BSG: Herzattacke nach Streit mit dem Chef kann Arbeitsunfall sein

Ein Arbeitsunfall setzt neben dem betrieblichen Bezug ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis voraus. Kann so ein Ereignis auch ein Streit mit dem Vorgesetzten sein? Das Bundessozialgericht hat dies grundsätzlich bejaht.

Eine Bankangestellte hatte eine verbale Auseinandersetzung mit ihrem Vorgesetzten. Nach dem Streit hatte sie einen Herzstillstand erlitten und war auf ihrem Schreibtischstuhl zusammengebrochen. Glücklicherweise konnte sie vom hinzugerufenen Notarzt wiederbelebt werden.

Berufsgenossenschaft sieht in streitbedingtem Herzstillstand keinen Arbeitsunfall

Zur gerichtlichen Auseinandersetzung kam es, weil die Berufsgenossenschaft in dem Unfall keinen Arbeitsunfall sah und es deshalb ablehnte, Entschädigungsleistungen zu zahlen. Die Umstände am Tag des Unfalls schilderte die Frau wie folgt. Es sei generell ein hektischer Tag gewesen. Zu dieser Hektik sei dann noch ein Streitgespräch mit einem Vorgesetzten gekommen. Konkret ging es darum, dass sich die Frau für einen Kollegen eingesetzt hatte, bei dem eine Kassendifferenz festgestellt worden war.

Der Vorgesetzte wollte diesen Vorfall melden, die Frau meinte, dass dies nicht notwendig sei. Darüber gerieten die beiden in einen heftigen Streit, nach der Auseinandersetzung sei sie an ihren Schreibtisch zurückgekehrt und dann kollabiert.

Vorgesetzter: Massive Auseinandersetzungen im Vertrieb alltäglich

Der Vorgesetzte bestätigte die Auseinandersetzung, meinte aber, dass die unterschiedlichen Ansichten in einem sachlichen, angemessenen Ton ausgetauscht worden seien. Er gab allerdings zu, dass das Gespräch „unharmonisch und frostig“ geendet habe, verwies in diesem Zusammenhang aber darauf, dass derartige Vorfälle im Vertrieb alltäglich seien. Das Sozialgericht hatte die Klage der Frau abgelehnt. Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls seien nicht gegeben, da es an dem zwingend notwendigen Merkmal eines von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses fehle (§ 8 SGB VII).

Auch geistig-seelische Einwirkungen können zu einem Arbeitsunfall führen

Grundsätzlich kämen zwar auch geistig-seelische Einwirkungen als Ursachen für einen Arbeitsunfall in Betracht. Das sei allerdings – laut Rechtsprechung – auf Extremsituationen wie Geiselnahmen oder Amokläufe begrenzt. Darüber hinaus könnten auch extrem belastende Personalgespräche mit Vorgesetzten hierunter fallen. Verbale Differenzen seien dagegen im Berufsleben weit verbreitet und genügten den Anforderungen nicht.

Die Mitarbeiterin hielt dagegen, das Gespräch mit dem Filialleiter habe optisch und akustisch auf sie eingewirkt und einen Herzstillstand als Gesundheitsschaden verursacht.

Bundessozialgericht: Auch Streitgespräch kann zu einem Arbeitsunfall führen

Das Bundessozialgericht kam zu einer anderen Einschätzung. Ein Unfall könne auch dann vorliegen, wenn eine Verletzung, respektive physiologische Veränderung, durch bloße Wahrnehmung (Hören, Schmecken, Tasten) ausgelöst werde. In dem Streitgespräch der Bankangestellten mit ihrem Vorgesetzten sah das Gericht die Voraussetzungen als gegeben an.

Hatte das Gespräch im Rahmen einer versicherten Tätigkeit stattgefunden?

Allerdings müsse noch geklärt werden, ob das Gespräch überhaupt im Rahmen einer versicherten Tätigkeit stattgefunden habe. Dazu müsse das Landessozialgericht die konkreten Umstände des Gesprächs ermitteln. So müsse geklärt werden, ob die Bankangestellte davon ausgehen konnte, dass sie mit dem Eintreten für den Kollegen eine Verpflichtung aus ihrem Beschäftigungsverhältnis erfüllte oder unternehmensbezogene Rechte aus ihrem Arbeitsverhältnis wahrnahm.

Ebenfalls noch zu klären sei die Frage nach dem Gesundheitszustand der Frau vor dem Zwischenfall. Die Bank hatte angegeben, die Ursache des Herzanfalls dürfte an langjährigen Herz-Vorerkrankungen der Frau liegen.

(BSG, Urteil v. 6.5.2021, B 2 U 15/19 R).

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Hintergrund: Streit als Arbeitsunfall

Körperschäden oder auch psychische Schäden infolge eines Streits, einer Tätlichkeit, eines Überfalls während der versicherten Tätigkeit oder auf einem versicherten Weg sind dann ihrerseits versichert, wenn sie in einem rechtlich wesentlichen – nicht allein zeitlichen – Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Dabei kommt es auf die Ursache des Streits, das Motiv des Täters und auf die Rolle an, die der Geschädigte dabei spielte. 
Stand die Ursache des Streits in engem Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit, so ist der innere Zusammenhang selbst dann gegeben, wenn der Verletzte den Streit begonnen hat (BSG, Urteil v. 31.1.1961, 2 RU 251/58; Urteil v. 30.10.1962, 2 RU 211/62; Urteil v. 19.3.1996, 2 RU 19/95).

Allenfalls dann, wenn er sich besonders provozierend verhalten hat, mag der Versicherungsschutz entfallen. Erst recht besteht der Versicherungsschutz, wenn der Verletzte rein passiv Opfer einer Verletzung infolge des Streits, der Tätlichkeit, des Überfalls geworden ist. Hingegen reicht es nicht aus, dass der Täter ein betrieblich bedingtes Motiv verfolgt, der Verletzte hingegen zum Unfallzeitpunkt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit verrichtet (BSG, Urteil v. 19.12.2000, B 2 U 37/99 R).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

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