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Kurzarbeit beantragen: zwischen Krisenhilfe und Bürokratie-Marathon


Kolumne: Kurzarbeit beantragen wird zum Bürokratie-Marathon

Die angespannte Wirtschaftlage lässt Unternehmen über Sparmaßnahmen nachdenken - und sorgt für ein "Revival" der Kurzarbeit. Fragt man unsere Kolumnistin Birgit Ennemoser, ist die Kurzarbeit aber nicht nur ein Mittel der Krisenbewältigung, sondern auch ein kleines Meisterwerk der deutschen Bürokratie.

Die derzeit wirtschaftlich turbulenten Zeiten führen dazu, dass in Unternehmen über Sparmaßnahmen nachgedacht wird. Naheliegend ist hier immer der Ansatz bei den Personalkosten: man kann die Mitarbeitenden nicht auslasten, also reduziert man deren Kosten. Da personelle Abbaumaßnahmen nach wie vor das letzte Mittel der Wahl sind, war und ist die Kurzarbeit als Krisenhilfe für viele Unternehmen ein wichtiges Instrument zur Überbrückung konjunktureller Engpässe. Und: Sie kann Arbeitsplätze retten, Liquidität sichern und dem Betrieb Zeit verschaffen. Vorausgesetzt, man kommt durch die Antragsverfahren und bekommt nicht später im Rahmen einer Prüfung wieder alle Gelder entzogen.

Denn eines muss man ehrlicherweise sagen: Die Kurzarbeit ist nicht nur ein Mittel der Krisenbewältigung, sondern auch ein kleines Meisterwerk der deutschen Verwaltungsdisziplin – mit allem, was dazugehört: Fristen, Formulare, Nachweise usw. Oftmals muss man sich dafür einen Steuerberater oder Rechtsanwalt an Bord holen, der dann auch wieder mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.

Was ist eigentlich Kurzarbeit?

Kurzarbeit bedeutet, dass die regelmäßige Arbeitszeit der Beschäftigten vorübergehend reduziert wird – bis hin zum kompletten Arbeitsausfall – bei gleichzeitiger finanzieller Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit. Diese zahlt in solchen Fällen Kurzarbeitergeld (KUG) in Höhe von 60 bis 67 Prozent des bisherigen Netto-Einkommens. Ziel ist es, dadurch betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.

Das Konzept ist bewährt: Schon während der Finanzkrise 2008 und zuletzt während der Coronapandemie zeigte sich, wie wirksam Kurzarbeit sein kann. Gleichzeitig hat die Beantragung – je nach Situation – ihre Tücken. Nicht selten stehen Unternehmen, die ohnehin unter Druck sind, dann zudem vor einem bürokratischen Spießrutenlauf.

Die Anzeige über den Arbeitsausfall: Wer, was und wie viel?

Bevor auch nur ein Euro fließen kann, muss der Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit rechtzeitig angezeigt werden – spätestens am letzten Kalendertag des Monats, in dem der Arbeitsausfall beginnt. Mit dem Eingang dieser Anzeige wird geprüft, ob die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Kurzarbeit vorliegen. Und diese sind durchaus anspruchsvoll:

  • Erheblicher Arbeitsausfall: Mindestens 1/3 der Belegschaft müssen einen Arbeitsentgeltausfall von mehr als 10 Prozent haben.
  • Vorübergehender Charakter: Der Arbeitsausfall darf nicht dauerhaft, sondern nur für einen begrenzten Zeitraum prognostiziert sein.
  • Unvermeidbarkeit: Es müssen alle zumutbaren Maßnahmen getroffen worden sein, um den Ausfall zu verhindern, z. B. durch Abbau von Überstunden, Resturlaub aus dem Vorjahr oder Versetzung auf andere Tätigkeiten.

Das alles klingt auf dem Papier logisch, ist in der Praxis jedoch starken Interpretationen durch die fachlichen Weisungen der Agentur für Arbeit unterworfen. So mancher Betrieb hat sich bereits gewundert, warum eine bereits mit Mühe eingereichte Anzeige zurückgewiesen wurde. Kleiner Trost: Man kann sie korrigieren, erneut einreichen oder auch Widerspruch einlegen, wenn eine Entscheidung gar nicht passt. Aber ehrlich gefragt: Das Wasser steht einem bis zum Hals, man kämpft um Aufträge und Umsatz und dann soll man ein rechtlich recht umfangreiches Widerspruchsverfahren einläuten? Auch hier steht Theorie und Praxis in einem klaren Gegensatz.

Deutlich anspruchsvoller ist es, das richtige Verständnis für die fachlichen Anweisungen zu entwickeln, die die Bundesagentur anlegt. Hiervon sind Themen umfasst, die einen teils sprachlos machen: So entscheidet die Agentur für Arbeit in mancher Auslegung darüber, wie ein Unternehmen seine vertrieblichen Aktivitäten gestalten soll, um wieder einen Aufschwung zu erzielen. Und dies treibt dann wahrlich Stilblüten, wenn einem beispielsweise der Sachbearbeiter der Agentur sagt, man dürfe die Vertriebler nicht anteilig in Kurzarbeit schicken, auch wenn die zu erreichenden Ansprechpartner aufgrund politscher Entwicklungen nicht verfügbar sind und das Unternehmen vorrangig für das Ausland produziert. Dann solle man eben Flyer durch die Mitarbeitenden im Vertrieb entwerfen lassen. 

Zustimmung der Mitarbeitenden zur Kurzarbeit

Gibt es im Unternehmen einen Betriebsrat, ist dieser zwingend zu beteiligen. Fehlt ein solcher, müssen die betroffenen Arbeitnehmenden schriftlich zustimmen. Die Agentur verlangt hierfür nachvollziehbare Unterlagen, das heißt: unterschriebene Einzelzustimmungen oder Rahmenvereinbarungen, in denen sowohl die Reduzierung der Arbeitszeit als auch die Beantragung von Kurzarbeitergeld klar dargestellt werden.

Selbstverständlich haben viele Betriebe aus der Coronakrise gelernt und mittlerweile in die meisten Verträge standardisierte Passagen zur Zustimmung zur Kurzarbeit integriert. Insbesondere aber kleinere Unternehmen sind hier nicht immer entsprechend gut beraten und müssen dann in einer Situation, die ohnehin schon an die Substanz geht, Diskussionen mit der Belegschaft führen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte niemandem das Recht zur freien Entscheidung nehmen. Aber manchmal wäre es doch überlegenswert, die Verfahren umzukehren, also eine Zustimmung als gegeben vorauszusetzen und einen Einspruch dagegen zuzulassen. Oftmals zeichnen Mitarbeitende aus praktischen Erfahrungen heraus Vereinbarungen nicht, da sie unsicher sind, welche Folgen diese haben. Als Ergebnis wird dann die Grundvoraussetzung (hier: Teilnahme der Mitarbeitenden an der Kurzarbeit) nicht erfüllt und eine ganze Gruppe von Mitarbeitenden würde ihren Arbeitsplatz verlieren. Das wäre sicher weder im Sinne der nicht zeichnenden Mitarbeitenden, noch im Sinne des Gesetzgebers.

Antrag auf Kurzarbeitergeld: Es wird konkret

Nach erfolgter Anzeige (und deren Genehmigung) folgt im nächsten Schritt der eigentliche Antrag auf Kurzarbeitergeld, und zwar rückwirkend für den jeweiligen Kalendermonat. Die Daten sind gewissenhaft und nachvollziehbar aufzubereiten. Besonders wichtig ist eine klare und nachvollziehbare Lohnabrechnung, da auf deren Basis die Höhe des KUG berechnet wird. Eine Lohnsoftware mit KUG-Funktionalität ist ohnehin Pflicht – aber die Programmfunktionalitäten sind mittlerweile einer Doktorarbeit ähnelnd, abhängig von der bisherigen Vergütungsstruktur im Unternehmen. Mitarbeitende mit festen Gehältern lassen sich recht einfach berechnen, aber Abrechnungen auf Stundenlohnbasis und mit schwankenden Bezügen werden zu einer echten Herausforderung.

Kurzarbeit: Achtung bei Minusstunden, Urlaub, Fortbildung und Überstunden

Nicht selten entstehen in der Praxis Missverständnisse, wann Kurzarbeit möglich ist. Beispielsweise gilt:

  • Resturlaub aus dem Vorjahr ist grundsätzlich vorrangig abzubauen, bevor Kurzarbeit gewährt wird.
  • Überstunden (auch in Form von Arbeitszeitkonten) sind abzubauen, bevor KUG beantragt werden kann – soweit sie nicht betrieblich notwendig sind.
  • Minusstunden dürfen in der Kurzarbeit nicht weiter aufgebaut werden. Kurzarbeit bedeutet reale Nichtbeschäftigung, nicht planmäßigen Freizeitvorschuss.

Wann aber sind Überstunden nicht betrieblich notwendig? Und warum muss Kurzarbeit gekürzt werden, wenn an einem Tag Überstunden anfallen? In Summe in der Monatsbetrachtung darf keine Mehrarbeit anfallen, das leuchtet ein, aber warum auch tagesbezogen? Rein theoretisch würde sich das am Monatsende ja doch kürzen? Hier sind also viele "Fußangeln" beinhaltet, die einen in der Praxis richtig Nerven kosten können.

Dokumentation: Der Liebling deutscher Verwaltungskultur

Die Agentur für Arbeit prüft regelmäßig, auch im Nachgang, ob die Voraussetzungen für KUG erfüllt waren. Deshalb gilt: eine sorgfältige Dokumentation ist das A und O. Was Sie brauchen und auch zwingend aufbewahren müssen, mindestens vier Jahre lang:

  • Stundennachweise je Mitarbeiter, täglich geführt.
  • Einzelabrechnungen mit nachvollziehbaren Berechnungen des Kurzarbeitergelds.
  • Die originalen Zustimmungen der Mitarbeitenden oder des Betriebsrats.

So mancher Unternehmer wähnte sich auf der sicheren Seite, nur um bei der abschließenden Prüfung festzustellen, dass der Nachweis über die tatsächlich geleisteten Stunden lückenhaft war. Die Folge: Rückforderung des Kurzarbeitergeldes und vor allem Nachversteuerung und Nachverbeitragung im Anschluss.

Digital geht's auch – zumindest ein bisschen

Die Bundesagentur für Arbeit hat in den vergangenen Jahren Schritte in Richtung Digitalisierung gemacht: Die Anzeige über den Arbeitsausfall kann nun online über die eServices eingereicht werden, ebenso der Antrag auf Kurzarbeitergeld. Eigentlich gilt: Der digitale Weg ist freiwillig. In der Praxis gibt es aber keine Mailadressen mehr bei den Arbeitsagenturen. Eine klassische Übermittlung per PDF und E-Mail ist also gar nicht mehr möglich. Per Post hat man keinen Zugangsnachweis und auch Faxgeräte gibt es häufig nicht mehr – in dieser Situation würde man diesen einen gewissen nostalgischen Charme anerkennen. 

Es ist ja nachvollziehbar, dass man eine Digitalisierung vorantreiben möchte, aber warum wieder mit so viel "Gewalt", dass ein Mail nicht mehr möglich ist? Und warum so komplex in der Anlage der Zugangswege? Ich würde jeden Entscheider in Gesetzgebungsverfahren gerne einmal ersuchen, sich einen Zugang bei der Agentur für Arbeit freischalten zu lassen. Wenn Ihnen dies nicht gelingt – und davon gehe  ich aus, da es uns als Unternehmen wiederholt so geht –, dann sollte man hier dringend über die Zugangswege nachdenken und vielleicht wieder den Servicegedanken in den Fokus stellen und nicht die Digitalisierung. 

Fazit zur Kurzarbeit: Gut gedacht – gut gemeistert?

Kurzarbeit ist ein tolles und bewährtes Instrument. Und sie kann – richtig eingesetzt – vielen Unternehmen helfen, Krisenzeiten zu überstehen, ohne sich von qualifizierten Fachkräften trennen zu müssen. Gleichzeitig verlangt sie Präzision, Transparenz und eine gewisse Leidensfähigkeit gegenüber Verwaltungsdetails. Wer nicht aufpasst, riskiert Rückforderungen, bürokratischen Frust oder schlicht den Verlust der Unterstützung.

Eigentlich sollte mit der richtigen Vorbereitung Kurzarbeit nicht nur machbar sein, sondern sogar effizient. Und manchmal – das sei leise angemerkt – bietet der strukturierte Antrag auch die Gelegenheit, die eigenen Prozesse besser kennenzulernen. Die Praxis aber hat hier eine andere Richtung eingeschlagen und damit kann, stark abhängig vom jeweiligen Sachbearbeiter bei der Agentur für Arbeit, dieses Verfahren zu einer echten Herausforderung werden.

Nach wie vor gibt es die Ansprechpartner, die Hilfe und Unterstützung bieten und auf Besonderheiten hinweisen. Und diesen möchte ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank aussprechen! Viele Verfahren wären an anderer Stelle gescheitert und konnten mithilfe der Sachbearbeiter der BA doch gelöst werden. 


Über die Kolumnistin: Birgit Ennemoser ist mit knapp 30 Jahren praktischer Erfahrung in den verschiedenen Sparten des Personalwesens vorrangig beratend sowie als Trainerin, Seminarleiterin und Autorin tätig. Seit 2009 leitet sie das Geschäftsfeld Personal Services der Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Rechtsberatung Auren in Stuttgart.


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