Wie People Analytics echte Wirkung entfaltet
Ist der Hype um People Analytics schon vorbei? Gemäß Google Trends wird der Begriff im deutschsprachigen Raum seit einiger Zeit kaum mehr gesucht. Stattdessen dreht sich in HR derzeit alles um Künstliche Intelligenz (KI), von KI-Agenten bis zu eigenen GPTs. Ein Mentor sagte mir einmal: "Wenn du einen Hype siehst, dann schau auf den vorletzten – der wird jetzt wirklich wichtig." Genau das beobachte ich bei People Analytics. Diese Disziplin ist nun in der beruflichen Praxis der HR-Teams angekommen.
People Analytics: Warum der erhoffte Nutzen oft ausbleibt
In praktisch allen Unternehmensbereichen wird heute mit Zahlen argumentiert und Führung darauf ausgerichtet. Entsprechend stehen auch CHROs unter Druck, mit Daten und Fakten zu überzeugen. Deren Ambition ist meist groß: HR-Daten sollen unmittelbar verfügbar, predictive (also vorausschauend), in umfassenden Dashboards visualisiert und am liebsten direkt über einen Chatbot abrufbar sein. Nur die wenigsten Firmen kommen diesem Idealbild nahe. Stattdessen bleiben die hohen Ambitionen unklar, werden nicht von der HR-Abteilung mitgetragen und finden sich weder in einer Strategie noch in einer Roadmap wieder.
Außerdem beobachte ich, dass das bloße Vorhandensein von HR-Daten nicht ausreicht, um den Anforderungen des Business gerecht zu werden. Die Führungsebene interessiert sich für klare HR-Handlungsempfehlungen und Maßnahmen, die Mehrwert stiften. HR-Daten haben keinen Selbstzweck, sondern sollen helfen, die Geschäftsstrategie umzusetzen.
Auch die interne IT-Abteilung verfolgt ihre eigene Agenda: Sie steht unter Druck, veraltete Technologien für Datenaufbereitung und -analyse zu modernisieren, und will HR-Daten oft sogar in eine unternehmensweite Datenplattform integrieren. Damit sind die Tools für HR meist vorgegeben und die Handlungsspielräume entsprechend beschränkt.
In der Umsetzung zeigt sich dann, dass Ambitionen und Realität auseinanderdriften. Während große Unternehmen in den letzten Jahren eigene People-Analytics-Teams aufgebaut haben, pflegen in kleineren Organisationen meist HR-Controller nebenbei ein Dashboard. In beiden Fällen bleibt der erhoffte Nutzen für das Business häufig aus.
Woran die Umsetzung von People-Analytics-Initiativen scheitert
Die Technologie spielt zwar eine erfolgskritische Rolle, viel häufiger aber hapert es daran, von der Erkenntnis zur Umsetzung zu gelangen. Die wichtigsten Gründe für den Misserfolg sind aus meiner Erfahrung die folgenden:
- Zu spät: Erkenntnisse erreichen Entscheidungsträgerinnen und -träger nicht rechtzeitig. Bis HR die relevanten Daten aufbereitet, analysiert und visualisiert hat, ist die Entscheidung im Business längst gefallen – ohne den datenbasierten Beitrag von HR.
- Zu wenig relevant: Viele Analysen liefern Ergebnisse, die sich nicht auf die relevanten Geschäftsfragen beziehen und keinen finanziellen Impact aufzeigen. Entsprechend werden daraus kaum Maßnahmen abgeleitet.
- Einmalaktionen: Viele People-Analytics-Vorhaben sind One-Shots. Nach einer aufwendigen Analyse ist der Aufwand zu groß, sie erneut durchzuführen – etwa um zu prüfen, ob Maßnahmen tatsächlich Wirkung zeigten.
- Technisch limitiert: Die Skalierung in die Organisation scheitert oft an Technologie und Berechtigungen. Meist erhält nur das Topmanagement Zugriff auf stark aggregierte Daten, wodurch alles in Durchschnittswerten verschwindet. Differenzierte Erkenntnisse oder Hotspots bleiben verborgen.
Hinzu kommt, dass mit dem Aufkommen von KI oft versprochen wird, alles werde einfacher und schneller. Das vergrößert die Lücke zur gelebten Realität zusätzlich. Wohlverstanden: KI ist im Begriff, auch People Analytics zu revolutionieren. Doch dafür braucht es solide Grundlagen, insbesondere bei Datenaufbereitung und Governance. Deshalb ist es mir ein Anliegen, die Schritte aufzuzeigen, mit denen People-Analytics-Initiativen schnell Wirkung entfalten.
Ziele klären, bevor Daten fließen
HR, Business und IT sprechen häufig nicht die gleiche Sprache und setzen unterschiedliche Prioritäten. Umso wichtiger ist es, von Beginn weg einen gemeinsamen Nenner mit allen Parteien zu finden, was genau mit People Analytics erreicht werden soll.
Aber Vorsicht: Ich erinnere mich an eine Firma, in der mir die HR-Abteilung eingangs stolz einen Katalog von fast 100 Kennzahlen präsentierte und fragte, ob ich ihr diese "möglichst schön visualisieren" könne. Das ist der falsche Ansatz. Hier lag der Fokus zu früh auf den Details.
Viel entscheidender als Kennzahlen sind deshalb Fragen wie:
- Welche Wirkung soll mit People Analytics im Unternehmen erzielt werden?
- Wer soll Zugang zu welchen Erkenntnissen erhalten? Nur das Topmanagement oder auch Führungskräfte und Mitarbeitende?
- Soll die Hoheit über die Analysen bei HR bleiben oder sollen die Geschäftsbereiche selbstständig Ergebnisse abrufen können?
- Wer darf was mit den Daten und Analyseergebnissen machen? Und welche Analysen wollen wir aus datenschutzrechtlichen oder ethischen Gründen bewusst nicht zulassen?
- Welche finanziellen und personellen Ressourcen sind wir bereit, in People Analytics zu investieren?
Diese Fragen zu beantworten, ist anspruchsvoll, oft sogar konfliktbeladen. Dennoch muss es das Ziel bleiben, gemeinsam eine Intention festzulegen, die realistisch ist und weiterverfolgt werden kann. Diese bildet die Grundlage für die konkrete Umsetzungsstrategie und die Rahmenbedingungen.
Halbherzige Kompromisse wie "Ein paar HR-KPI in einem Cockpit sind besser als nichts" bringen kaum Veränderung. Entscheidend ist, dass die Investition in People Analytics der Gesamtorganisation tatsächlich hilft, bessere Entscheidungen zu treffen.
People Analytics braucht Architektur mit Weitblick
Ist die Messlatte gesetzt, geht es um die Umsetzung. In dieser Phase überschätzen viele Unternehmen ihre Fähigkeiten und Ressourcen. Voller Elan werden Projekte gestartet, in denen HR-Daten aus Quellsystemen in eine Vielzahl von Dashboards überführt werden sollen.
HR-Daten sind in der Regel nicht so umfangreich wie andere Unternehmensdaten. Ihre Komplexität ist jedoch hoch. Viele Daten sind zeitabhängig, was eine durchdachte Historisierung notwendig macht. Schnell zeigt sich, dass für die Modellierung zusätzlich ein Data Warehouse erforderlich ist. Das Resultat: Die Tool-Landschaft und die Schnittstellen werden immer komplexer, die Projekte dauern länger und werden teurer. Nach und nach müssen die Ambitionen nach unten korrigiert werden, weil sie sich mit dem vorhandenen Budget nicht mehr umsetzen lassen.
Viele Unternehmen tappen in die Falle, ohne klaren Plan alles selbst entwickeln zu wollen. Dadurch verlieren sie sich oft in kleinen Einzelmaßnahmen, die letztlich zu großem Frust führen, weil es aufwendig ist, diese Insellösungen zu betreiben und kaum Mehrwert bringt. "Wir machen mal einen kleinen Piloten mit Power BI" sollte deshalb keine Option sein. Stattdessen ist die Wahl der passenden Technologie-Architektur entscheidend – und sie geht weit über die Technik hinaus. Grundsätzlich stehen zwei Wege offen: Build oder Buy. Beide sind in der Regel möglich, unterscheiden sich aber deutlich.
Build
- Individualität: Vollständige Kontrolle über Software, Datenmodell und Logiken; maßgeschneidert auf interne Bedürfnisse.
- Komplexität: Hoher Aufwand für Entwicklung, Wartung und Schnittstellenmanagement; große Abhängigkeit vom internen Know-how.
- Kosten: Geringere Lizenzkosten, aber ein teures Initialprojekt und hoher Pflegeaufwand im Betrieb.
Buy
- Geschwindigkeit: Rasche Implementierung, vorgefertigte Analyseinhalte und erprobte Best Practices. Das setzt jedoch Vertrauen in die Strategie des Anbieters voraus.
- Benutzerfreundlichkeit: Intuitive Nutzung, hochwertige Visualisierungen, regelmäßige Updates.
- Kosten: Höhere Lizenzkosten, aber signifikant niedrigere Implementierungs- und Betriebskosten.
Bis vor wenigen Jahren war es kaum eine Option, Systeme einzukaufen. Die verfügbaren Lösungen waren unausgereift und wenig flexibel. Heute liefern spezialisierte Lösungen Business-Leadern jedoch zeitnah Antworten auf ihre Fragen und können Folgefragen direkt beantworten. KI wird dabei gezielt eingesetzt, um Muster in den Daten zu erkennen, die Datenqualität zu erhöhen und die Interaktion mit den Nutzenden zu vereinfachen.
Ein prägendes Erlebnis für mich war, als der HR-IT-Leiter eines Kunden intern um die Unterstützung eines Data Analysten bat. Als Antwort bekam er: Ressourcen für Analytics-Vorhaben gebe es nur für das Kerngeschäft, dort, wo sie zur Differenzierung gegenüber der Konkurrenz beitragen. Für einen Querschnittsbereich wie HR seien keine Mittel vorgesehen – man solle auf eine eingekaufte Lösung setzen.
Immer häufiger sehe ich, dass HR-Abteilungen ihre Tool-Landschaft und die dafür eingesetzten Ressourcen kritisch hinterfragen. Und ich bin überzeugt: In Zukunft werden sich zahlreiche Unternehmen bei der Datenanalyse in Richtung Buy-Strategie bewegen.
Datenkultur leben, nicht predigen
Die beste Ambition und die modernste Technologie bleiben wirkungslos, wenn die Menschen in der Organisation nicht gelernt haben, die neuen Möglichkeiten in ihren Arbeitsalltag zu integrieren.
Eine echte Datenkultur reicht weit über HR hinaus. Es genügt nicht, wenn Business-Leader und HR Business Partner einmal im Monat auf ein starres Dashboard blicken. Entscheidend ist vielmehr die Fähigkeit – gerade auch innerhalb von HR – die businessrelevanten Fragen zu stellen, Hypothesen zu formulieren, Daten richtig zu interpretieren und daraus konkrete, nachvollziehbare Empfehlungen und Maßnahmen zu formulieren.
Das Topmanagement prägt diese Haltung, indem es Datenaffinität vorlebt und einfordert. So entsteht eine Kultur, in der Daten selbstverständlich Teil des Denkens werden. Und das wirkt doppelt: Einerseits verbessern sich Entscheidungen, andererseits steigt die Motivation, Daten auch sauber zu pflegen, weil sie sichtbar etwas bewirken.
Besonders spürbar wird Datenkultur, wenn sie den Dialog verändert. In einer Organisation, die ich begleiten durfte, war ich verblüfft, als zwei Verantwortliche für das Gesundheitsmanagement plötzlich intensiv darüber diskutierten, welche Metriken und Dimensionen sie noch benötigten, um die Wirkung ihrer Präventionsinitiative nachweisen zu können. Ein präziser Diskurs, der wenige Monate zuvor noch undenkbar gewesen wäre.
Am Ende entscheidet nicht die Technologie über den Erfolg von People Analytics, sondern der Umgang mit Daten. Datenkultur entsteht dort, wo Menschen beginnen, Daten selbstverständlich zu nutzen, zu hinterfragen und Verantwortung für ihre Qualität zu übernehmen. Erst dann wird aus einer technischen Initiative eine gelebte Praxis.
Wirkung entsteht durch Haltung
People Analytics wird dort den Erwartungen gerecht, wo Neugier, Wille, Mut und Verantwortung zusammenfinden: Neugier, die strategischen Ziele des Unternehmens mit der Brille von People Analytics zu betrachten. Wille, die eigenen Fähigkeiten auszubauen und die richtigen Fragen zu stellen. Mut, um Erkenntnisse auch dann zu nutzen, wenn sie unbequem sind. Und Verantwortung, um mit Daten gesetzeskonform und ethisch vertretbar umzugehen.
Wenn HR und Führung gemeinsam diese Lernkurve beschreiten, verändern sie damit mehr als ihre Analysen – sie prägen, wie in ihrer Organisation über Menschen gedacht wird, Zusammenhänge erkannt und Entscheidungen getroffen werden. Dafür braucht es meist kein großes Programm, sondern die gemeinsame Praxis im Alltag. Denn dort, wo Daten und Denken wirklich aufeinandertreffen, entsteht, was viele anstreben, aber bislang nur wenige erreichen: spürbare Wirkung.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 12/2025. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.
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