Betriebliche Altersvorsorge im Reformmodus
Im umlagefinanzierten System der gesetzlichen Rente (GRV) gibt es nur drei Stellgrößen: Beiträge, Leistungen und externe Zuschüsse. Die Menge der Beitragszahler und Rentenempfänger ist jedoch durch die Demografie weitgehend festgelegt. Vorausberechnungen zeigen: Die Zahl der Erwerbstätigen stagniert ab Mitte der 2020er-Jahre und wird ab 2035 sinken. Gleichzeitig steigt die Zahl der Rentner, und diese leben immer länger. Auf immer weniger Erwerbstätige kommen also immer mehr Rentenempfänger. Ohne massive Produktivitätssteigerung, deutlich höhere Erwerbsquoten, qualifizierte Zuwanderung und längere Lebensarbeitszeiten sind höhere Beitragssätze und Steuerzuschüsse daher unumgänglich.
Demografischer Wandel: Betriebliche Altersversorgung rückt in den Fokus
Die von der Regierung beschworene Haltelinie kaschiert diese Realität nur kurzfristig. Die Fixierung des Sicherungsniveaus bei 48 Prozent bis 2031 schafft zwar Planungssicherheit, ändert aber nichts an den demografischen Fakten. Was politisch ein klares Signal ist, erfordert einen finanziellen Kraftakt. Berechnungen des Wirtschaftsweisen Martin Werding zeigen, dass der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit 142 Milliarden Euro (etwa 3,1 Prozent des BIP) bis 2040 auf mindestens 198 Milliarden Euro, in ungünstigen Szenarien auf bis zu 233 Milliarden Euro steigen wird, bis 2060 sogar auf 270 bis 353 Milliarden Euro. Das entspräche fast sieben Prozent des BIP. Damit würde fast die Hälfte der Steuereinnahmen des Bundes in die Rente fließen. Hinzu kommt die Mütterrente: Künftig soll es drei Entgeltpunkte pro Kind geben, unabhängig vom Geburtsjahr. Das ist inhaltlich konsequent, verschiebt aber weitere Lasten in den Bundeshaushalt.
Das ursprünglich geplante Generationenkapital, ein staatlicher Kapitalstock mit langfristiger Rendite zur Stabilisierung des Beitragsniveaus, wurde dagegen verworfen. Damit verzichtet die Regierung auf eine reelle Option, den Kapitalmarkt für die Rentenversicherung nutzbar zu machen. Der größte Kritikpunkt am ursprünglichen Vorschlag betraf die Finanzierung durch Staatsschulden. Die grundlegende Idee, weitere Beitragsquellen für die GRV zu erschließen, bleibt aber sinnvoll.
Frühstart-Rente: klein, aber richtig
Neu in der GRV ist die Frühstart-Rente: Für jedes Kind zwischen 6 und 18 Jahren, das eine deutsche Schule besucht, zahlt der Staat monatlich 10 Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes Vorsorgedepot, das von privaten Anbietern verwaltet wird. Ab dem 18. Lebensjahr kann freiwillig weitergespart werden. Die Erträge bleiben bis zum Rentenbeginn steuerfrei, ausgezahlt wird erst ab der Regelaltersgrenze. Der Staat setzt damit Anreize zur finanziellen Bildung, doch ohne signifikante, private Zuzahlungen bleibt die Summe verschwindend klein. Dennoch hat die Idee das Potenzial zu einem größeren Wurf, beispielsweise wenn das Depot außer für private auch für betriebliche Einzahlungen geöffnet würde.
Private Vorsorge: Reform versprochen, Inhalte offen
Die Regierung will die private Vorsorge neu aufstellen. Die im Koalitionsvertrag genannte "Reform des geförderten Produkts" soll für mehr Wettbewerb, geringere Kosten und höhere Renditechancen sorgen. Im Kern geht es darum, Riester zu entbürokratisieren und für mehr Berechtigte zu öffnen. Konkrete Eckpunkte und ein Zeitplan fehlen bislang. Politisch hält man am Riester-System fest, aber dessen Zukunft ist offen. Ohne mutige Vereinfachung wird es kaum ein Comeback erleben. Ansatzpunkte sind mehr Flexibilität in der Auszahlungsphase sowie kapitalmarktorientierte Leistungen mit abgesenkten Garantien.
Herzstück bAV: BRSG II setzt die richtigen Hebel an
Das zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz, das schon zum 1. Januar 2026 in Kraft treten soll, adressiert die betriebliche Realität: Es baut Hemmnisse ab, fördert Geringverdienende, erleichtert die Portabilität und flexibilisiert die Kapitalanlage. Seine zentralen Elemente:
- Opting-Out auf Betriebsebene: Die automatische Entgeltumwandlung mit Widerspruchsrecht wird möglich, künftig auch per Betriebsvereinbarung, sofern der Arbeitgeber sich zusätzlich finanziell beteiligt. Damit entfällt zwar formal der faktische Tarifvorbehalt, aber tatsächlich gilt das Opting-Out nur für nicht-tarifliche Entgeltbestandteile. Das schränkt die Anwendung in der betrieblichen Praxis erheblich ein. Gewinner sind Mittelständler ohne Tarifbindung.
- Geringverdienerförderung 2.0: Die Einkommensschwelle wird an drei Prozent der Beitragsbemessungsgrenze gekoppelt und dynamisiert. Der Förderhöchstbetrag steigt. Bei Lohnerhöhungen fallen weniger Beschäftigte aus der Förderung, die Planung wird einfacher.
- Sozialpartnermodelle: Arbeitgeber können auch ohne Tarifvertrag an bestehende Modelle für Sozialpartner andocken, wenn diese einverstanden sind. Das erleichtert nicht-tarifgebundenen Arbeitgebern den Zugang zur reinen Beitragszusage.
- Abfindungen: Die Bagatellgrenzen werden verdoppelt, sofern die Abfindung in die GRV eingezahlt wird. Damit sinken die Verwaltungskosten.
- Flexi-Rente und Wertguthaben: Teil- oder Vollrente lassen sich künftig ohne Bruch mit Zeitwertkonten kombinieren. Das setzt den Rahmen für gleitende Übergänge in den Ruhestand.
Aktivrente: viele Fragen offen
Die Aktivrente soll Beschäftigte länger im Unternehmen halten. Wer die Regelaltersgrenze erreicht hat, kann bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei hinzuverdienen, ohne Beiträge zur Renten- oder Arbeitslosenversicherung zu zahlen.
Doch viele Umsetzungsfragen, insbesondere im Zusammenspiel mit den Betriebsrenten, sind offen: Werden bei weiterem bAV-Leistungsbezug gleichzeitig noch Rentenanwartschaften aufgebaut? Wie werden bAV- und Aktivrenten-Instrumente miteinander verzahnt? Insbesondere, wenn der Rentenbezug Voraussetzung für die Aktivrente ist, zugleich aber betriebliche Leistungen an das Ruhestandsalter gekoppelt sind? Der Nutzen bleibt unscharf, solange Abläufe und Details nicht geklärt sind und speziell die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte genau entgegengesetzt wirkt. Zudem gibt es erhebliche fiskalische und verwaltungsrechtliche Folgen: Eine IW-Studie rechnet allein mit steuerlichen Mindereinnahmen in Milliardenhöhe. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an eine umsetzbare Praxis.
Betriebliche Altersversorgung: Was HR jetzt konkret tun sollte
- Opting-Out konzipieren: Entwickeln Sie rechtssichere, mitbestimmte Modelle – und vergessen Sie den Arbeitgeberbeitrag nicht. So steigen die Teilnahmequoten, während die Verwaltungskosten sinken.
- Geringverdienende gezielt einbinden: Prüfen Sie die Förderfähigkeit und strukturieren Sie die Entgeltumwandlung so, dass Nettoeffekte spürbar sind. Senden Sie klare Botschaften in Payroll und in der Kommunikation.
- Prozesse digitalisieren: Prüfen Sie die Schnittstellenfähigkeit. Zielen Sie ab auf einfache Mitnahmen, schnelle Abwicklungen und weniger Papier.
Dies ist ein Beitrag aus dem Sonderheft "Personalmagazin bAV". Das gesamte Heft finden Sie hier als Blätter-PDF.
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