Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 22. Oktober 1957 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Klägerin war mit dem Schiffseigner Albert Focke (F.) verheiratet, der als Kleinschiffer bei der Beklagten pflichtversichert war und an 14. oder 15. April 1954 im Berliner Westhafen ertrunken ist. F. war mit seinen Motorschiff Fortuna etwa an 10. April 1954 in Berlin eingetroffen; das Schiff wurde in Hafenbecken I des Westhafens festgemacht, die Entfernung zwischen Schiffswand und Kaimauer betrug etwa 70 cm, über diesen Zwischenraum führte kein Steg. Während der Liegezeit – die Fortuna mußte einige Tage auf Rückladung warten – waren der Bootsmann und der Schiffsjunge nach Tangermünde in Urlaub gefahren. Das Ehepaar F. hatte am Abend des 13. April 1954 mehrere Lokale aufgesucht, dabei hatte F. in dem Lokal Sch. seine Mütze liegen gelassen. An Vormittag des 14. April 1954 verließ F. das Schiff, um zunächst nach seiner Mütze zu forschen, die er im Lokal Sch. zurückerhielt, und sodann Paßbilder beim Fotografen abzuholen. Gegen 14 Uhr betrat er die Kantine des Westhafens, wo er in Gesellschaft von Bekannten Bier und Kognak trank. Um 16,30 Uhr verließ F. die Kantine; er wurde zuletzt auf den etwa 600 bis 800 m langen Weg von der Kantine zu seinem Schiff beobachtet. Die Klägerin, die auf dem Schiff geblieben war, hatte nach ihrer Behauptung keine besonderen Vorkommnisse in Umkreis des Schiffes bemerkt. Am 15. April 1954 um 5,30 Uhr wurde sie unruhig und ging zur Hafenkantine, wo sie über den Verbleib ihres Mannes nichts erfahren konnte. Als die Klägerin gegen 8 Uhr wieder zum Schiff zurückkehrte, entdeckte sie in Wasser zwischen Kaimauer und Schiffswand eine Mütze. Die nunmehr alarmierte Wasserschutzpolizei holte die nahe am Bug schwimmende Leiche des F. aus den Wasser. Als Todesursache nahm die Kriminalpolizei Ertrinken an; das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wurde eingestellt. Das von der Beklagten eingeholte Gutachten des Dr. Portheine von Hygieneinstitut des Ruhrgebiets gelangte – in Ermangelung einer Blutalkoholbestimmung – allein durch Schätzungen zu den Ergebnis, bei F. habe nach Verlassen der Hafenkantine ein Blutalkoholgehalt von 1,2 bis 1,5 ‰ vorgelegen, eine alkoholbedingte Lösung vom Betrieb sei wahrscheinlich. Die Beklagte lehnte hierauf durch Bescheid vom 28. März 1955 den Entschädigungsanspruch der Klägerin ab; Es sei anzunehmen, daß F. am 14. April 1954 zwischen 16,30 und 17,30 Uhr zwischen der Kaimauer und seinem Schiff ins Wasser gefallen und ertrunken sei. Er habe sich vorher mehrere Stunden aus privaten Gründen an Land aufgehalten, deshalb scheide ein Arbeitsunfall aus. Auch ein Wegeunfall im Sinne des § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei nicht anzuerkennen, da F. auf dem Schiff, seiner Arbeitsstätte, zugleich gewohnt habe und der Rückweg von einer privaten Tätigkeit versicherungsrechtlich ebenso zu beurteilen sei wie der Hinweg. Darüber hinaus habe sich F. durch erheblichen Alkoholgenuß vom Betrieb gelöst, so daß der Versicherungsschutz auch entfalle, wenn zu unterstellen sei, F. sei einer Betriebsgefahr erlegen.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die hiergegen erhobene Klage durch Urteil vom 12. November 1956 abgewiesen: Übermäßiger Alkoholgenuß des F. sei nicht mit Sicherheit nachzuweisen; die Frage einer alkoholbedingten Lösung vom Betrieb könne jedoch dahingestellt bleiben. Ein Arbeitsunfall des F. liege nicht vor, weil nicht feststehe daß er erst nach dem Betreten des Motorschiffes Fortuna in das Hafenbecken gefallen und ertrunken sei. Wenn F. beim Anbordgehen ins Wasser gefallen sei, könne keine Rede davon sein daß er sich im Bann seines Betriebes befunden habe; denn es sei zu berücksichtigen, daß er einen mit der betrieblichen Tätigkeit nicht zusammenhängenden Landgang ausgeführt hatte Aus diesem Grunde liege auch ein Wegeunfall nicht vor.

Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 22. Oktober 1957 den Bescheid der Beklagten sowie die Entscheidung des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Sterbegeld und Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das LSG ist davon ausgegangen, für die – aus den Angaben einiger polizeilich vernommener Zeugen folgende – Vermutung, F. könne erst in der Nacht zum 15. April 1954 verunglückt sein, spreche keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, vielmehr sei anzunehmen, daß F. an 14. April 1954 nachmittags bei der Rückkehr auf sein Schiff ertrunken sei, wobei es nicht darauf ankomme, ob er sein Schiff bereits betreten hatte, beim Übersteigen abstürzte oder in unmittelbarer Nähe des Schiffes von der Kaimauer fiel. Die Auffindung der Leiche lasse erkennen, daß F. jedenfalls im unmittelbaren Gefahrbereich seines Schiffes zu Tode gekommen sei. F. sei an sich von einem aus rein privaten Gründen unternommenen und deshalb unversicherten Landgang zurückgekehrt. Der Versicherungsschutz habe solange nicht bestanden, bis F. wieder in den Gefahrbereich seines Betriebes gekommen sei. Dieser sogenannte Betriebsbann erstrecke sich in der Binnenschiffahrt und ähnlichen Betrieben nicht nur auf das Schiff allein, sondern auch auf die Strecke vom Schiff zum Ufer und auf die Kaimauer in angemessener Entfernung vom anliegenden Schiff. Wege, die gerade bei Betrieben dieser Art in geringer Entfernung zum Schiff mannigfache Gefahren mit sich brächten, seien nach § 542 RVO versichert. Dieser vom Reichsversicherungsamt (RVA) in mehreren Entscheidungen vertretene Standpunkt sei von der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit übernommen worden. Unrichtig sei die Auffassung der Beklagten, ein Binnenschiffer genieße nur dann Versicherungsschutz, wenn er unmittelbar eine betriebliche Tätigkeit ausübe. Die auf das RVA zurückgehende Rechtsprechung sei auch nicht gegenstandslos geworden durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung von 9. März 1942 welches an Stelle der Betriebs- die Personenversicherung eingeführt habe. Hier seien die für die Anerkennung des Betriebsbanns maßgebenden Gründe nicht berührt worden. Die Besonderheit der Binnenschiffahrt bestehe gerade darin, daß der Binnenschiffer im Regelfall auf dem Schiff seine Arbeitsstätte und zugleich seine Wohnung habe. Mit dem Aufenthalt auf dem Schiff und der Tätigkeit als Schiffer seien also zwangsläufig Gefahren verbunden, die jederzeit auch bei einer privaten Verrichtung wirksam werden könnten; insbesondere gelte dies beim Überbordgehen und für die Gefahr des Ertrinkens. Dieser Gefahrbereich erstrecke sich nicht nur auf das Schiff, sondern auch auf Liegeplatz, Hafenbecken, Kanal- und Kaimauer. Allerdings könnte die für die Seeunfallversicherung geltende Vorschrift des § 1053 RVO nicht entsprechend auf Binnenschiffer angewandt werden; deren Versicherungsschutz richte sich grundsätzlich nur nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 537 ff RVO. Sei jedoch ein Binnenschiffer einer auf die Besonderheiten der Binnenschiffahrt zurückzuführenden Gefahr erlegen, dann stehe ein solcher Unfall, auch wenn er sich bei der Rückkehr von einer privaten Tätigkeit an Land ereignete, nach den Grundsatz der wesentlichen Mitverursachung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Schließlich hat das LSG ausgeführt, eine Lösung vom Betrieb durch Trunkenheit des F. könne auf Grund der von der Beklagten und der Staatsanwaltschaft getroffenen Ermittlungen nicht angenommen werden. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 30. November 1957 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Dezember 1957 Revision eingelegt und sie am 18. Januar 1958 begründet. Sie trägt vor, im Unterschied zur Seeschiffahrt mit ihren – den gewöhnlichen Versicherungsschutz nach §§ 542, 543 RVO ausdehnenden – Sondervorschriften (§§ 1052, 1053 RVO) unterliege die Binnenschiffahrt der allgemeinen Unfallversicherung, in welcher der Begriff des Betriebsbanns gesetzlich nicht berücksichtigt sei. Dieser Begriff sei durch die – im wesentlichen über 60 Jahre zurückliegende, heute als überholt anzusehende – Rechtsprechung des RVA entwickelt worden. Nach 1945 sei diese Rechtsprechung allerdings in mehreren Entscheidungen der LSGe Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hamburg und des Hessischen LSG fortgesetzt worden. Dieser Rechtsprechung fehle jedoch eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Die Gefahrbereiche in der Seeschiffahrt und in der Binnenschiffahrt seien im wesentlichen identisch Trotzdem habe der Gesetzgeber sie bewußt verschieden behandelt und für die Binnenschiffahrt die Grundsätze der allgemeinen Betriebsversicherung als ausreichend erachtet. Dementsprechend dürfe auch die Rechtsprechung auf Grund der für die Binnenschiffahrt geltenden Vorschriften lediglich diejenigen Unfälle als entschädigungspflichtig ansehen, die sich während der Betriebszeit bei der Beschäftigung auf der Betriebsstätte – d. h. auf dem Schiff selbst, außerhalb desselben nur bei Betriebsgängen ereignen. Das RVA habe ursprünglich wegen des seinerzeit nicht bestehenden Versicherungsschutzes für Wegeunfälle (jetzt § 543 RVO) den Begriff des Betriebsbanns geschaffen, um billigerweise für die zur Verpflegung der Binnenschiffer notwendigen Landgänge den Versicherungsschutz zu ermöglichen. Eine allgemeine Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf private Landgänge schlechthin in Anlehnung an die Sondervorschriften des § 1053 RVO habe das RVA jedoch nicht beabsichtigt. Insoweit habe die Rechtsprechung der LSGe den vom RVA noch innegehaltenen Rahmen überschritten. Dies stehe – zumal im Hinblick auf die Rechtslage nach dem Sechsten Änderungsgesetz – nicht in Einklang mit der gesetzlichen Regelung, wonach Versicherungsschutz nur noch für die Dauer des Tätigwerdens auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber bestehe. Die Rechtsfigur des Betriebsbanns der Binnenschiffahrt könne eigenwirtschaftliche Tätigkeit nicht – entgegen § 542 RVO – zu versicherten Arbeitstätigkeiten machen. Auch die vorliegenden Entwürfe zur Neuordnung der Unfallversicherung sähen für die Binnenschiffahrt eine dem § 1053 RVO entsprechende. Ausdehnung des Versicherungsschutzes nicht vor. Das Wohnen auf der Arbeitsstätte stelle keine besondere Eingentümlichkeit allein der Binnenschiffahrt dar, sondern komme in Unternehmen der verschiedensten Art vor, so zB bei Handwerkern, Landwirten, Fabrikpförtnern; hier seien aber Unfälle im Rahmen des häuslichen Bereichs nicht als Arbeitsunfälle anzusehen, auch gebe es für die in solchen Unternehmen Tätigen nicht den Versicherungsschutz nach § 543 RVO bei Wegen, die aus privaten Gründen angetreten würden. Ein von privatem Landausflug auf das Schiff zurückkehrender Binnenschiffer sei ebensowenig nur wegen der Gefährlichkeit des Rückwegs unfallversichert, wie zB ein Landwirt oder Müller, der auf dem Heimweg vom abendlichen Umtrunk im Dorf sein Anwesen über einen schmalen Steg erreichen müsse, welcher über ein reißendes Wasser führe. Ob das LSG mit Recht eine Lösung vom Betrieb infolge Trunkenheit des F. verneint hat, läßt die Revision dahingestellt, desgleichen ob der vom LSG angenommene Zeitpunkt des Ertrinkungstodes zutrifft.

Die Beklagte beantragt,

  • das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise,

    die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

Zurückweisung der Revision.

Sie tritt der vom LSG vertretenen Rechsauffassung bei. Der Prozeßbevollmächtigte hat in den Schriftsätzen vom 26. Februar und 12. März 1958 mitgeteilt, daß die Klägerin ihren Wohnsitz von Hamburg nach Tangermünde verlegt und am 20. April 1957 wieder geheiratet habe.

Die Beklagte hat hierauf entgegnet, das angefochtene Urteil müsse schon wegen der jetzt bekanntgewordenen Übersiedlung der Klägerin in das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) aufgehoben werden; außerdem sei zu Unrecht ein Sachurteil ergangen, da das LSG über die Vornahmeklage erst nach Durchführung eines Vorverfahrens hätte entscheiden dürfen.

II

Die Revision ist statthaft durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, daher zulässig Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Die Auffassung der Revision, das angefochtene Urteil sei schon deshalb aufzuheben, weil das LSG zu Unrecht über eine Vornahmeklage entschieden habe, bevor das erforderliche Vorverfahren durchgeführt worden sei, findet im Inhalt des angefochtenen Urteils keine Stütze. Es bedarf insoweit keiner Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansichten über die Auslegung des § 54 Abs. 1 bzw. 4 SGG. Das LSG hat die Beklagte nicht zum Erlaß eines Verwaltungsakts für verpflichtet erklärt, sondern sie dem Grunde nach zur Gewährung der Hinterbliebenenentschädigung an die Klägerin verurteilt, wie dem – mit dem Berufungsantrag übereinstimmenden – Tenor des angefochtenen Urteils eindeutig zu entnehmen ist. Ein Vorverfahren war hiernach nicht erforderlich.

Bei der Entscheidung über die Revision ist nicht zu berücksichtigen, daß die Klägerin – nach ihrer Angabe im April 1957 – wieder geheiratet hat. Das LSG hat im angefochtenen Urteil die Tatsache der – damals bereits vollzogenen – Wiederverheiratung nicht festgestellt. Diese Tatsache kann – ebenso wie die anscheinend etwa gleichzeitige Übersiedlung der Klägerin in die SBZ – auf Grund des § 163 SGG im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden, da das Bundessozialgericht (BSG) grundsätzlich wegen der Bindung an den vom LSG festgestellten Sachverhalt keine eigenen Feststellungen treffen darf (vgl. BSG 9, 266, 271 mit weiteren Nachweisen). Nach Meinung des Senats besteht auch kein Anlaß, die neuen Tatsachen unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens von Wiederaufnahmegründen ausnahmsweise zu berücksichtigen. Der Entscheidungssatz des angefochtenen Urteils wird im übrigen durch die erst nach seinem Erlaß bekanntgewordenen Tatsachen der Wiederverheiratung und Übersiedlung der Klägerin nicht in Frage gestellt. Da nämlich das Grundurteil (§ 130 SGG) das LSG die Beklagte zur Gewährung von Sterbegeld und Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen verurteilt hat, begrenzt es bereits im Ausspruch die zeitliche Ausdehnung des Rentenanspruchs vom Todestag des Versicherten (§ 586 Abs. 1 Nr. 2 RVO) bis zur Wiederverheiratung der Klägerin (§ 588 Abs. 1 Satz 1 RVO); die Gewährung der Abfindung ist als Folge der Wiederverheiratung gleichfalls gesetzlich bestimmt (§ 588 Abs. 2 RVO). Die Beklagte ist auch nicht gehindert, die Frage zu prüfen, ob die Rentenbewilligung dadurch beeinträchtigt wird, daß die Klägerin ihren Wohnsitz nach Tangermünde verlegt hat und möglicherweise von dem dort bestehenden Sozialversicherungssystem erfaßt worden ist (vgl. BSG 11, 271). Um diese sich aus dem Gesetz ergebenden Begrenzungen des Klaganspruchs einzuhalten, bedarf es nach Ansicht des erkennenden Senats entgegen dem Revisionsvorbringen nicht der Aufhebung des angefochtenen Urteils.

In der Sache selbst hat der Senat den vom LSG vertretenen Standpunkt im Ergebnis gebilligt. Dabei bedurfte es keiner Prüfung der in den Vorinstanzen noch umstrittenen Frage, ob F. durch übermäßigen Alkoholgenuß am 14. April 1954 den Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gelöst hat; die Feststellungen, auf Grund deren das LSG diese Frage verneint hat, sind von der Revision nicht angegriffen worden. Vielmehr wendet sich die Beklagte jetzt nur noch gegen den vom LSG für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls herangezogenen Begriff des Betriebsbanns.

Das LSG hat insoweit eine entsprechende Anwendung der für die Seeunfallversicherung geltenden Sondervorschrift des § 1053 RVO auf den Bereich der Binnenschiffahrt abgelehnt. Dieser Auffassung ist beizupflichten, obgleich anscheinend früher zwischen den Voraussetzungen des Versicherungsschutzes in der Binnenschiffahrt einerseits und der Seeschiffahrt andererseits nicht so förmlich unterschieden worden ist; so wurde in der im Jahre 1909 erschienenen 3. Auflage des Handbuchs der Unfallversicherung (1. Band S. 111) ausgeführt, bei Schiffahrtsbetrieben (schlechthin) liege der Weg vom Schiff zum Ufer und umgekehrt bereits in Bereich der der Schiffahrt eigentümlichen Betriebsgefahren, seine Zurücklegung gelte deshalb für die Schiffsmannschaft und die auf dem Schiff arbeitenden Handwerker als eine Betriebshandlung; in der Seeunfallversicherung seien „diese Wege – offenbar zur Beseitigung von Zweifeln – ausdrücklich in die Versicherung einbezogen worden”. Eine solche Betrachtungsweise kann, wie die Revision mit Recht geltend macht, trotz der augenscheinlich engen Berührung der beiden Berufszweige nicht beibehalten werden nachdem für sie Jahrzehnte lang verschiedene – vom Gesetzgeber wiederholt neu gefaßte – unfallversicherungsrechtliche Regelungen gegolten haben. Vielmehr ist es darauf abzustellen, wie weit für die in der Binnenschiffahrt Beschäftigten der Unfallversicherungsschutz allein auf Grund der für diesen Berufszweig geltenden Vorschriften (§§ 537 bis 544 RVO) reicht. Das LSG ist der Auffassung, auch diesen Vorschriften sei – trotz fehlender ausdrücklicher Regelung – zu entnehmen, daß F. einem Arbeitsunfall zum Opfer gefallen sei. Es verweist hierfür zunächst auf die Rechtsprechung des RVA.

Hinsichtlich der Verwertbarkeit dieser Rechtsprechung ist den von der Revision vorgetragenen Bedenken z.T. eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen. Der vom RVA entwickelte Begriff des Betriebsbanns dürfte, wenn man die damals entschiedenen Fälle unter dem Blickwinkel der gegenwärtig herrschenden Rechtsauffassung betrachtet, manchmal entbehrlich gewesen sein. Dies gilt zumal von den beiden ältesten veröffentlichten Entscheidungen (AN 1887, 351 Nr. 410; 1888, 315 Nr. 593); da für die auf dem Binnenschiff wohnenden Beschäftigten die Fortsetzung der Betriebstätigkeit ohne Verpflegung nicht möglich ist, wäre ein Landgang zur Besorgung von Lebensmitteln oder nur Einnahme einer Mahlzeit als versicherter Weg von bzw. nach der Arbeitsstätte (§ 543 RVO) anzusehen, so daß es für die Bejahung des Versicherungsschutzes auf eine dem Schiffahrtsbetrieb eigentümliche Gefahr grundsätzlich nicht ankäme. Auch bei der Entscheidung vom 31. März 1942 (VZ 1943, 43) hätte es wohl kaum der Heranziehung des Betriebsbannbegriffs bedurft, der übrigens in diesem Fall vom RVA räumlich stark ausgedehnt wurde, da es annahm, der in 50 m Entfernung von seinem Lastkahn Verunglückte habe sich schon im Gefahrbereich des Schiffes befunden; vielmehr hätte es hier näher gelegen, in Anlehnung an einen ähnlichen Sachverhalt (EuM 21,2) einen Wegeunfall zu bejahen, denn der Binnenschiffer war während eines Fliegeralarms aus dem Gefühl seiner Verantwortung für Schiff und Ladung zu seinem Lastkahn geeilt. Selbständige Bedeutung in dem Sinn, daß an sich eigenwirtschaftliche Betätigungen allein wegen der betriebseigentümlichen Gefahren der Binnenschiffahrt den Versicherungsschutz genießen, hat der Begriff des Betriebsbanns jedoch in einigen anderen Entscheidungen des RVA erlangt (AN 1889, 342 Nr. 725; 1890, 189 Nr. 815, 816). Diesen Begriff hat das RVA übrigens nicht auf die Schiffahrt beschränkt, sondern ihn offenbar auch bei Betrieben anderer Art, grundsätzlich für anwendbar gehalten, wenn die Beschäftigten auf der Betriebsstätte wohnen müssen (vgl. AN 1893, 430 Nr. 1269; 1911, 510 Nr. 2506). Es mag sein, daß diese Rechtsprechung noch von der aus dem Reichshaftpflichtgesetz abgeleiteten Erwägung beeinflußt wurde, der Einwirkung einer besonderen dem Betrieb eigentümlichen Gefahr komme unfallversicherungsrechtlich eine ausschlaggebende Bedeutung zu; diese Erwägung ist vom Großen Senat des RVA in der Entscheidung Nr. 2690 (AN 1914, 411) in der Weise richtiggestellt worden, daß für die Anerkennung eines Betriebsunfalls die Einwirkung einer besonderen dem Betrieb eigentümlichen Gefahr nicht erforderlich ist, sondern daß es allein darauf ankommt, ob die den Zwecken des Betriebs dienende Beschäftigung das Zustandekommen des Unfalls wesentlich mitverursacht hat. Diese Kausalitätsnorm ist seitdem der entscheidende, auch vom erkennenden Senat beibehaltene Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob eine Betätigung unter dem Schutz der Unfallversicherung steht. Vollendet wurde diese Entwicklung durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942, seit dessen Inkrafttreten Beschäftigte in Unternehmen aller Art – ohne Rücksicht auf typische, aus der jeweiligen Arbeitstätigkeit erwachsende Unfallgefahren – gegen Arbeitsunfälle versichert sind Andererseits ist seither die Benutzung technischer Betriebseinrichtungen für sich allein nicht mehr schlechthin maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit mit der Arbeit zusammenhängt oder privater Natur ist (vgl. BSG 1, 258, 263). Die Revisionsbegründung hat diese Tendenz an sich zutreffend aufgezeigt Indessen kann ihrer Schlußfolgerung nicht vorbehaltlos beigepflichtet werden, dem Vorhandensein einer betriebseigentümlichen Gefahr komme nunmehr, da es nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium für den Versicherungsschutz darstelle überhaupt keine Bedeutung zu. Die Rechtsprechung des RVA zum Versicherungsschutz für Binnenschiffer mag zwar in der überlieferten Form einen befriedigenden Ausgangspunkt für die gegenwärtige Beurteilung der Rechtslage nicht mehr bieten; dies scheint in der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit manchmal nicht hinreichend beachtet zu werden, soweit sich eine Entscheidung, welche den Versicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt des Betriebsbanns bejaht, mit einer bloßen Bezugnahme auf die Rechtsprechung des RVA begnügt (vgl. Hess. LSG SGb 1955, 379). Vielmehr ist zu prüfen, ob es im Hinblick auf die besondere Eigenart des Binnenschifferberufs gerechtfertigt erscheint, den Versicherungsschutz auf die unmittelbare Ausübung betrieblicher Tätigkeiten zu beschränken oder ihn – im Fall der Einwirkung einer dem Schiffahrtsbetrieb eigentümlichen Gefahr – auch auf ein Verhalten zu erstrecken, welches sonst allgemein dem privaten Lebensbereich des Beschäftigten zugerechnet wird. Das angefochtene Urteil hat einen erweiterten Versicherungsschutz für Beschäftigte in der Binnenschiffahrt hauptsächlich mit der Erwägung begründet, der Binnenschiffer habe im Regelfall auf dem Schiff seine Betriebsstätte und zugleich seine Wohnung, mit dem berufsbedingten Aufenthalt auf dem Schiff seien zwangsläufig Gefahren verbunden, die jederzeit – auch bei einer privaten Verrichtung – wirksam werden könnten. Von ähnlichen Erwägungen hat sich auch die neuere Rechtsprechung leiten lassen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Breith. 1954, 897; 1961, 220; LSG Celle bzw. Niedersachsen, Breith. 1955, 830; 1959, 18; Niers. MinBl 1956, Rechtsprechungsbeilage S. 101), während das LSG Schleswig (Breith. 1958, 825) eine entsprechenden Anwendung der in der Seeunfallversicherung geltenden Regelung für angebracht gehalten hat.

Die angeführte Rechtsprechung steht jedenfalls im Ergebnis nicht – wie die Beklagte meint – in Widerspruch zu den Grundsätzen, die in der allgemeinen Unfallversicherung für die Abgrenzung des Versicherungsschutzes gelten. Sie trägt lediglich in angemessener Weise den Besonderheiten des Binnenschifferberufs Rechnung, von denen dem Senat insbesondere die beiden folgenden Umstände bedeutsam erscheinen.

Wie das LSG Nordrhein-Westfalen in einer nicht veröffentlichten Entscheidung vom 23. November 1956 (LS XIV – VI – UV 194/54) ausgeführt hat, befindet sich das Besatzungsmitglied eines Binnenschiffes während seines Aufenthalts an Bord – auch wenn eine Arbeit im eigentlichen Sinne nicht geleistet wird – in der Regel doch in der Bereitschaft für die mit dem Schiffsdienst verbundenen – oftmals völlig unvorhersehbare anfallenden – Arbeiten. Diese ständige Arbeitsbereitschaft des Binnenschiffspersonals hat arbeitsrechtlich eine besondere Ausprägung in den rahmentariflichen Regelungen gefunden, die an vielen Stellen diese Eigenart des Binnenschifferberufs erkennen lassen. Der Senat hat beispielshalber den Rahmentarifvertrag für die Rheinschiffahrt (gültig ab 1. Mai 1957) und den Tarifvertrag für die Binnenschiffahrt auf den westdeutschen Kanälen und der Weser (gültig ab 1. Januar 1959) herausgegriffen (vgl. Sammlung der Tarifverträge, herausgegeben von der Gewerkschaft ÖTV 1958, 606 ff.; 1959, 239 ff.). Die Vertragsbestimmungen zeigen zwar durchgehend das Bestreben, den Besatzungsmitgliedern eine geregelte Arbeitszeit zu sichern, das jedoch immer wieder zurücktreten muß, wenn zwingende, betriebliche Gründe die Einhaltung der Ruhezeiten verhindern. So muß während der Fahrt die Nachtruhe geopfert werden, wenn etwa Havarie, Hochwasser, Sturm, Eisgefahr, Berücksichtigung der Schleusenzeiten es erfordern (§ 2 I 4 Rheinschiffahrtvertrag, § 2 II 5 Kanal- und Weserschiffahrtsvertrag). Auch während der Liegezeiten ist über die normale Zeit hinaus zu arbeiten wenn die Betriebsverhältnisse er erfordern (§ 2 II 2 bzw § 2 III 1 aaO). Die Gewährleistung der Sonntags- und Feiertagsruhe unterliegt ähnlichen Einschränkungen (vgl. §§ 4 und 5 der angeführten Verträge). Die gleichen Grundsätze wie in den beiden angeführten Verträgen sind auch in dem Tarifvertrag vom 15. Dezember 1955 für die Binnenschiffahrt der Stromgebiete Elbe, Oder und Märkische Wasserstraßen enthalten. Wegen dieser aus den Erfordernissen des Berufs folgenden Gestaltung der an sich arbeitsfreien Zeit, die aus vielfachen vom Beschäftigten meist nicht zu umgehenden Anlässen durch Arbeitsleistung unterbrochen werden kann, erscheint es nicht vertretbar, ein Besatzungsmitglied, welches die Freizeit an Bord des Schiffes mit Schlafen, Essen oder privatem Zeitvertreib verbringt, hierbei als unversichert zu erachten. Dabei kann die Frage unerörtert bleiben, wie Unfälle zu beurteilen sind, die ohne Mitwirkung von betriebseigentümlichen Gefahren allein durch das Handeln des Binnenschiffers zustandekommen und sich genau so auf beliebiger Stätte an Land ereignen könnten. Hat bei dem Unfall jedoch eine dem Schiffahrtsbetrieb eigentümliche Gefahr wesentlich mitgewirkt, so ist ein Arbeitsunfall unter dem Gesichtspunkt anzuerkennen, daß der Aufenthalt des Binnenschiffers an Bord auch während der Freizeit mit der ständigen Arbeitsbereitschaft so eng verknüpft ist, daß demgegenüber der persönliche, nicht betriebsbezogene Lebensbereich in den Hintergrund rückt. Dieser Gesichtspunkt würde allerdings, wie das LSG Nordrhein-Westfalen in seiner angeführten Entscheidung zutreffend dargelegt hat, dann entfallen, wenn von einer Arbeitsbereitschaft des Binnenschiffers – zB infolge Trunkenheit ernstlich nicht die Rede sein kann.

Für einen Schiffseigner, wie dem Ehemann der Klägerin, der die Hauptverantwortung für die Sicherheit des Schiffes und für die Beachtung der wasserpolizeilichen Vorschriften trägt, gelten diese Erwägungen selbstverständlich in erhöhtem Maße.

Eng damit verflochten ist die weitere Eigenart des Binnenschifferberufs, daß aus betrieblichen Notwendigkeiten das Schiff zugleich die Arbeitsstätte und die Unterkunft bildet. Dabei unterscheidet sich der Schiffsbetrieb insofern von den in der Revisionsbegründung genannten sonstigen Beispielen einer Verbindung von Arbeits- und Wohnstätte (vgl. auch AN 1893, 430 Nr. 1269; 1911, 510 Nr. 2506), als im Regelfall der Aufenthaltsort des Schiffes und damit die Verbindung zum Land einer häufigen Veränderung unterliegt. Die Einrichtung von Unterkünften auf Binnenschiffen dient der reibungslosen Ausübung des Berufs, da sonst die Besatzung nicht mit der oft erforderlichen Schnelligkeit erreichbar wäre oder aber sogar überhaupt kein Nachtquartier fände. Die Bereitstellung der Unterkunft ist auch Gegenstand der rahmentariflichen Regelungen (vgl. § 11 der beiden oa Tarifverträge). Die Benutzung der Schiffsunterkunft muß demnach schon deshalb als unfallversichert angesehen werden, weil sie den Interessen des Betriebes dient (vgl. RVA Breith. Bd. 1, 503 EuM Bd. 23, 417). Davon abgesehen drängt sich gerade hinsichtlich des Schiffahrtsbetriebes eine Anknüpfung an die Grundsätze auf, die für den Versicherungsschutz auf Dienstreise: bei solchen Unfällen gelten, welche sich aus besonderen Gefahren des dem Beschäftigten zugewiesenen Quartiers ergeben (vgl. BSG 8, 48, 50 mit Nachweisen zur älteren Rechtsprechung). Neben der beim Binnenschiffahrtsbetrieb gegebenen Arbeitsbereitschaft zwingt also auch die besondere Gestaltung der Wohnverhältnisse dazu, den Versicherungsschutz nicht auf die Verrichtung unmittelbarer Betriebstätigkeiten zu beschränken. Besonderheiten sind im vorliegenden Fall gegeben.

Der Ehemann der Klägerin hatte sich, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, am 14. April 1954 zu einem rein privaten und deshalb weder nach § 542 noch nach § 543 RVO versicherten Aufenthalt an Land begeben. Diese eigenwirtschaftliche Betätigung fand ihren Abschluß in dem Zeitpunkt, da F. sich anschickte, sein Schiff wieder zu betreten, wo sein weiterer Aufenthalt aus den dargelegten Gründen dem Schutz der Unfallversicherung unterlag. Nach Meinung des Senats wäre es nicht angängig, für den Übergang aus dem unversicherten in den versicherten Zustand etwa den Augenblick als maßgebend zu erachten, in welchem der Binnenschiffer seinen Fuß auf das Schiffsdeck setzt oder gar erst denjenigen, in welchem die Tatsache der Arbeitsbereitschaft irgendwie äußerlich erkennbar wird. Vielmehr ist hierbei zu berücksichtigen, daß gerade das Passieren der Berührungsstellen zwischen Schiff und Ufer ein ständig wiederkehrendes Gefahrenmoment im Berufsleben des Binnenschiffers darstellt. Daher hat die räumliche Abgrenzung des Betriebsbanns in der vom LSG fortgeführten Rechtsprechung des RVA durchaus einen guten Sinn; der Gefahrbereich, mit dessen Erreichung für den von einem privaten Landgang zurückkehrenden Binnenschiffer der Versicherungsschutz wieder auflebt, erstreckt sich also nicht nur auf das Schiff und einen etwa ausgelegten Steg zum Ufer, sondern auch auf den den Schiff benachbarten Uferstreifen. Innerhalb dieses Bereichs muß F. nach der von der Revision nicht angegriffenen Feststellung des LSG, ins Hafenbecken gefallen und ertrunken sein. Diesen Unfall hat das LSG demnach mit Recht als Arbeitsunfall angesehen.

Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Demiani, Schmitt, Dr. Baresel

 

Fundstellen

BSGE, 197

MDR 1961, 967

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