CHRO-Diskussion

"Wir müssen mit KI Schritt halten"


Was Künstliche Intelligenz für die Rolle des CHRO bedeutet

In einem schwindelerregenden Tempo wälzt Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt um. Was bedeutet das für die Rolle des CHRO? Darüber hat Reiner Straub, Herausgeber des Personalmagazins, mit Judith Wiese, Chief People and Sustainability Officer und Vorstandsmitglied bei Siemens, Claudia Viehweger, Chief People & Sustainability Officer von Scout 24, und Kai Anderson vom HR-Beratungsunternehmen Mercer gesprochen. 

Personalmagazin: Mit Künstlicher Intelligenz (KI) ändern sich nicht nur einzelne Jobs, sondern häufig auch die Arbeitsorganisation. KI bringt einen neuen Schub für die Digitalisierung von Arbeitsprozessen. Verändert sich durch KI die Rolle des CHRO, Judith Wiese?

Judith Wiese: KI verändert in der Tat sehr vieles in der Organisation und das Veränderungstempo ist rasant. Das betrifft auch die Rolle des oder der CHRO und die von HR. Als CHROs müssen wir einerseits verstehen, welche Auswirkungen der Einsatz von KI für das Geschäft bringt, andererseits die Erwartungen und Herausforderungen für die Menschen nachvollziehen. Wir müssen beide Perspektiven berücksichtigen, um zu sehen, wie wir die Veränderungsprozesse aktiv steuern können – das ist und bleibt ein integraler Bestandteil der CHRO-Rolle. Wenn wir über die transformative Kraft von KI sprechen, dann können wir das mit der Erfindung der Elektrizität vergleichen. Eine solche  GPT, eine General Purpose Technology, kommt nur alle paar Dekaden vor und verändert unser Leben massiv und grundsätzlich. Vor der ersten Elektrifizierungswelle haben 93 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft gearbeitet, um 1900 waren es nur noch 38 Prozent. Das zeigt die Dimension eines solchen Umbruchs. Wir stehen noch am Anfang einer solchen Disruption, gleichzeitig erleben wir zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte, dass sich die Technologie schneller entwickelt als der Mensch. Die Geschwindigkeit dieser Entwicklung fordert uns in einem besonderen Maße. Unsere Aufgabe als CHRO und als Führungskräfte ist es, Menschen in dieser Transformation zu begleiten zu unterstützen, und ihnen auch die unglaublichen Chancen der KI aufzuzeigen. 

Wohin wird sich die Arbeit entwickeln?

Personalmagazin: Wie stellt sich die Sache aus Beratungsperspektive dar, Kai Anderson? Wird die CHRO-Rolle verschwinden oder mit anderen Funktionen verschmelzen, wie manche vermuten?

Kai Anderson: In den USA gibt es erste Unternehmen, die die IT- und die HR-Funktionen zusammenlegen. Das ist eine neue Denkweise, eine ganz neue Philosophie. Anknüpfend an das, was Judith Wiese sagt: Bei diesem Denken geht es darum, zu verstehen, wohin sich Arbeit entwickelt. Wie müssen die Ressourcen zusammengeführt werden: die Ressource Mensch und Ressource Maschine. Das ist die Herausforderung. Das können wir nur zu einem gewissen Teil antizipieren. Der nächste Schritt für die Personalfunktion ist es, dafür ein Verständnis zu entwickeln – insbesondere auch für die Technologie. Welche Skills und Kompetenzen werden wir in Zukunft brauchen? Das betrifft sowohl die Spitze als auch die Breite der HR-Positionen.

Personalmagazin: Claudia Viehweger, Sie sind CHRO des Technologieunternehmens Scout 24, das im September 2025 in den DAX aufgestiegen ist. KI spielt für das Geschäft eine enorme Rolle. Wie verändert sich Ihr Job?

Claudia Viehweger: KI ist längst fester Bestandteil unserer Arbeitsweise – in allen Bereichen, auch in HR. Unsere Aufgabe ist es, die Organisation dabei zu begleiten und die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Bereits auf unserem Leadership Summit 2024 war KI im Produktbereich zentral. Seitdem haben wir die Nutzung systematisch auf alle Bereiche ausgeweitet. Im März 2025 haben wir den Enterprise-Account für KI für alle Mitarbeitenden eingeführt. KI-Tools gehören inzwischen zum Arbeitsalltag aller Mitarbeitenden: Wir haben Learning Days eingeführt, Curricula geschrieben und verpflichtende Trainings für unterschiedliche Levels entworfen. Auf dem diesjährigen Leadership Summit habe ich betont, dass es unsere Verantwortung als Führungskräfte ist, die gesamte Organisation mitzunehmen und unsere Prozesse neu aufzustellen. Wir werden uns jeden Job anschauen – viele Rollen werden sich verändern, neue und hybride Rollen entstehen.

Personalmagazin: Scout 24 hat etwas mehr als 1.100 Mitarbeitende. Wie schaffen Sie es, in einem kleinen HR-Team auf der einen Seite eigene Prozesse zu automatisieren und auf der anderen Seite die Leute in Sachen KI zu befähigen?

Viehweger: Als schlanke Organisation arbeiten wir sehr hands-on – das ist das Erfolgsrezept von Scout. Wir hinterfragen immer wieder, ob wir die richtigen Talente am richtigen Ort haben. Seit fünf Jahren erzielen wir jährlich ein zweistelliges Wachstum, sind aber nicht in der Zahl der Mitarbeitenden gewachsen. Ich glaube daran, dass es wichtig ist, die besten Leute zusammenzubringen und Dynamik zu erzeugen. Motivierte Mitarbeitende, die ihre Arbeit mit Leidenschaft machen, sind oft produktiver als größere Teams. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr.

Wiese: Auch bei Siemens integrieren wir KI zunehmend in unsere alltägliche (P&O-)Arbeit, wir nennen das "Everyday AI". In einem weiteren Schritt geht es darum, Prozesse End-to-End neu zu denken, einen Mehrwert für das Geschäft und unsere Mitarbeitenden zu schaffen und effizienter zu arbeiten. KI spielt auch in der Portfolio-Entwicklung eine ganz entscheidende Rolle; insbesondere auch in der Automatisierung. Unser Ansatz basiert auf sogenannten "Pods" – kleinen Teams von jeweils acht Personen, die gemeinsam an Projekten arbeiten und Software entwickeln. 

Viehweger: Es ist absolut richtig, iterativ vorzugehen. Wir alle experimentieren und wissen noch nicht genau, wie das Endergebnis aussehen wird. Man muss Dinge ausprobieren und testen, was funktioniert – und gegebenenfalls wieder verwerfen, wenn es nicht klappt. Deshalb sind kleine Pilotgruppen so wichtig – je kleiner, desto besser können sie experimentieren und flexibel reagieren.

Personalmagazin: Das sind sehr gute Initiativen, um KI in der HR-Organisation voranzubringen. Gleichzeitig haben Sie als CHROs die Verantwortung, das Thema Veränderungen durch KI ins Leadership-Team zu tragen. Die ganze Organisation muss ja wissen, welche Rolle KI für die Weiterentwicklung der Geschäfte und die Jobs der Mitarbeitenden hat.  Wie gehen Sie da vor?

Wiese: Wir verfolgen den Ansatz "divide and conquer".  Als People-Funktion übernehmen wir die Rolle, die "Everyday AI" im Unternehmen zu verankern und unsere Mitarbeitenden dazu zu motivieren, kontinuierlich neue Dinge auszuprobieren. Gleichzeitig suchen wir nach Anwendungsfällen in Geschäftsbereichen und Funktionen, mit denen sich große Produktivitätsfortschritte durch KI erzielen lassen. Ein Beispiel: Wenn wir Züge verkaufen, muss man oft mehrere tausend Seiten Ausschreibungsunterlagen durcharbeiten. Hier kann uns KI massiv unterstützen. Die Anwendungsfälle sind vielfältig, in jeder Einheit sind es andere. Aber unterm Strich ist es zurzeit noch schwer zu sagen, wie viel produktiver Siemens insgesamt durch den Einsatz von KI geworden ist.

Raubt die KI am Ende Jobs?

Personalmagazin: Wir reden über Produktivitätssteigerungen – über die Jobabbauprogramme, die die Technologie auslöst, haben wir noch nicht gesprochen. Raubt die KI uns am Ende die Jobs, Frau Viehweger?
Viehweger: KI verändert bereits heute den Jobmarkt – in Deutschland, Europa, im Silicon Valley. Dazu kommt der demografische Wandel. Beides zusammen wird den Arbeitsmarkt grundlegend verändern. Wir können nicht vorhersagen, wie genau das aussehen wird. Aber wir können uns vorbereiten: indem wir die besten Talente gewinnen, unsere Teams kontinuierlich weiterentwickeln und eine Kultur schaffen, in der Menschen gerne arbeiten und bleiben. Das ist unsere Aufgabe als HR.

„Wir müssen den Menschen auf­zeigen, wie sie in ihren Jobs relevant bleiben oder einen verwandten Karriereweg ein­schlagen können.“ Judith Wiese

Wiese: Es wird zu Umbrüchen kommen, aber ich wage in diesen Tagen keine quantitativen Prognosen zur Jobentwicklung. Klar ist schon heute: Aufgrund des demografischen Wandels werden uns über die nächsten zehn Jahre rund 15 Prozent der Mitarbeitenden wegbrechen. Die Frage ist, wie wir dann die richtigen Menschen an die richtigen Stellen bekommen. Wir arbeiten intensiv daran, unseren Mitarbeitenden – auch gezielt mit Hilfe von KI – Möglichkeiten aufzuzeigen, was sie lernen können, um im eigenen Job relevant zu bleiben oder einen verwandten Karrierepfad einzuschlagen. Die Halbwertszeit des Wissens beträgt heute im Technologiebereich nicht mal mehr fünf Jahre. Daher brauchen wir Menschen, die stetig weiter lernen. Es wird Veränderungen geben – das sollten wir nicht wegdiskutieren. Unser Anspruch ist es, diese vorauszudenken und unseren Mitarbeitenden aufzuzeigen, welche Fähigkeiten künftig relevant sind, damit sie ihre Beschäftigungsfähigkeit sichern können. 

Personalmagazin: Ist die Sorge berechtigt, dass Deutschland den Anschluss bei KI verlieren könnte?

Anderson: Ich bin Optimist. Wir haben die zweithöchste Nutzungsrate von Chat GPT in den Bezahlversionen. Viele KI-Modelle sind Open Source – die Technologie ist also gewissermaßen demokratisiert. Es wird nun darum gehen, die Anwendungsfälle und die guten Ideen zu finden. Und da sind wir jenseits von generativer KI gut aufgestellt. Ich sehe die Probleme weniger aufseiten der Unternehmen als auf der politischen Seite.
Wiese: Die USA und China entwickeln sich mit einer enormen Geschwindigkeit. Aber wir haben einen großen Vorteil: Wir haben in Deutschland und in Europa eine riesige Industriebasis – und ein entsprechend großes Datenfundament. Wenn wir ein "Foundation Model" für die Industrie bauen können, das die Ingenieurssprache versteht, könnten wir hier führend sein. Europa und die deutsche Industrie müssen wieder Felder finden, in denen sie Vorreiter sind. 

Viehweger: Der EU-AI-Act hat Vor- und Nachteile. Wir waren die ersten mit einem solchen Framework, und ich finde wichtig, dass wir die Debatte führen und ethische Leitplanken setzen. Für uns als Unternehmen ist entscheidend, dass wir uns nicht einseitig abhängig machen – weder von einzelnen Anbietern noch von bestimmten Märkten. Das schafft auch Chancen für europäische Anbieter, überzeugende Lösungen zu entwickeln.


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 1/2026. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.


Wenn Sie dieser Artikel interessiert hat, könnten Sie auch diese Beiträge aus dem Titelthema der Ausgabe 12/2025 interessieren:

KI befreit nicht vom Denken: KI verändert den Arbeitsmarkt. Davor fürchten sich viele. Doch richtig eingesetzt, wird KI nicht zum Jobkiller, sondern zum Transformationsfaktor. Und analoge Fähigkeiten könnten in einem automatisierten Arbeitsmarkt zum
entscheidenden Vorteil werden.

„KI zwingt uns, Machtverhältnisse zu überdenken.“ Katharina Hölzle, Leiterin der Fraunhofer IAO erklärt im Interview, welche Fehler Unternehmen jetzt nicht begehen dürfen und wie Deutschland seine Innovationskraft zurückgewinnt.

KI strategisch verankern: Wie Trumpf Künstliche Intelligenz mehrdimensional in der Organisation verankert und AI-Literacy fördert

Pioniere der KI-Kultur: Wie Beschäftigte den Umgang mit Künstlicher Intelligenz verinnerlichen und Unternehmen fit für die Zukunft
werden.

Agenten im Team: Wer Künstliche Intelligenz als Teammitglied integrieren will, muss Arbeitsstrukturen grundlegend neu denken. Es braucht klare Regeln für die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine sowie eine präzise Steuerung und Evaluation des KI-Einsatzes.


Schlagworte zum Thema:  Künstliche Intelligenz (KI) , Leadership
0 Kommentare
Das Eingabefeld enthält noch keinen Text oder nicht erlaubte Sonderzeichen. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingabe, um den Kommentar veröffentlichen zu können.
Noch keine Kommentare - teilen Sie Ihre Sicht und starten Sie die Diskussion