Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegeunfall. Heimweg. Kleidung

 

Orientierungssatz

Stürzt ein gegen Unfall Versicherter dadurch, daß er auf dem Heimweg mit dem Schuhabsatz im Umschlag des Hosenbeins hängen bleibt, so liegt ein Wegeunfall vor.

 

Normenkette

RVO § 550 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 28.04.1971)

SG Koblenz (Entscheidung vom 22.10.1970)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. April 1971 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger fuhr am Nachmittag des 26. August 1969 von der Arbeitsstätte mit seinem Pkw nach Hause und stellte diesen in der Garage ab. Um in sein Haus zu gelangen, mußte er zurück zum Einfahrtstor gehen und einen Gemeindeweg benutzen. Auf dem Weg zum Tor blieb er mit dem Schuhabsatz im Umschlag des anderen Hosenbeins hängen und fiel seitlich um; durch den Sturz auf das Pflaster des Hofes brach der Kläger den rechten Oberschenkel.

Der Beklagte versagte durch Bescheid vom 26. Juni 1970 die begehrte Unfallentschädigung, weil der Unfall auf eine dem privaten Lebensbereich des Verletzten zuzurechnende Gefahr zurückzuführen sei.

Auf Klage hat das Sozialgericht (SG) Koblenz durch Urteil vom 22. Oktober 1970 diesen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Kläger aus Anlaß seines Unfalls zu entschädigen, weil dieser sich im Zusammenhang mit der Zurücklegung des Heimwegs ereignet habe.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 28. April 1971 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Kläger habe im Zeitpunkt des Unfalls die Außentür seines Hauses noch nicht erreicht gehabt, habe sich also noch auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte befunden. Der Umstand, daß ein Unfall des täglichen Lebens vorliege, schließe den inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit nicht aus. Der Unfall sei durch zwei annähernd gleichwertige Umstände verursacht worden, nämlich durch die Art der Kleidung und die Fortbewegung zu Fuß. Nur durch die Zurücklegung des Weges habe es jedoch dazu kommen können, daß der Kläger sich mit dem einen Schuh im Umschlag des Hosenbeins verfangen habe und gestürzt sei. Der Kleidung komme sonach keine überragende Rolle bei dem Unfall zu. Eine schadhafte, besonders unfallgeneigte Kleidung habe der Kläger nicht getragen, so daß dahinstehen könne, wie in einem solchen Fall zu entscheiden sei. Es liege somit ein Arbeitsunfall vor.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:

Der Auffassung des Berufungsgerichts, daß der zur Zeit des Unfalls getragenen Kleidung für dessen Entstehung keine überragende Rolle zukomme, könne nicht beigepflichtet werden. Der Unfall hätte sich in gleicher Weise auf einem dem unversicherten Lebensbereich zuzurechnenden Weg ereignen können. Der Kläger wäre keineswegs zum Unfallzeitpunkt am Unfallort gestürzt, wenn er sich nicht in dem einen Hosenumschlag verfangen hätte. Es dränge sich auch die Frage auf, ob der Kläger etwa plötzlich unerwartet einen vorübergehenden Schwindelanfall erlitten habe oder durch einen privaten Vorgang plötzlich und unvermutet abgelenkt worden sei. Die Vorinstanzen seien dem nicht nachgegangen, obwohl nicht von der Hand zu weisen sei, daß eine eingehende Befragung des Klägers, eine genaue Betrachtung der im Zeitpunkt des Unfalls getragenen Hose das LSG bereits in tatsächlicher Hinsicht zu einer stärkeren Bewertung der nicht betriebsbedingten Unfallmomente gebracht haben würde. Zumindest stünden sich hier betriebsbezogene und private Unfallursachen derart gleichwertig gegenüber, daß sie sich gegenseitig aufheben würden. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast wirke sich dies zum Nachteil des Klägers aus.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beklagte beantragt,

die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat und auch der Beklagte einräumt, ist der Kläger auf dem Weg von der Arbeitsstätte verunglückt, weil die von ihm benutzte Garage kein Teil seines Wohnhauses ist, der Kläger sich vielmehr erst auf dem Weg von der örtlich entfernten Garage zum Haus befand (BSG 24, 243, 244 ff; 22, 240, 242). Entgegen der Meinung des Beklagten hängt dieser Unfall mit dem Zurücklegen des Weges von der Arbeitsstätte innerlich zusammen, so daß die Voraussetzungen des § 550 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfüllt sind.

Der Kläger hat den Unfall durch eine Gefahr des täglichen Lebens erlitten. Obwohl er denselben Unfall sich auch bei einer anderen dem privaten Wirkungskreis zuzurechnenden Gelegenheit hätte zuziehen können, schließt dies nach der Unfallrechtsprechung, die vom Schrifttum überwiegend geteilt wird, den Unfallversicherungsschutz (UV-Schutz) nicht ohne weiteres aus (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Stand September 1971, Anm. 26 zu § 548 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15. August 1972, Band II S. 480 q; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Stand November 1972, Kenn-Nr. 070 S. 2; Schönberger, Der Arbeitsunfall im Blickfeld spezieller Tatbestände, Teil 2 S. 164 ff. - jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Erforderlich ist vielmehr eine rechtliche Wertung der verschiedenen Umstände, welche zu dem Unfall beigetragen haben. Je nach Lage des Einzelfalles ist den bei dem Unfallgeschehen mitwirkenden privaten Umständen versicherungsrechtlich ein geringeres oder stärkeres Gewicht beizumessen (vgl. RVA, EuM 23, 421; SozR Nr. 14 zu § 550 RVO; Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juli 1967, SozSich 1967, Rechtspr. Nr. 2078). In der vorliegenden Sache ist es zu dem Unfall gekommen, weil der Kläger mit dem Absatz des einen Schuhs im Umschlag des anderen Hosenbeins hängengeblieben und hingefallen ist. Ursächlich für das Unfallgeschehen ist somit u. a., daß der Kläger eine Hose getragen hat, deren Beinenden einen Umschlag hatten. Allein dadurch hätte sich der Unfall aber nicht ereignen können. Vielmehr war ferner erforderlich, daß der Kläger sich fortbewegt hat. Diese Tätigkeit ist somit als rechtlich wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen. Da sie der Zurücklegung des Heimwegs von der Arbeitsstätte gedient hat, ist der nach § 550 Satz 1 RVO erforderliche innere Zusammenhang gegeben. Die Revision hält es allerdings für möglich, daß noch andere unfallfremde Ursachen zu dem Unfall wesentlich beigetragen haben, so daß die Zurücklegung des Weges als unbeachtlich in den Hintergrund trete. Ihre gegen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gerichteten Rügen genügen jedoch nicht den Formerfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Im übrigen würde der Umstand, daß noch eine andere Ursache rechtlich wesentlich ist, nicht schon bedeuten, daß die Zurücklegung des Weges deswegen unwesentlich geworden ist.

Die Revision des Beklagten war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649955

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