Engagement statt PR: Inklusion als Employer-Branding-Faktor
Wer Talente gewinnen will, braucht mehr als Benefits und Karriereversprechen. Gerade hochqualifizierte Personen wollen häufig für eine Organisation arbeiten, die soziale Verantwortung zeigt. Gelebte Inklusion wird so zu einem echten Wettbewerbsvorteil im Employer Branding – dazu gehört unter anderem, dass sie sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderung, Neurodivergenz oder gesundheitlichen Einschränkungen einsetzen. Viele Unternehmen fragen sich, wie sie glaubwürdig zeigen können, dass sie Vielfalt und Inklusion im Arbeitsalltag wirklich leben. Die Antwort ist simpel: Indem sie es wirklich tun. Drei Beispiele zeigen, wie das gelingt.
Aktion Mensch: Inklusion ist kein PR-Instrument
Die Aktion Mensch setzt sich seit vielen Jahren für eine barrierefreie Gesellschaft und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung ein. Dieses Ziel verfolgt der Verein auch in seiner Funktion als Arbeitgeber: Die Karriereseite weist auf das barrierefrei gestaltete Büro und die Möglichkeit zu individuellen Arbeitsplatzausstattungen hin und signalisiert so Menschen mit Behinderung, dass sie willkommen sind. Zusammen mit dem, wofür der Verein steht, ergibt sich dadurch das authentische Bild einer Organisation, die sich nicht nur für Inklusion einsetzt, sondern sie auch selbst von innen heraus lebt. Für die Arbeitgebermarke bedeutet das Klarheit: Menschen, die bei der Aktion Mensch arbeiten, identifizieren sich mit dem gesellschaftlichen Auftrag ebenso wie Jobinteressierte, die gezielt nach einem sinnorientierten Umfeld suchen.
Christina Marx, Sprecherin und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Aktion Mensch, betont allerdings, dass Inklusion niemals nur durch strategische Imagestärkung motiviert sein darf. "Sie beginnt mit einer Haltung – und die muss echt sein." Wenn Inklusion nur als PR-Instrument eingesetzt, aber nicht wirklich umgesetzt werde, dann erkenne man das häufig an ein paar typischen Fehlern: "Etwa dann, wenn ein Unternehmen öffentlich behauptet, ein inklusiver Arbeitgeber zu sein, aber nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebene Beschäftigungsquote erfüllt. Oder wenn Menschen mit Behinderung trotz hoher Qualifikation immer nur Jobs bekommen, für die es keinen Bildungsabschluss braucht", so Marx. Auch die Bildsprache der Website könne viel verraten, zum Beispiel, wenn auf einem Stockfoto ein Model, das höchstwahrscheinlich keine Gehbehinderung hat, in einem falsch eingestellten Rollstuhl sitzt. "Wir achten sehr auf eine authentische Bildsprache", sagt Marx. Das "Diversity Washing" mancher Unternehmen sei nicht nur unethisch, sondern werde von Mitarbeitenden und Jobinteressierten meist auch schnell erkannt. Gleichzeitig weiß Christina Marx: "Wenn Organisationen Inklusion wirklich leben, wirkt das nach außen."
Westenergie und Westnetz: Inklusion als Markenkern und Haltung
Das können der Energiedienstleister Westenergie und sein Tochterunternehmen, der Verteilnetzbetreiber Westnetz bestätigen: "Inklusion ist für uns ein zentraler Bestandteil unserer Unternehmenskultur und Nachhaltigkeitsstrategie", berichtet eine Sprecherin von Westnetz in einer schriftlichen Antwort auf Anfrage der Redaktion. Der Verteilnetzbetreiber von Westenergie kommuniziert intern und extern, wie Inklusion in der Belegschaft gelebt wird. "Das stärkt nicht nur unsere Wahrnehmung als inklusives Unternehmen, sondern auch unsere Attraktivität für Menschen und Fachkräfte, die ein wertschätzendes und diverses Arbeitsumfeld suchen." Ausgangspunkt dafür sei aber nicht der Wunsch nach einer besseren Reputation gewesen, sondern die Überzeugung, dass Vielfalt die Organisation stärke: fachlich, menschlich und gesellschaftlich. "Wir möchten Menschen mit Behinderung oder Neurodivergenz nicht nur integrieren, sondern ihnen echte Teilhabe ermöglichen. Dabei motiviert uns vor allem der Wunsch, Barrieren abzubauen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem alle ihr Potenzial entfalten können." Das Unternehmen setzt dafür vor allem auf barrierefreie Bewerbungsprozesse, individuelle Unterstützung im Arbeitsalltag, eine enge Zusammenarbeit mit der Schwerbehindertenvertretung sowie technische Hilfsmittel, flexible Arbeitsmodelle und Schulungen für Führungskräfte und Teams. Ein "Inklusions-Aktionsplan" definiert konkrete Schritte zur Förderung von Teilhabe und Barrierefreiheit.
Auf die hohe gesellschaftliche Bedeutung von Inklusion machen Westnetz und Westenergie durch gezielte Projekte intern wie extern aufmerksam: "Das Thema Schwerbehinderung und Inklusion muss immer wieder durch gezielte Projekte und Kampagnen in die Köpfe – und Herzen – der Mitarbeitenden gebracht werden," so die Sprecherin von Westnetz. Besonders gut angekommen sei ein Filmprojekt der Westenergie-Gruppe mit dem Titel "Ich habe was, was du nicht siehst". Der Film hat Mitarbeitende vorgestellt, deren Behinderung nicht sichtbar ist, was die Belegschaft auf einen bewussteren Umgang miteinander aufmerksam gemacht habe. Zudem unterstütze Westenergie mit der Initiative "Westenergie VEREINt Menschen" Vereine, die die Teilhabe für Menschen mit Behinderung ermöglichen. Auch bei den Special Olympics Nordrhein-Westfalen, die Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung durch den Sport mehr Anerkennung, Selbstbewusstsein und mehr Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen, leistet Westenergie als Hauptsponsor einen wichtigen Beitrag.
Das Beispiel von Westenergie und Westnetz zeigt damit, dass echtes Engagement auf ganz natürliche Weise gesellschaftliche Aufmerksamkeit und damit auch einen möglichen Reputationsgewinn mit sich bringt. "Inklusion ist ein Prozess, der aktiv und nachhaltig getrieben werden muss", schreibt die Sprecherin. "Dazu ist es notwendig, ein gemeinsames Verständnis über alle Ebenen, von der Geschäftsführung bis zu den Auszubildenden, zu entwickeln. Inklusion muss ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur sein."
Stille Stunde bei Edeka: Eine inklusive Bewegung mit Außenwirkung
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel gelebter Inklusion ist ein Edeka-Markt im baden-württembergischen Konstanz. Hier entstand ein inklusives Projekt durch die E-Mail einer Kundin: Die Mutter zweier autistischer Kinder schilderte darin, wie belastend der tägliche Einkauf für ihre Familie ist – und fragte, ob der Markt eine "Stille Stunde" einführen würde. Das Konzept war zu diesem Zeitpunkt in Deutschland kaum bekannt. Auch Sabine Seibl, Geschäftsführerin der Edeka Frischemärkte Baur in Konstanz, musste sich dazu erst einmal einlesen. Dabei wurde ihr schnell bewusst, dass sie aktiv werden wollte: "Mich hat berührt, welches Leid Menschen beim Einkaufen erleben. Manche von ihnen essen lieber nichts als sich der Überforderung auszusetzen, die sie im Supermarkt erleben. Da war klar: Wenn wir helfen können, dann tun wir das." Seit März 2023 ist jeden Dienstag zwischen 15 und 17 Uhr im größten Konstanzer Edeka-Markt das Licht gedimmt, es läuft keine Musik, gibt keine Lautsprecherdurchsagen und die Scanner an der Kasse piepen nicht. Auch Warenverräumungen finden in diesem Zeitraum nicht statt und es wird darauf geachtet, dass keine Hindernisse wie Rollwägen oder Kartons in den Gängen stehen. Ein Hinweis am Eingang bittet Kundinnen und Kunden in diesem Zeitraum darum, während des Einkaufs keine Telefongespräche zu führen. Von den Maßnahmen profitieren laut Seibl alle Personengruppen, die empfindlich auf starke Reize reagieren – darunter autistische und hochsensible Menschen, Personen mit Migräne, Tinnitus oder Angststörungen und Personen, die ein Hörgerät nutzen. Auch viele Familien mit kleinen Kindern beschreiben den Einkauf zur Stillen Stunde als besonders angenehm.
Die Rückmeldungen waren für Sabine Seibl überwältigend: "Menschen waren so dankbar, dass sie Tränen in den Augen hatten." Es kamen auch jede Menge Dankesbriefe und ein reges Interesse der Medien. "Bei uns waren Tageszeitungen, Radio- und Fernsehsender, die dpa hat angefragt und wir waren sogar in der Tagesschau", erinnert sich Seibl, "mit so viel Aufmerksamkeit haben wir nicht gerechnet". Ein Großteil des Feedbacks ist positiv, die einzige Kritik kommt von Menschen, die nicht gut sehen, da sie die Preisschilder im gedimmten Licht schlechter lesen können.
Auch die Mitarbeitenden sind laut Seibl begeistert: "Sie genießen tatsächlich auch mal zwei Stunden, in denen die Kunden Rücksicht aufeinander nehmen, leiser sind und entschleunigter gehen. Ein Mitarbeiter hat sogar schon gefragt, ob wir das nicht jeden Tag machen wollen." Das sei allerdings nicht so leicht, weil vor allem das gedimmte Licht in der technischen Umsetzung kompliziert sei und in gut besuchten Supermärkten regelmäßig neue Waren in die Regale geräumt werden müssen. Auf jeden Fall aber habe die Stille Stunde das Wir-Gefühl gestärkt; viele Mitarbeitende seien stolz, Teil eines sozialen Projekts zu sein: "Wenn man spürt, dass der eigene Arbeitgeber Wertschätzung und echte Teilhabe lebt, dann identifiziert man sich stärker mit dem Unternehmen," erzählt Seibl. Sie betont auch, dass die Stille Stunde ein Herzensprojekt sei: "Wir haben sie nicht aus Marketing-Gründen eingeführt." Dennoch hatte die Initiative auch einen unerwarteten Nebeneffekt auf das Arbeitgeberimage: In Bewerbungen würde die Stille Stunde inzwischen vereinzelt als Grund erwähnt, warum Menschen sich für das Unternehmen interessieren: "Sie sagen dann zum Beispiel, ihnen hat die Aktion gezeigt, dass Wertschätzung bei Edeka Baur praktisch umgesetzt wird und nicht nur ein Wort ist."
Employer Branding als Nebenwirkung
Glaubwürdige Inklusion verbessert nicht nur das Miteinander im Unternehmen, sondern stärkt ganz automatisch die Arbeitgebermarke. Statt mit einer Imagekampagne begannen alle drei Organisationen mit der Frage, was Menschen wirklich brauchen, und gingen dann in die Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Employer Branding passiert dann meist von selbst als positive Nebenwirkung: Beschäftigte identifizieren sich stärker mit dem Arbeitgeber, Jobinteressierte fühlen sich angesprochen und Medien greifen das Thema auf, ohne dass Unternehmen aktiv dafür werben. Das Image als inklusiver Arbeitgeber kommt demnach nicht durch Kampagnen, sondern durch Haltung.
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