Entscheidungsstichwort (Thema)

Erweiterter Begriff des Arbeitsunfalls. Hilfsbetriebe der Seefahrt. Grenzwert bei Alkoholgenuß eines Radfahrers

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff des Arbeitsunfalles iS von § 838 Nr 2 RVO.

 

Orientierungssatz

1. Der erweiterte Versicherungsschutz nach § 838 Nr 2 RVO kommt nur Arbeitnehmern zugute, deren Arbeitsbereich sich auf einem Schiff befindet. Eine Ausdehnung des § 838 RVO auf die nach § 835 RVO in die See-Unfallversicherung einbezogenen Beschäftigten entspricht weder der Geschichte noch dem Zweck der Vorschrift.

2. Die Rechtsprechung des BSG zur absoluten Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille (vgl BSG 1972-08-31 2 RU 152/70 = BSGE 34, 261) kann für Radfahrer nicht herangezogen werden, weil ein Grenzwert für Radfahrer in der Rechtsprechung des BSG und des BGH nicht anerkannt ist (vgl BSG 1962-12-18 2 RU 194/60) = BSGE 18, 179; vgl BGH 1963-08-07 4 StR 270/63 = BGHSt 19, 82).

 

Normenkette

RVO § 838 Nr 2 Fassung: 1963-04-30, § 835 Fassung: 1963-04-30, § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 22.06.1983; Aktenzeichen L 4 U 65/82)

SG Kiel (Entscheidung vom 27.05.1982; Aktenzeichen S 5 U 64/81)

 

Tatbestand

Mit der vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen Revision wendet die Beklagte sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von Witwenrente an die Klägerin zu 1). Diese ist die Witwe des am 16. April 1980 ertrunkenen H S , welcher bis zu seinem Tode als Molenwärter bei dem M K tätig war.

Am 16. April 1980 begann S. seinen Dienst um 7.30 Uhr. Bis 11.50 Uhr verlegte er zusammen mit einem Arbeitskollegen (W.) Kabel auf der T . Gegen 13.30 Uhr wurde S. zum letzten Mal von einem anderen Arbeitskollegen (F.) auf der Mole gesehen. Gegen 15.10 Uhr fand F. die Leiche des S. nahe der Mole im Wasser treibend. Das Fahrrad des S. befand sich am Molenrand. Es steckte mit dem Vorderrad unter der dort befindlichen unteren Absperrkette; der Lenker lehnte an der oberen Absperrkette, das Hinterrad stand frei. Die 200 m lange Mole war mit einer 80 bis 90 cm hohen Kette umfaßt. Auf der Mole befanden sich einige in die Luft ragende Eisenträger. Der Verstorbene soll Nichtschwimmer gewesen sein. Als Ergebnis der Leichenbesichtigung und Obduktion wurde Tod durch Ertrinken angenommen. In der am 17. April 1980 um 7.45 Uhr entnommenen Urinprobe fand sich ein Alkoholgehalt von 4,13 %o, die Blutalkoholkonzentration betrug 2,94 %o. Unter Berücksichtigung einer bei Tod durch Ertrinken möglichen Alkoholneubildung infolge Durchsetzung des Blutes mit gärungsfähigen Keimen aus dem Wasser bezifferte der Gutachter Prof. Dr.G (Prof. Dr. G.) die Blutalkoholkonzentration mit mindestens 2,4 %o. Gleichzeitig vertrat er die Auffassung, daß aus dem Blutalkoholgehalt allein nicht auf Volltrunkenheit geschlossen werden könne. Es sei davon auszugehen, daß ein alkoholgewöhnter Mensch bei diesem Blutalkoholgehalt noch Tätigkeiten einfacher Art ausführen, während ein trinkungewohnter bereits volltrunken sein könne. In jedem Fall müsse aber angenommen werden, daß bei einer solchen Alkoholkonzentration Störungen bei Tätigkeiten aufträten, bei denen es auf fein abgestufte Bewegungsabläufe, besondere Aufmerksamkeit, vorausschauendes Handeln, klaren Überblick, emotionale Stabilität usw ankomme. Die oben genannten Arbeitskollegen des S. hatten keine Alkoholeinwirkung bemerkt.

Der von den Klägerinnen am 9. September 1980 gestellte Antrag auf Hinterbliebenenleistungen wurde von der Beklagten durch Bescheid vom 11. Mai 1981 mit der Begründung abgelehnt, der Verstorbene sei wegen Volltrunkenheit zum Unfallzeitpunkt nicht in der Lage gewesen, eine dem Unternehmen dienende zweckgerichtete Arbeit zu verrichten. Der Alkoholeinfluß sei die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalles gewesen. Das Sozialgericht (SG) Kiel hat die Beklagte durch Urteil vom 27. Mai 1982 verurteilt, den Klägerinnen einen Bescheid zu erteilen, nach welchem der Klägerin zu 1) eine Witwenrente, der Klägerin zu 2) eine Waisenrente sowie Sterbegeld und Überbrückungshilfe zu gewähren ist. Das LSG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten durch Urteil vom 22. Juni 1983 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Zulässig sei die Berufung nur hinsichtlich der Witwenrente. Die Berufung sei jedoch unbegründet. Für den verstorbenen Ehemann der Klägerin habe der erweiterte Unfallversicherungsschutz des § 838 Nr 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) bestanden. Daher komme es nicht darauf an, ob sich der Unfall bei einer dem Betrieb dienenden oder aber bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des S. ereignet habe. Der Versicherungsschutz sei auch nicht deshalb ausgeschlossen gewesen, weil S. vor dem Unfall volltrunken oder infolge übermäßigen Alkoholgenusses zu keiner wesentlichen Arbeitsleistung mehr imstande gewesen sei, oder weil seine Alkoholisierung die allein wesentliche Unfallursache gewesen sei. Insoweit seien ausreichende Feststellungen nicht möglich. Fest stünde nur, daß der Verstorbene während seiner Arbeitszeit an seiner Arbeitsstelle ins Wasser gestürzt sei. Zur Frage, wie er ins Wasser stürzte, seien nur Vermutungen möglich. Ein Verlust des Versicherungsschutzes wegen absoluter Fahruntüchtigkeit oder Volltrunkenheit könne nicht angenommen werden. Die Unaufklärbarkeit der näheren Umstände gehe insoweit zu Lasten der Beklagten.

Die Beklagte hat die Revision auf ihre Verurteilung zur Zahlung von Witwenrente an die Klägerin zu 1) beschränkt und zur Begründung ua ausgeführt: Das LSG habe § 838 Nr 2 RVO unrichtig angewendet. Es habe verkannt, daß nicht die dem Hafen eigentümliche Gefahr, sondern die Trunkenheit des S. ursächlich für den Unfall gewesen sei. Daher sei S. nicht versichert gewesen. Aufgrund der starken alkoholischen Beeinflussung des Verstorbenen spreche eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß er ab 11.50 Uhr, dem Zeitpunkt der Beendigung der Kabelverlegungsarbeiten, dem Alkohol zugesprochen habe. Dies sei keine berufliche, sondern vielmehr eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gewesen. Es bestehe deshalb die ernsthafte Möglichkeit, daß S. in Ausübung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit oder infolge einer inneren, betriebsfremden Ursache in das Hafenbecken gestürzt sei. Sollte es darauf ankommen, ob S. sich durch den Alkoholgenuß vom Unternehmen gelöst habe, müsse der Sachverhalt genauer aufgeklärt werden. Das LSG habe dann festzustellen, welche konkreten Arbeiten dem Verstorbenen am Unfalltag oblegen hätten und anschließend den Gutachter zu befragen, ob S. trotz seiner erheblichen alkoholischen Beeinflussung in der Lage gewesen sei, sämtliche dem mutmaßlichen Willen seines Arbeitgebers entsprechende Tätigkeiten körperlich und geistig zweckgerichtet zu bewältigen. Sollte sich herausstellen, daß sich S. am Unfalltage zur Erledigung seiner Molenwärtertätigkeiten seines Fahrrades hätte bedienen wollen oder müssen, sei bei der Prüfung des Versicherungsschutzes zu beachten, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes -BGH- (NJW 1982, 588) ein Radfahrer im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen 1,5 %o und 2 %o absolut fahruntüchtig sei. Dies müsse auch für eine Radfahrt auf einer Hafenmole gelten.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. Juni 1983 abzuweisen, soweit die Klägerin zu 1) Hinterbliebenenrente begehrt, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin zu 1) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Verstorbene sei entgegen der Ansicht der Beklagten den einem Hafen eigentümlichen Gefahren, nämlich der unmittelbaren Nähe des tiefen Wassers, erlegen. Die Argumentation der Beklagten widerspreche den Feststellungen des LSG und beruhe auf vagen Vermutungen.

 

Entscheidungsgründe

Da das LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG bezüglich ihrer Verurteilung zur Gewährung von Sterbegeld, Überbrückungshilfe und Waisenrente an die Klägerin zu 2) als unzulässig verworfen und die Beklagte insoweit kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist im Revisionsverfahren nur noch über den von der Klägerin zu 1) geltend gemachten Anspruch auf Witwenrente zu entscheiden. Auf die Ausführungen der Beklagten zur Zulässigkeit der Berufung braucht der Senat daher nicht einzugehen.

Die Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als das Urteil des LSG hinsichtlich seiner Entscheidung über den Anspruch auf Witwenrente aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die Feststellungen des LSG reichen für eine Entscheidung über diesen Anspruch nicht aus.

Bei Tod durch Arbeitsunfall ist vom Todestag an Witwenrente zu gewähren (§ 589 Abs 1 Nr 3 RVO). Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ua ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in § 539 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Diese Vorschrift gilt entgegen der Annahme des LSG und der Verfahrensbeteiligten im vorliegenden Rechtsstreit ohne Einschränkung auch in der See- Unfallversicherung; ihr gehörte der Verstorbene als Molenwärter bei dem K an, weil es sich dabei um ein der Seefahrt dienendes Unternehmen handelt (§ 835 RVO).

Der erkennende Senat teilt die Ansicht des LSG und der Beteiligten nicht, wonach hier erweiterter Unfallversicherungsschutz nach § 838 Nr 2 RVO gegeben ist. In der See-Unfallversicherung ist zwar von jeher (§§ 1052 bis 1054 RVO aF, 838 RVO) der ursächliche Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Unfall eher bejaht worden als in der allgemeinen Unfallversicherung. Dieser erweiterte Versicherungsschutz kommt jedoch nur Arbeitnehmern zugute, deren Arbeitsbereich sich auf einem Schiff befindet. Die besonderen Verhältnisse und Gefahren der Schiffahrt, die zu einer Ausdehnung des Versicherungsschutzes geführt haben (s schon RVA AN 1896, S 422; vgl weiter Schauseil, Die See-Unfallversicherung, 1912, § 1052 Anm 2 mwN aus der Rechtsprechung des RVA; ferner BSGE 14, 197; 42, 129; Begründung des Entwurfs zu § 835 = § 838 RVO des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes -UVNG- 1963, BT-Drucks IV/120 S 75), liegen bei den an Land Tätigen nur in eingeschränktem Umfang vor. Soweit § 838 RVO nicht bereits seinem Wortlaut nach auf Beschäftigte im Schiffsbetrieb beschränkt ist (so Nrn 3 und 4), ergibt sich diese Einschränkung aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Vorschrift:

§ 838 Nr 2 RVO ist durch das UVNG vom 30. April 1963 (BGBl I S 241) neu in die RVO eingefügt worden. Die Vorschrift erweitert den Versicherungsschutz auf Unfälle im Hafengebiet, soweit der Unfall durch eine dem Hafen eigentümliche Gefahr eingetreten ist. Mit dieser Regelung sollten eigenwirtschaftliche Tätigkeiten unter Versicherungsschutz gestellt werden; denn der betriebsbedingte Aufenthalt im Hafen ist ohnehin gem § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versichert. § 838 Nr 2 RVO ist eine Festschreibung und Weiterentwicklung der durch die Rechtsprechung eingeleiteten Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf den erweiterten Gefahrenbereich des Schiffes. Schon das RVA hat den Zugang von der Anlegestelle zum Schiff und den Teil des Kaiufers, den das Schiff einnimmt, als zum örtlichen Bereich des Schiffsbetriebes gehörig angesehen (RVA, AN 1907, 471; s ferner Schauseil, aaO, § 1056 Anm 4 und 5; BSGE 14, 197, 203). Das RVA hat es dagegen abgelehnt, "das ganze Hafengebiet als Teil der Betriebsstätte der Schiffsleute aufzufassen und daher die Wege durch dieses Gebiet als versichert anzusehen, ohne Rücksicht darauf, daß sie aus dienstlichen oder aus eigenwirtschaftlichen Gründen zurückgelegt worden sind" (RVA aaO). Diese Beschränkung des Versicherungsschutzes war für den Gesetzgeber des UVNG Anlaß zur Regelung in § 838 Nr 2 RVO, damit nicht nur der Liegeplatz des Schiffes, sondern auch das mit diesem Liegeplatz zusammenhängende Hafengebiet als Unfallquelle berücksichtigt wurde; die bei der Seefahrt Beschäftigten sollten innerhalb des gesamten Hafengebietes gegen die eigentümlichen Gefahren geschützt werden (s die Begründung zum Entwurf des UVNG, BT-Drucks IV/120 S 75 zu § 835 Nr 2). Dies hatte schon der Regierungsentwurf vorgesehen (BT-Drucks III/758 S 7).

Die Gesetzesmaterialien erweisen somit, daß mit der Regelung des § 838 Nr 2 RVO den Besonderheiten und den spezifischen Gefahren Rechnung getragen werden sollte, denen die Beschäftigten bei der Seefahrt ausgesetzt sind. Nicht der besonders gefährliche Arbeitsplatz "Hafen", sondern die Notwendigkeit, daß Seeleute dieses Gebiet beim Landgang zwangsläufig zu durchqueren haben, war Grund für die Ausdehnung des Versicherungsschutzes.

Einer solchen einschränkenden Auslegung steht auch § 835 RVO nicht entgegen. § 835 RVO beinhaltet eine Zuständigkeitsregelung und bestimmt, welche Unternehmen mit ihren gegen Arbeitsunfall Versicherten zur See-Unfallversicherung gehören (Lauterbach, aaO, § 835 Anm 2; Schwarzenberg in: SGB - Sozialversicherung -, Gesamtkommentar, § 835 Anm 1). Eine Begrenzung oder Festlegung des Haftungsumfangs enthält die Vorschrift dagegen nicht. Während zuerst im wesentlichen nur Besatzungsmitglieder (Seeleute) und darüber hinaus ein kleiner Kreis von Beschäftigten, die ebenfalls den Gefahren des Wassers ausgesetzt waren, in der See-Unfallversicherung versichert waren, ist der Kreis der Versicherten kontinuierlich erweitert worden, bis im Jahre 1942 die geltende Regelung, wonach auch die der Seefahrt dienenden Betriebe der See-Unfallversicherung unterliegen, eingeführt worden ist (§ 1046 RVO aF, § 835 RVO; zur Geschichte der See-Unfallversicherung s Bernd Dieter, Die historischen, tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten der See-Unfallversicherung, in Festschrift für Lauterbach zum 60. Geburtstag, 1961, S 119ff). Nunmehr können als Hilfsbetriebe zB auch Reparaturbetriebe, Frachtkontore, Reisebüros und Speditionsunternehmen von Reedereien der See-Unfallversicherung angehören (Lauterbach, aaO, § 835 Anm 9). Gerade aus der generalklauselartigen Fassung des § 835 RVO ergibt sich die Notwendigkeit, den § 838 Nr 2 RVO dahingehend auszulegen, daß er nur auf den eigentlichen Schiffahrtsbetrieb Anwendung findet. Eine Ausdehnung des § 838 RVO auf die nach § 835 RVO in die See-Unfallversicherung einbezogenen Beschäftigten entspricht weder der Geschichte noch dem Zweck der Vorschrift. Aus diesem Grunde wird die gleichzeitig durch das UNVG in das Unfallversicherungsrecht eingefügte Vorschrift des § 552 RVO, die vorbereitet durch die Rechtsprechung (vgl BSGE 14, 197), hinsichtlich der Erweiterung des Versicherungsschutzes die Binnenschiffahrt der Seeschiffahrt gleichstellt, nur für den eigentlichen Schiffahrtsbetrieb für anwendbar erachtet, nicht aber für Hilfs- oder Nebenbetriebe von Schiffahrtsunternehmen, die zwar als dessen Bestandteil bei der Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft, jedoch nicht dem Schiffahrtsbetrieb als solchem zuzurechnen sind (Lauterbach, aaO, § 552 Anm 3).

Da das LSG jedoch auch im vorliegenden Falle von der Anwendbarkeit des § 838 RVO ausgegangen ist, hat es folgerichtig nicht geprüft, ob S. zum Zeitpunkt des Unfalles eine versicherte oder eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat. Diese Prüfung hat das LSG nachzuholen. Erst danach kann festgestellt werden, ob der Sturz des S. ins Wasser bei seiner versicherten Tätigkeit erfolgte. Der Feststellung einer bestimmten Ursache für den Sturz, wie zB ein Ausgleiten oder Stolpern über die sich auf der Mole befindenden Eisenträger, bedarf es dabei nicht (BSG SozR 2200 § 550 Nr 35; BSG Urteil vom 30. November 1972 - 2 RU 119/71 -; BSG Urteil vom 29. Februar 1984 - 2 RU 24/83 -; Podzun, ZfS 1974, 101).

Die Revision macht weiterhin geltend, das LSG habe den Einfluß des - betriebsfremden - Alkoholgenusses des S. auf den Versicherungsschutz verkannt. Das trifft nach der Überzeugung des Senats nur zum Teil zu. Das LSG hat allerdings keine ausdrücklichen Feststellungen darüber getroffen, ob der Verstorbene zum Zeitpunkt des Unfalles trotz seines Alkoholgenusses noch zu der ihm obliegenden Arbeit fähig war. Das LSG hat aber auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. G. und im Anschluß an die Feststellung, daß die Arbeitskollegen des Verstorbenen, als sie diesen zum letzten Mal gesehen haben, eine Alkoholeinwirkung nicht bemerkt hätten, rechtsfehlerfrei angenommen, daß S. sich bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,4 %o nicht im Vollrausch befand (s dazu BSGE 48, 224, 227; BSG Urteil vom 22. Januar 1976 - 2 RU 239/73 - unveröffentlicht) und noch einfache Handlungen zweckgerichtet ausführen konnte. Es kommt allerdings darauf an, ob S. die ihm obliegenden Arbeitsvorgänge noch hat leisten können (BSGE aaO). Steht dies zur Überzeugung des LSG fest, so hat das LSG zu prüfen, ob S. bei seiner Tätigkeit als Molenwärter verunglückte. Sollte das LSG dabei zu dem Ergebnis kommen, daß S. zum Zeitpunkt seines Unfalles eine versicherte Tätigkeit ausübte, wäre Versicherungsschutz nur zu verneinen, wenn S. allein infolge des Alkoholgenusses verunglückte. Da es, wie bereits ausgeführt, auf bestimmte sonstige Ursachen für den Sturz ins Wasser nicht ankommt, hätte S. einen Arbeitsunfall erlitten, wenn sich bei seiner Arbeit als Molenwärter, die zu verrichten er noch imstande war, der Unfall ereignet hätte.

Die Revision kann sich übrigens nicht darauf stützen, daß S. absolut fahruntüchtig gewesen sei. Die Rechtsprechung des BSG zur absoluten Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 %o (s BSGE 34, 261, 264 mwN) kann hier schon deshalb nicht herangezogen werden, weil ein Grenzwert für Radfahrer in der Rechtsprechung des BSG und des BGH nicht anerkannt ist (s BSGE 18, 179, 183; BGHSt 19, 82). Außerdem hat S. sich mit seinem Fahrrad nicht im Straßenverkehr, sondern an seinem Arbeitsplatz bewegt. Außerhalb des Straßenverkehrs gibt es nach der Rechtsprechung des Senats derart verschiedenartige Tätigkeiten mit unterschiedlichen Anforderungen an die Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit eines Versicherten, daß schon aus diesem Grunde allgemeingültige Grenzwerte der BAK nicht anzuwenden sind (zuletzt BSG Urteil vom 8. Oktober 1981 - 2 RU 45/80 -). Abgesehen davon hat das LSG nicht festgestellt, ob sich S. zum Unfallzeitpunkt seines Fahrrades bedient hat.

Das LSG wird die fehlenden Feststellungen treffen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1663966

BSGE, 88

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