Beschäftigtendatenschutz: Regeln für digitale Arbeitswelt

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im vergangenen Jahr eine eigene Abteilung für das Thema Digitalisierung der Arbeitswelt eingerichtet, in die Experten verschiedener Fachbereiche eingebunden werden. Professor Dr. Gregor Thüsing, Mitglied des neu geschaffenen Beirats Beschäftigtendatenschutz, gibt im Interview einen Ausblick auf die künftige Entwicklung des Datenschutzes.

Haufe Online-Redaktion: Herr Thüsing, Sie sind vor wenigen Tagen in den neuen Beirat Beschäftigtendatenschutz des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales berufen worden. Aufgabe dieses Gremiums ist, Vorschläge für eine Fortentwicklung dieses Rechtsgebiets zu machen. Warum gerade jetzt ein solcher Beirat?

Gregor Thüsing: Die Errichtung eines solchen Beirats wurde ja schon vor längerer Zeit vom Ministerium angekündigt. Aber der Zeitpunkt ist glücklich. Denn wir wissen es schon jetzt: Die Pandemie wird zu erheblichen gesellschaftlichen Veränderungen führen. Gesellschaftliche Änderungen führen zu rechtlichen Änderungen, denn das Recht ist der Rahmen, in dem Gesellschaft sich ordnet. Und das gilt insbesondere auch für die Arbeitswelt und das Arbeitsrecht. Den Digitalisierungsschub wird und will man nicht rückgängig machen. Und damit wird der Datenschutz umso zentraler.

Kontrollrechte müssen geregelt werden

Haufe Online-Redaktion: Haben Sie jetzt schon Ideen für eine bessere Regelung des Datenschutzes am Arbeitsplatz?

Thüsing: Ideen gibt es viele. Man wird sehen, was sinnvoll ist. Mir geht es vor allem um Rechtsklarheit. Wo können wir präziser sagen, was geht, und was nicht geht? Das gilt etwa für die vom Arbeitgeber gestattete Privatnutzung von Internet und E-Mail. Auch die Kontrollrechte des Unternehmens bei der Nutzung von privaten Geräten im Dienst sind immer noch unklar. Überhaupt Überwachung: Wenn Homeoffice jetzt verbreiteter wird, dann müssen wir wissen, wann und wie der Arbeitgeber hier kontrollieren darf. Da ist der Datenschutz zentral.

Haufe Online-Redaktion: Stichwort Homeoffice. Der Bundesarbeitsminister fordert das Recht auf Homeoffice für alle und verweist auf die guten Erfahrungen im Ausland. Kann das eine sinnvolle Fortentwicklung des Arbeitsrechts sein?

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Thüsing: Es wird mehr Homeoffice geben, in der Tat. Aber der Anspruch würde ja nur greifen, wo der Arbeitgeber von sich aus Homeoffice nicht erlauben will. Wenn er das aber nicht will: Wird er dann nicht in den meisten Fällen gute Gründe dafür haben? Wenn nun diese Ablehnung gerichtlich überprüfbar sein soll, dann ist Streit vorprogrammiert. Und er verstärkt die Zweiklassen-Gesellschaft: die, die zuhause arbeiten können, und die, die in den Betrieb müssen. Platt gesagt: Angestellte gegen Arbeiter. Da wäre ich zurückhaltender.

Wenn stattdessen nun auf die Erfahrungen der Niederlande verwiesen wird, dann ist das zudem irreführend. Diese Erfahrungen mit einem Recht auf Homeoffice gibt es nicht. Anträge auf Änderung des Arbeitsplatzes kann der niederländische Arbeitgeber nach Art. 2 Abs. 6 des Gesetzes über die Flexibilität am Arbeitsplatz abweisen, ohne betriebliche oder dienstliche Belange dafür geltend machen zu müssen. Er ist aber verpflichtet, das Verlangen ernsthaft zu prüfen und mit dem Arbeitnehmer zu beraten. Mehr nicht. Die meisten Arbeitgeber werden das heute auch in Deutschland schon tun und eine solche gesetzliche Pflicht hielte ich in der Tat für gut.

Es braucht mehr Mut für einen neuen Rechtsrahmen

Haufe Online-Redaktion: Und welche Schritte soll es sonst geben?

Thüsing: Der Gesetzgeber ist in den letzten Wochen vorsichtige Schritte gegangen: Die bereits vorher vielfach angemahnte Möglichkeit, dass Betriebsräte – ebenso wie bereits jetzt Aufsichtsräte – Beschlüsse auch per Videokonferenz fassen können, wurde nun ausdrücklich zugelassen – freilich befristet bis zum Ende des Jahres. Die Gewerkschaften, so heißt es, wollten nicht eine dauerhafte Regelung, weil sie die vielleicht nicht unberechtigte Angst haben, dass dann dem ein oder anderen Betriebsratsmitglied die Anfahrt von außerhalb zum Hauptsitz des Betriebs quer durch Deutschland nicht zugebilligt wird, wenn er darauf Wert legt, den Beschluss in physischer Anwesenheit zu fassen. Man schüttelt den Kopf. Was jetzt sinnvoll ist, das ist es auch in der Zeit danach. Da muss man mutiger sein.

Haufe Online-Redaktion: Mut ist kein Selbstzweck. Mut wofür?

Thüsing: Es fehlt die Bereitschaft zum großen Wurf. Der Rechtsrahmen einer digitalisierten Arbeitswelt muss weiterentwickelt werden. Wir haben jetzt die Gelegenheit, die Dinge anzupacken und etwas Neues zu schaffen: einen Rechtsrahmen für eine moderne Arbeitsgesellschaft. Die Erkenntnis, dass das Arbeitsrecht zwar nicht den einzigen, aber sicherlich einen wesentlichen Rahmen für Beschäftigung und Wohlstand bildet, ist so neu nicht. Und Hand in Hand damit geht die Suche nach Regelungen, die dem Arbeitnehmer einen sicheren Schutz, dem Arbeitsmarkt aber ausreichenden Freiraum bieten. Nun gilt es, das Gute vom Schlechten zu sondern, den Kompromiss zwischen dem Übereifrigen und dem allzu Zaghaften zu formulieren.

Gefragt ist eine umfassende Sichtung des vorhandenen Normbestands, dessen Wägung, Verklarung, Entrümpelung und Flexibilisierung – und eben eine Ausrichtung auf die Herausforderungen der Digitalisierung. Schutzlücken, die sich in der Krise offenbart haben, können geschlossen werden, aber jede Norm, deren Mehr an Arbeitnehmerschutz so gering ist, dass die Belastung der Wirtschaft unverhältnismäßig erscheint, sollte dann eben auch ernsthaft überdacht werden. Nicht weniger, nicht mehr, aber besserer Arbeitnehmerschutz. Das ist nach Covid-19 wichtiger denn je.

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Haufe Online-Redaktion: So abstrakt wird Ihnen da niemand widersprechen. Aber was heißt das konkret?

Thüsing: Das Arbeitszeitrecht scheint mir eine wichtige Baustelle zu sein. Hier muss den Tarifvertragsparteien mehr Spielraum gegeben werden bei der Gestaltung des ja immer gleitenderen Übergangs von Arbeit und Freizeit. Wer abends um zehn Uhr noch schnell eine E-Mail beantworten will, der braucht keine elf Stunden Ruhezeit um morgens wieder zu arbeiten. Arbeitszeitsouveränität erlaubt mehr Gestaltungsfreiheit. Viele arbeitsrechtlichen Regelungen funktionieren nur, weil sie breitflächig missachtet werden. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das führt zu Missbrauch. Wenn es also nun eine befristete Lockerung des Arbeitszeitrechts für die Zeit der Pandemie gibt, dann muss man das zum Ausgang nehmen, hier weiter und dauerhaft nachzudenken.

Viele Ansatzpunkte für Verbesserungen vorhanden

Haufe Online-Redaktion: Es gibt wohl kaum ein Rechtsgebiet im Arbeitsrecht, das so politisch vermint ist. Gibt es Vorschläge, auf die man sich eher einigen kann?

Thüsing: Man kann vieles auch im Kleinen tun. Die Online-Wahl von Betriebsräten ist bislang nicht möglich, obwohl das die Wahlbeteiligung sicherlich erhöhen würde und damit die Betriebsräte stärken würde. Arbeitnehmer haben kein Recht über geplante Digitalisierungen ihres Arbeitsbereichs frühzeitig informiert zu werden. Warum nicht? Es gibt zu wenige Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche kleine Selbstständige, obwohl diese Gruppe sicherlich wachsen wird. Was kann man da tun? Kann man den Arbeitsschutz im Homeoffice besser regeln und dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer klare Verantwortlichkeiten zuweisen? Welche Anreize digitalisierter Weiterbildung kann man setzen? An Älteren darf der Wandel der Arbeitswelt nicht vorübergehen. Arbeitgeber beklagen zu wenig Sicherheit bei der Abgrenzung von Selbstständigen und Arbeitnehmern. Findet man da bessere Lösungen? Da gilt es alles zu prüfen und nur das Gute zu behalten.


Zur Person: Professor Dr. Gregor Thüsing ist einer der renommiertesten deutschen Rechtswissenschaftler. Bereits seit 2004 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und dort Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit. Als gefragter Sachverständiger hat er in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Ausschüsse des Bundestages (Arbeit und Soziales, Gesundheit, Familie, Recht, Europa) bei ihrer Arbeit unterstützt. 2019 zeichnete ihn das Personalmagazin als einen der "40 führenden HR-Köpfe" in der Kategorie Wissenschafter aus.


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