen Deliveroo oder anderen Rider, welche von Drohnen oder künstlicher Intelligenz ersetzt werden, nicht mehr brauchen.

Aber dank des technologischen Fortschrittes wird die Lebensqualität vieler Menschen verbessert, welche zurzeit in prekären Arbeitssituationen leben. Durch diese Hilfestellung können voraussichtlich nach und nach bestehende Arbeitszeitregelungen überdacht und mehr Zeit für Freiheit und Kreativität geschaffen werden. Jene Berufe, welche ihre Einzigartigkeit, ja ihr künstlerisches Schaffen, beibehalten, werden schwieriger ersetzt. Deshalb könnte die Kombination der Zukunft jene von Cyborg und Künstler sein.

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Veränderung braucht Zeit und Mut

Allerdings bedeutet dies alles auch Zeit und Mut zur Veränderung. Das fängt bei leistbarem Wohnen an und reicht bis zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Freizeit. Im Bereich der Aus- und Weiterbildung wird auf inter- und transdisziplinäre Lehrpläne und auf ständig erneuerbare Zukunfts-Kompetenzen und Fähigkeiten in sozialen und digitalen Bereichen gesetzt. Auch das Leben mit Mobilitäten wird sich verändern, sei es auf Ebene der privaten Wohneinheit aber auch auf Ebene der Stadtplanung, welche auf neue Lebensformen abgestimmt werden muss, wo privates und berufliches Leben miteinander verschmelzen. Das gibt der Arbeit ein neues Kleid. Der Klimawandel wird zwar durch den erhöhten Energieverbrauch mittels technologischer Revolution zusätzlich auf die Probe gestellt, jedoch durch geringere physische Mobilität (bei höherer virtueller Mobilität) ausgeglichen.

Andere Arbeitswerte rücken in den Vordergrund

Durch die Veränderung der Lebensweise rücken andere Arbeitswerte in den Vordergrund: so zum Beispiel Sorgfalt oder das klassische Ideal des Handwerks. "Etwas um seiner selbst willen schön machen, weil ich es so um meiner selbst willen will", wie der Soziologe Richard Sennet den in die Arbeit eingebauten Kunstaspekt beschrieb. Technologie und Kunst werden auch hier eine neue Symbiose eingehen. Wenn Sennet wie andere Vordenker immer wieder darauf hinweist, dass die Wettbewerbsgesellschaft mit der Massenproduktion auch eine Überproduktion freigesetzt hat, die eines der großen Probleme der Zukunft darstellt, und dass sie dabei den Sinn für Qualität verloren hat, dann sollten Personalleiter wieder verstärkt nach dem "Wie" und "Warum" fragen. Damit ist eine Mentalitätsveränderung verbunden. Wie schnell dies geschehen kann, hat uns die Pandemie gezeigt, wo binnen weniger Wochen und Monate Unternehmen auf digitale Arbeitsformen umgestiegen sind und sicher nicht mehr in ihre ursprüngliche Form zurückkehren. Die gesellschaftliche Resilienz wird hier auf die Probe gestellt, aber auch im Bewusstsein gestärkt. Ein Zurück ist auf jeden Fall ausgeschlossen. Es geht nur vorwärts.

Zukunftskreis identifiziert systematisch Zukunftsthemen

Um dieses "Vorwärts" mit Ideen zu bereichern und mit Leben zu füllen, hat die Bundesregierung 2019 im Rahmen des 3. Vorausschau-Prozesses den "Zukunftskreis" ins Leben gerufen und ihn am Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) angesiedelt (mehr dazu unter www.vorausschau.de). 16 Mitglieder aus verschiedenen Wissenschafts-, Wirtschafts-, Industrie-, Kunst- und Gesellschafts-Bereichen orten und untersuchen in einem Dialog- und Austausch-Prozess gemeinsam die großen Zukunftsthemen. Dabei wurden 60 große Zukunftsthemen identifiziert, die für Deutschland und Europa in den kommenden Jahren wichtig werden. Darunter ist an zentraler Stelle die Zukunft der Arbeit. Es wird heute zur Herausforderung, sie mit anderen großen Themen vernetzt und im Austausch zu denken. Denn in der vernetzten Welt können Sektoren immer weniger "für sich selbst" gedacht werden. Damit sind auch noch nie dagewesene Chancen verbunden.


Über die Autoren:

Roland Benedikter ist Mitglied des BMBF-Zukunftskreises 2019-22, Co-Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research Bozen, Südtirol, und Forschungsprofessor für Politikanalyse am Willy Brandt Zentrum der Universität Breslau-Wroclaw.

Ingrid Kofler ist Soziologin und Senior Researcher am Center for Advanced Studies von Eurac Research Bozen, Südtirol.


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