Kolumne Arbeitsrecht: Diskussionswürdige Querfinanzierung

Unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten profitieren in unterschiedlichem Maße von Regelungen, die wiederum nicht von allen gleichermaßen finanziert werden. Greift hier das Solidarprinzip, nach welchem die Starken die Lasten des Schwachen mittragen? Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller legt den Finger in die Wunde der ein oder anderen Querfinanzierung und wagt sich sogar in die Vorstandsetagen deutscher Unternehmen.

Manchmal scheint, der Gesetzgeber messe mit (mindestens) zweierlei Maß. Erstaunlich häufig werden Gesetze eher für Mehrheiten gemacht – seien es tatsächliche oder zumindest potenzielle. Minderheiten haben es mitunter schwer. Das hat eine lange Historie, in die ich gar nicht vollständig eintauchen möchte.

Von der Mär, dass die "starken Schultern" weiter belastbar sind

Schauen wir uns etwa die "Riester-Rente" an: Alle damit verbundenen Vorteile werden steuerlich subventioniert. Klar, ein kleines Präsent an alle Arbeitnehmer. An alle? Nicht ganz. Denn nicht jeder, der die Rente für Arbeitnehmer finanziert, partizipiert davon auch. Berufsständisch Versicherte, also fast alle Ärzte, Apotheker, Steuerberater usw. sind ausgeschlossen. Sie querfinanzieren die Riester-Rente mit ihren Steuern, ohne selbst davon profitieren zu können.

Oder werfen wir einen Blick auf die großzügigen Aufstockungen des Kurzarbeitergeldes. Längst ist bekannt, dass die Bundesagentur das nicht allein schultern kann – der Steuerzahler wird herhalten müssen. Der Bezug des Kurzarbeitergeldes ist gedeckelt auf die Beitragsbemessungsgrenze. Was zunächst auch Sinn macht, denn nur bis zu dieser wird von Arbeitnehmern ein Beitrag geleistet. Also wäre die Schlussfolgerung logisch, dass auch nur bis zu dieser Grenze Kurzarbeitergeld gewährt werden kann – wenn, ja wenn ausschließlich die Bundesagentur das Kurzarbeitergeld finanzieren würde. Auch hier werden mit Steuern Leistungen querfinanziert, ohne dass alle Steuerzahler selbst davon profitieren können.

Querfinanzierung wird im Diskurs oft verschwiegen

Den Ruf nach den "starken Schultern" der (vermeintlich) Besserverdienenden kann ich nicht mehr hören. Nicht nur durch die Steuerprogression, sondern auch an vielen anderen Ecken werden die "schwachen Schultern" unterstützt. Ich will die Richtigkeit dieser Unterstützung gar nicht in Frage stellen, aber es wird in der politischen Diskussion eben häufig verschwiegen. Genauso wie verschwiegen wird, dass manch ein Arzt nicht finanziell überleben könnte ohne Privatpatienten, die – ach so unsolidarisch – nicht gesetzlich versichert sind. Elterngeld ist eine tolle Sache, vom Steuerzahler finanziert. Aber auch hier gibt es eine Klientel, die nicht Nutzen ziehen kann – aber dazu gleich mehr.

Die Querfinanzierung ist enorm. Ich möchte sie nicht kritisieren, aber ich möchte, dass sie in der Diskussion um staatliche Leistungen nicht – immer und konsequent – verschwiegen wird. Die Einzige, die aus einer ausgepressten Zitrone noch etwas Saft herausquetschen kann, ist die Steuer – das zeigt sich auch in diesem Zusammenhang.

Die "starken Schultern" erhalten endlich Unterstützung

Aber jetzt wird alles besser. Die starken Schultern erhalten Rückendeckung: Unauffällig angefangen hatte noch die ehemalige Ministerin für Arbeit und Soziales, Frau Nahles (sonst gar nicht so unauffällig, Sie erinnern sich? Das war die mit "ab Morgen gibt es in die Fresse"). Bereits 2011 (!) forderte sie Elternzeit für Abgeordnete. Als sie selbst schwanger war und diese Lücke entdeckte. Nein, sie wollte das für die anderen – nicht für sich.

Dann freute sich Frau Schwesig – sie war mal Familienministerin, wenn Sie sich erinnern möchten – 2016 auf ihren Mutterschutz. Mutterschutz für Minister? (vermutlich bis ich ihr in einer Kolumne sagen musste, dass sie einen solchen nicht habe. Nach der Pressemitteilung hatte ich gleich im Bundesanzeiger nachgesehen, ob ich eine Gesetzesänderung verpasst hatte – hatte ich aber nicht). Voll gemein. Oder?

#stayonboard: Initiative für Mandatspausierung

Es ließen sich noch mehr Beispiele finden. So sind auch Vorstände und Vorständinnen von Aktiengesellschaften von Schutzbestimmungen ausgeschlossen (naja, vom Mutterschutz nur Vorständinnen). Und da wundern sich die Familienministerin wie auch der Arbeitsminister, dass es so wenige Vorständinnen gibt, wenn sie nicht einmal ein Mindestmaß an Schutz genießen? Keine Höchstarbeitszeit (ja, auch das Arbeitszeitgesetz gilt nicht), kein Schutz vor Befristung, kein Anspruch auf Pflegezeit, kein Teilzeitanspruch (schon gleich gar nicht mit Rückkehroption in Vollzeit) und eben auch nicht Mutterschutz und Elternzeit. Vermutlich wäre es modern zu sagen "@Franziska Giffey, you dare…, Sie trauen sich, eine gesetzliche Quote für alle Vorstandsposten einzufordern, ohne die Rahmenbedingungen zu schaffen, um das zu ermöglichen? Und das womöglich noch unter Strafandrohung für die Unternehmen?"

Was muss ein Vorstand, der Mutterschutz oder Elternzeit, Pflegezeit oder Sabbatical in Anspruch nehmen möchte, machen? Das Amt niederlegen. Das deutsche Recht hat für solche Auszeiten nicht wirklich eine Lösung. Die Initiative #stayonboard hat das sehr richtig erkannt. Ein wenig eng angelegt – nur für Vorstände gedacht – aber im Ansatz nicht unrichtig. Selbstständige, Geschäftsführer, Vorstände, ja manchmal bereits leitende Angestellte, berufsständisch Versicherte, Kanzler und Kanzlerinnen, Minister und Ministerinnen, sie alle (und noch mehr) sind von vielen wichtigen Möglichkeiten der Partizipation im Privatleben (ich möchte das nicht nur so eng auf die "Familie" auslegen wie die Initiative) ausgeschlossen.

Ein Minderheitenproblem? Vielleicht. Obwohl. Zusammengerechnet macht das schon eine gewisse Wählerklientel aus. Herr Heil wird ja auch schon nervös und "will das überprüfen".

Starke Schultern brauchen das nicht? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber dafür den Job aufgeben müssen – macht das "starke Schultern"?

Aber: keine Gleichmacherei, wo sie nicht passt

Vermutlich ist richtig, dass all diese Instrumente so, wie sie für Arbeitnehmer "gestrickt" sind, nicht passen. Aber die Möglichkeit gewisser rechtlicher Absicherungen scheint geboten. Mehr geboten als Quoten und Strafandrohungen. Ein Vorstand, der ein Jahr auf die Kinder aufpasst, will eben nicht für Ordnungswidrigkeiten in seiner Firma haften, die in dieser Zeit getätigt werden und vor der Alternative "Rücktritt oder Haftungsrisiko" stehen!

Zu Chancengleichheit gehört eben auch, dass das Umfeld stimmt. Und hier sind viele Hausaufgaben noch nicht gemacht. Das wäre besser als Quoten und Strafandrohungen. Jenseits von Thesen zum Nutzen von Diversität, Gendervielfalt und Feminismus. Einfach: weil es konsequent und richtig ist.

Was nützt´s dem Arbeitsrechtler?

Nun, ich bin Lobbyist für Arbeitsrechtler. Die Frage, was es dem Arbeitsrechtler bringt, wird daher erlaubt sein. Antwort: erst mal - nichts! Als Arbeitsrechtler (den all diese Themen rund um Vorstände, Geschäftsführer und Minister ja nicht zu interessieren brauchen) habe ich aber eine Hoffnung: wenn man für diese Klientel interessante, einfach zu handhabende Lösungen findet, kann man diese vielleicht ins Arbeitsrecht transponieren. Statt komplexe, schwierige Regelungen mit Ansprüchen, Schwellenwerten und allem, was dazu gehört, die mehr Transaktionsaufwände verursachen als Nutzen bringen.

Also, Frau Giffey, Herr Heil, Frau Lambrecht, Herr Altmeier: ins Hausaufgabenheft schreiben. Und dann auch machen. Und dann braucht es keine Quoten und Strafandrohungen. 


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.