Arbeitswelten 2050: grüne Startups im ländlichen Raum

Vorausschau als Rückblick: Wir befinden uns im Jahr 2050 und betrachten die Entwicklung der Startup-Szene seit den 2020er-Jahren. Auf diese Reise in die Zukunft nimmt uns Ute Günther mit, Vorständin des Business Angels Netzwerks Deutschland und Mitglied des BMBF-Zukunftskreises.

Post-Corona nahm eine Gegenbewegung Fahrt auf, die sich bereits in den frühen 2020er-Jahren angedeutet hatte: Innovative Startups zog es nicht mehr ausschließlich in die Startup-Hotspots der Metropolen, um ihr junges Unternehmen aufzubauen und den Markteintritt vorzubereiten. Sie gingen aufs Land. Damit verlangsamte sich das Tempo des Auseinanderdriftens von prosperierenden Zentren und ökonomisch und infrastrukturell abgehängten Regionen, die Stadt-Land-Disparität wurde deutlich abgemildert.

Zukunftsszenario: Agtech etabliert sich als Branche

Landwirtschafts-Startups hatten den Anfang gemacht. Sie wollten ihre Produkte und Dienstleistungen nah bei ihren potenziellen Kunden entwickeln, benötigten landwirtschaftliche Testflächen, brauchten für den Proof of Concept den Kontext vor Ort. Es folgten erste Land-Labs, Land-Hubs und Land-Acceleratoren, Waldbesitzer, Hidden-Champion-Mittelständler gründeten Family Offices, um Innovationen in ihrem regionalen Umfeld voranzutreiben.

Click to tweet

Es entstanden erste Ansätze von Startup-Ökosystemen im ländlichen Raum, auch wenn sie in der öffentlichen Wahrnehmung noch weitgehend unter dem Radar blieben. Agtech begann sich neben Fintech, Medtech, Proptech etc. zu etablieren - als Zukunftsbranche von außerordentlicher Diversität, deren Potenzial längst nicht ausgeschöpft war, die den ländlichen Raum für sich entdeckte, digitalisierte, veränderte.

Abkehr von den Startup-Hotspots der Städte

Nach der Pandemie setze auch bei Startups, deren Geschäftsideen nichts unmittelbar mit Agtech zu tun hatten, eine sukzessive Abkehr von den Startup-Hotspots der Städte ein. Die Gründe dafür waren vielfältig: Für Startups war digitales Arbeiten schon lange vor der Pandemie geübte Praxis, nun war es in der Breite angekommen, dezentrales, mobiles Arbeiten mehr und mehr akzeptiert und machbar. Wenn es also möglich war, den eigenen Lebensmittelpunkt unabhängig vom Business-Ort zu wählen, warum also in Co-Working-Spaces in der Stadt sitzen?

Vielen ging die Transformation der Metropolen zu grünen Hauptstädten zu langsam, die Negativeffekte fortschreitender Urbanisierung verstärkten sich, Stichwort immer teurer werdende Mieten und Lebenshaltungskosten. Die Sehnsucht nach dem Freiraum Natur führte zu einer Rückbesinnung auf den ländlichen Raum, gepaart mit einem deutlich bewussteren Konsumverhalten, das Kaufentscheidungen aktiv und bewusst überdenkt, vermehrt regionale und lokale Lebensmittel nachfragt und nah an der Wertschöpfungskette bleiben will.

Agtech-Startups waren die Vorreiter und zunächst waren es vorwiegend grüne Startups, die ihnen folgten und im ländlichen Raum eine Standortoption sahen. Mit ihren innovativen Produkten und Dienstleistungen arbeiten grüne Startups daran, die großen Nachhaltigkeitsherausforderungen unternehmerisch zu lösen. Als Motor einer Wirtschaftsweise, die in Verantwortung für die Zukunft Ökologie und Ökonomie verbindet, war ihnen bereits vor Corona eine Schlüsselfunktion zugeschrieben worden, in und verstärkt nach der Krise stieg der Anteil grüner Startups in Deutschland dann weiter stetig an.

Ökologische Transformation in der "Green-Deal-Ära"

Je nachdrücklicher der öffentliche Diskurs ökologische Transformation forderte, desto mehr waren Politik und Gesellschaft auf die Potenziale grüner Startups angewiesen, weil sie neben Wirtschaftskraft, Arbeitsplätzen und Renditen neuen Technologie- und Handlungsfelder erschlossen, die eben jenen gesellschaftlichen Mehrwert schafften, der in der "Green-Deal-Ära" die ökologische Wende vorantrieb.

Coronapandemie wendet das Blatt zugunsten grüner Startups

Aber es gab auch vielfache Barrieren, die Aufwuchs, Wachstum und Skalierbarkeit insbesondere grüner Startups verlangsamten, gar behinderten. Analysen des grünen Startup-Ökosystems der Jahre 2019 und 2020 konnten belegen, dass die Finanzierung, das Einwerben von Kapital in der Frühphase, die größte Herausforderung für innovative grüne Startups darstellte. Investoren hatten das ökonomische Potenzial grüner Startups über lange Zeit nicht in ausreichendem Maße erkannt, den Besonderheiten von Greentech-Märkten mit häufig komplexen Regulierungsmechanismen skeptisch gegenübergestanden, Zurückhaltung geübt aufgrund des zumeist hohen Technologiegrads und daraus resultierender langer Entwicklungszeiten grüner Innovationen.

Click to tweet

Die Pandemie hat grünen Startups mit ihren innovativen Geschäftsideen insbesondere in den KUER-Zukunftsbranchen Klima, Umwelt, Energieeffizienz und Ressourcenschonung dann nochmals deutlich Rückenwind verliehen, deren Schlüsselfunktion für die wirtschaftliche Erneuerung nach der Coronakrise verstärkt ins Bewusstsein gebracht.

Auch was die Finanzierung anbelangte, wendete sich das Blatt: Es waren einmal mehr die Business Angels, die die Umkehr brachten: Sie investierten Kapital und Know-how in innovative Startups und zwar in einer sehr frühen Phase, also dann, wenn das Risiko am größten war. Dabei hatten sie grüne Startups durchaus immer auf dem Radar. Im "Business Angels Panel", Deutschlands Marktbarometer des Angels-Ökosystems, basierend auf einer im Dreimonatsrhythmus durchgeführten Befragung eines stabilen Angel Panels, nahmen die KUER-Branchen im Ranking der Lieblingsbranchen über Jahre hinweg einen der vordersten Plätze ein. In der Statistik der getätigten Investitionen hatte das dann zunächst jedoch keinen Niederschlag gefunden.

Nachhaltigkeit als branchenunabhängiges Investitionskriterium

Das änderte sich, als Nachhaltigkeit als branchenunabhängiges Investitionskriterium immer mehr an Bedeutung gewann, ohne dabei Renditeerwartungen und wirtschaftlichen Erfolg aus dem Auge zu verlieren, weil beides für die jungen Unternehmen und die Investoren gleichermaßen unverzichtbar war. Das Wort von der "doppelten Dividende" machte die Runde. Die Zahl der Angels, die in der Folge die KUER-Zukunftsbranchen zu ihrem Investitionsfokus erklärten, wuchs, Business-Angels-Befragungen belegen diesen 2021 einsetzenden Trend. Mehr und mehr Angels investierten Kapital und Know-how in innovative Lösungen für eine Green Economy.

Hinzu kam, dass Angel Investing, bisher vorwiegend eine männliche Domäne, zunehmend auch von Frauen betrieben wurde. Das "Women Business Angels Year 2020/21", eine breit angelegte Awareness-Kampagne für mehr weibliche Business Angels in Deutschland, hatte mit dazu beigetragen, dass die Quote weiblicher Business Angels von unter zehn Prozent zu Beginn der 2020er-Jahre in 2025 auf ein Viertel angewachsen war. Und Frauen investieren noch konsequenter in innovative Lösungen mit signifikanter gesellschaftlicher Relevanz.

"Wachstumsinseln" jenseits der Metropolregionen

Die Politik flankierte den Aufwuchs grüner Startups mit branchenfokussierten Förderprogrammen, öffentlichen Beteiligungsfonds, die pari-passu mit Angel-Investorinnen und -Investoren investierten, stärkten die im ländlichen Raum mit zunehmender Intensität sich ausbreitenden Startup-Ökosysteme durch die Ansiedlung von Acceleratoren, Co-Working-Spaces, Prototyping-Werkstätten etc.

Jenseits der Metropolregionen entstanden "Wachstumsinseln", die Innovationsfähigkeit in die Breite trugen und ein Gegengewicht zur Urbanisierung bildeten. Deren Veränderungspotenzial für die jeweilige Region war immens. Nicht nur dass Startups digitale Anwendungen und nachhaltige Innovationen in periphere Regionen brachten, mit Nachdruck den Ausbau der digitalen Infrastruktur auf dem Land vorantrieben oder neue Formen flexibilisierten Arbeitens praktizierten. Dorfgemeinschaften wurden revitalisiert, das Leben in kleinen Einheiten erinnerte an verlorengegangenes Gemeinschaftsgefühl, förderte den sozialen Zusammenhang, tradierte Werte fanden Eingang in einen Diskursprozess über Lebensqualität und Lebensformen zwischen Naturverbundenheit, ökologischer Verantwortung und Prosperität, der im harten Standortwettbewerb die Zukunftsfähigkeit des ländlichen Raums im Zusammenwirken mit urbanen Zentren auf der Agenda hatte.

Hintergrund: Strategische Vorausschau

Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir können nach Trends und Entwicklungen suchen, die in Zukunft wichtig werden. Der "Zukunftskreis" des Bundesforschungsministeriums tut mit seinem "Vorausschau-Prozess" genau dies: Mit wissenschaftlichen Methoden Zukunftstrends identifizieren und ihre Auswirkungen beschreiben (mehr dazu unter www.vorausschau.de). In der Serie "Arbeitswelten 2050" präsentieren Mitglieder des Zukunftskreises und des BMBF-Zukunftsbüros ihre Sicht auf die Zukunft der Arbeitswelten.


Das könnte Sie auch interessieren:

Nachhaltig trotz Wachstum

Zwölf Ansatzpunkte für mehr Nachhaltigkeit

Green HRM: "Der Grat zum Greenwashing ist schmal"

Alles zur Nachhaltigkeit in HR und im Recruiting lesen Sie im Schwerpunkt von Personalmagazin 7/2021.