Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 02.11.1995; Aktenzeichen L 2 Ar 115/95)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 2. November 1995 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurück-verwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Revision betrifft die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 19. April bis 3. Juni 1993 und die Rückforderung der für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen in Höhe von 2.202,90 DM.

Die 1950 geborene Klägerin bezog vom 1. März bis 30. Juni 1993 Alg in Höhe von 337,80 DM wöchentlich. Seit Juli 1993 ist sie wieder beschäftigt. Vom 13. bis 18. April 1993 war sie täglich 2,5 bis 5,5 Arbeitsstunden für die Haus- und Krankenpflege H. … in W. … mit der Betreuung pflegebedürftiger Personen beschäftigt. Sie erzielte für 25,5 Arbeitsstunden ein Entgelt von 433,50 DM (brutto = netto). Am 4. Juni 1993 hat sich die Klägerin erstmals nach dieser Beschäftigung wieder beim Arbeitsamt gemeldet.

In ihrer Stellungnahme vom 6. März 1994 räumte die Klägerin die erwähnte Beschäftigung ein und gab an, sie habe das Beschäftigungsverhältnis schon am 14. März 1993 gekündigt. Die kurzfristige Tätigkeit habe sie nicht als meldepflichtig angesehen.

Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) hob die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 13. April bis 3. Juni 1993 auf und forderte das für diesen Zeitraum gezahlte Alg von 2.533,50 DM zurück (Bescheid vom 2. Juni 1994). Im Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1994 führte sie aus, die Klägerin habe die vorübergehende Beschäftigung nicht mitgeteilt, obwohl ihr bekannt gewesen sei, daß ihr Alg nur für die Dauer der Arbeitslosigkeit zugestanden habe. Die persönliche Arbeitslosmeldung wirke nur für den jeweiligen Versicherungsfall und müsse daher bei Eintritt jeder weiteren Arbeitslosigkeit erneut vorgenommen werden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Entziehung der Leistungsbewilligung ab 19. April 1993 aufgehoben und hat die Ansicht vertreten, von diesem Zeitpunkt an habe die Klägerin der Arbeitsvermittlung erneut zur Verfügung gestanden. Für Zwecke der Arbeitsvermittlung sei eine erneute Arbeitslosmeldung nicht erforderlich.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werde der die Leistungsbewilligung herbeiführende Antrag erst durch einen Aufhebungsbescheid verbraucht. Da Anträge auf Alg nicht rückwirkend gestellt werden könnten, werde der Leistungsverlust andernfalls um so größer, je später die BA den Bewilligungsbescheid aufhebe. Aus den gleichen Gründen könne durch eine Zwischenbeschäftigung bei ununterbrochenem Leistungsbezug der Leistungsanspruch nicht von einer erneuten Arbeitslosmeldung abhängig sein. Auch solche Fälle seien durch den Umstand geprägt, daß der Leistungsempfänger im Vertrauen auf den Bestand der Bewilligung von einer erneuten Arbeitslosmeldung absehe. Die Grundsätze, die die Arbeitslosmeldung als materielle Anspruchsvoraussetzung begründeten, könnten nur bei erstmaliger Bewilligung und bei Wiederbewilligungen nach Aufhebung bzw Rücknahme der Bewilligung oder wenigstens der Abmeldung aus der Arbeitslosigkeit bedeutsam sein. Im übrigen komme der Arbeitslosmeldung nur Bedeutung für die Arbeitsvermittlung zu. Die Klägerin habe aber ab 19. April 1993 der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung gestanden. Die Aufhebung einer Bewilligung von Alg wegen einer Beschäftigung sei deshalb nicht auf Zeiträume erneuter Arbeitslosigkeit zu erstrecken. Die Gegenansicht könne nicht erklären, weshalb es sich rechtlich nicht auswirken solle, daß die BA bei ihrer Behandlung des Leistungsfalles ununterbrochen von der zum Leistungsempfänger erklärten Tatsache seiner Arbeitslosigkeit ausgehe, diese Tatsache auch wieder vorliege und alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen gegeben seien. Sie führe durch eine spätere rückwirkende Aufhebung zu übermäßig belastenden Rückforderungsbeträgen. Die im Termin von der BA geschilderte Verwaltungspraxis, nur bis zu drei Monaten Alg zurückzufordern, sei nicht überzeugend, weil für diese Praxis Anhaltspunkte im geltenden Recht nicht ersichtlich seien. Sie beruhe auf einer rechtlich nicht begründbaren Billigkeitsentscheidung. Bedenklich sei auch, daß die Beklagte zwischenzeitliche Vorsprachen von Leistungsempfängern als konkludente Arbeitslosmeldungen behandle, ohne auf den tatsächlichen Erklärungsinhalt abzustellen. Auch das an sich berechtigte Vorgehen gegen den Mißbrauch sozialer Leistungen könne die Praxis der BA nicht rechtfertigen. Die Verletzung von Anzeigepflichten könne auch als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 5.000,– DM geahndet werden. Im übrigen seien die Folgen einer Sperrzeit bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu bedenken.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die BA die Verletzung der §§ 100 und 105 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X). Sie bezieht sich auf zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des BSG und führt aus, die persönliche Arbeitslosmeldung entfalte nur für den jeweils eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit Wirksamkeit. Sie werde durch eine Zwischenbeschäftigung verbraucht, so daß danach eine neue Arbeitslosmeldung erforderlich werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 2. November 1995 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 2. Mai 1995 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Ansicht der Vorinstanzen für zutreffend und meint, Voraussetzung für die Entziehung des Anspruchs sei eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung. Diese sei bei einer „Nebentätigkeit” nicht gegeben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

1. Die Revision der BA ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die Entscheidung des LSG verletzt §§ 100, 105 AFG. Für eine abschließende Entscheidung des Senats reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Aufhebung der Bewilligung von Alg für die Zeit vom 19. April bis 3. Juni 1993 sowie die Rückforderung des für diesen Zeitraum gezahlten Alg von 2.202,90 DM. Nur in diesem Umfang haben die Vorinstanzen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der BA aufgehoben, so daß die BA nur insoweit beschwert ist. Eine Klagabweisung hinsichtlich der Aufhebung des Bewilligungsbescheids für die Zeit vom 13. bis 18. April 1993 war nicht erforderlich, denn die Klägerin hat ihre Klage entsprechend beschränkt.

2. Begründet ist die Revision der BA, weil das LSG nach der Arbeitsaufnahme der Klägerin auch für den erneuten Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit die vor der Arbeitsaufnahme liegende Arbeitslosmeldung als fortwirkend behandelt hat. Diese Begründung für die Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung von Alg ab 19. April 1993 hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nach § 152 Abs 3 AFG iVm § 48 Abs 1 Sätze 1 und 2 Nr 2 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse an ua aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Veränderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

2.1 Die Bewilligung von Alg ab 1. März 1993 mit Bescheid vom 10. März 1993 enthält einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Bis zu einer abweichenden Verwaltungsentscheidung ist der Bewilligungsbescheid Grundlage für das wöchentlich wiederkehrend gewährte (§ 114 AFG) und in Zahlungszeiträumen von zwei Wochen zu zahlende Alg (§ 122 AFG iVm § 4 Zahlungszeiträume-Anordnung vom 15. Dezember 1978 ≪ANBA 1979 S 409≫; vgl BSGE 47, 241, 246 = SozR § 134 Nr 11; 61, 286, 287 = SozR 4100 § 134 Nr 31; Urteil des Senats vom 14. Dezember 1975 – 11 RAr 75/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB X ist eine für die Anspruchsvoraussetzungen der bewilligten Leistung erhebliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse (BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr 19). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich mithin nach dem für die Leistung von Alg maßgebenden materiellen Recht.

2.2 Anspruch auf Alg hat nach § 100 Abs 1 AFG, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaft erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Die tatsächlichen Grundlagen der Anspruchsvoraussetzungen für Alg hat das LSG – nach der von ihm vertretenen Rechtsansicht folgerichtig – nur begrenzt festgestellt. Das Urteil des LSG unterliegt jedoch durchgreifenden Bedenken, soweit es die materielle Anspruchsvoraussetzung „Arbeitslosmeldung” aufgrund der zur Bewilligung der Leistung führenden Arbeitslosmeldung auch für die Zeit ab 19. April 1993 als ausreichend angesehen hat, falls die Klägerin vom 13. bis 18. April 1993 in einem Arbeitslosigkeit iS des § 102 Nr 1 AFG ausschließenden Umfang – dh mehr als kurzzeitig – beschäftigt war. Das LSG sieht die Arbeitslosmeldung im wesentlichen als Grundlage für die Vermittlungsbemühungen der BA an, die durch die – dem Arbeitsamt nicht bekannte Zwischenbeschäftigung – nicht beeinträchtigt sei. Diese Ansicht wird der Funktion der nach § 105 Satz 1 AFG geforderten persönlichen Arbeitslosmeldung des Arbeitslosen beim zuständigen Arbeitsamt nicht gerecht. Das hat der Senat in seinen Entscheidungen vom 14. Dezember 1995 – 11 RAr 75/95 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) und vom 21. März 1996 – 11 RAr 93/95 – näher ausgeführt:

Die Arbeitslosmeldung ist nicht auf die Vermittlungstätigkeit der BA allein bezogen, sondern dient auch der Anzeige des Eintritts des in der Arbeitslosenversicherung gedeckten Risikos Arbeitslosigkeit. Da die BA bei der Feststellung des Versicherungsfalls weitgehend auf Angaben des Versicherten angewiesen ist, vermittelt gerade die persönliche Meldung nicht nur Informationen über die Verwendbarkeit des Arbeitslosen sowie seine objektive und subjektive Verfügbarkeit. Sie soll auch tunlichst wahrheitsgemäße Angaben zum Eintritt des Versicherungsfalls herbeiführen. Die Arbeitslosmeldung ist gerade als konstitutive Voraussetzung des Leistungsanspruchs Tatsachenerklärung über den Eintritt der Arbeitslosigkeit (BSGE 44, 164, 173 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 60, 43, 45 = SozR 4100 § 105 Nr 2; LSG Baden-Württemberg Breithaupt 1995, 884, 887; Gagel/Steinmeyer, AFG, § 105 RdNr 2 – Stand: August 1992 –; Niesel/Brand, AFG, 1995, § 105 RdNr 2; für das frühere Recht: Draeger/Buchwitz/Schönefelder, AVAVG, 1961, § 172 RdNr 2 mit Hinweis auf die frühere Rechtsprechung). Hat aber die Arbeitslosmeldung Bezug zum Eintritt des Versicherungsfalls und nicht nur zur Verfügbarkeit des Arbeitlosen und zur Vermittlungstätigkeit der BA, so ist die Arbeitslosmeldung nach §§ 100, Abs 1, 105 Satz 1 AFG – möglicherweise abweichend von einer Arbeitslosmeldung nach § 132 AFG (dazu: Draeger/Buchwitz/Schönefelder aaO) – auf den jeweils eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit zu beziehen und ihre Wirkung auf die Dauer der gemeldeten Arbeitslosigkeit zu beschränken. Aus diesem Grunde wird auch eine nicht der Wahrheit entsprechende Arbeitslosmeldung als unwirksam angesehen (Draeger/Buchwitz/Schönefelder aaO). Als Erklärung über die Tatsache des Eintritts der Arbeitslosigkeit bedarf es deshalb zur Begrenzung ihrer Wirksamkeit nicht der „Gegenerklärung (negativen Arbeitslosmeldung)”. Mag der Arbeitslosmeldung zur Klarstellung der subjektiven Verfügbarkeit (Arbeitsbereitschaft) auch eine Willenskomponente eigen sein, so handelt es sich gleichwohl nicht um eine Willenserklärung (BSGE 60, 43, 45 = SozR 4100 § 105 Nr 2; BSG SozR 1300 § 28 Nr 1). Ist aber die Wirksamkeit der Arbeitslosmeldung auf den jeweils angezeigten Eintritt der Arbeitslosigkeit beschränkt, so bedarf es für den erneuten Bezug von Alg nach einer die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung erneuter Arbeitslosmeldung, um die materielle Anspruchsvoraussetzung „arbeitslos gemeldet” nach § 100 Abs 1 AFG zu begründen (ebenso: BSGE 44, 164, 173 = SozR 4100 § 134 Nr 3; LSG Baden-Württemberg Breithaupt 1995, 884, 887). Dieser Rechtsansicht hat sich der ebenfalls für die Arbeitslosenversicherung zuständige 7. Senat des BSG in mehreren Urteilen vom 23. Juli 1996 – 7 RAr 92/95, 104/95, 112/95 und 14/96 – angeschlossen.

Eine Arbeitsaufnahme verbraucht – entgegen der Annahme des LSG – auch den Leistungsantrag, wie das BSG bereits entschieden hat (BSGE 44, 164, 173 = SozR 4100 § 134 Nr 3). Aus dem Urteil des BSG vom 17. März 1981 – 7 RAr 20/80 – läßt sich Gegenteiliges nicht herleiten. Soweit dort ausgeführt ist, ein erneuter Antrag sei erst erforderlich, nachdem ein früherer Antrag abgelehnt oder eine Bewilligung aufgehoben worden sei, schließt dies die gleiche Folge für den Fall einer Arbeitsaufnahme nicht aus. Diesen Sachverhalt hatte das BSG aaO nicht zu behandeln, weil dort lediglich die Verfügbarkeit eines Arbeitslosen durch Auslandsaufenthalt vorübergehend entfallen war, sich der Versicherungsfall selbst aber nicht erledigt hatte. Inwieweit in einer Arbeitslosmeldung trotz der unterschiedlichen Funktionen von Arbeitslosmeldung und Leistungsantrag zugleich ein Antrag auf Bewilligung von Alg gesehen werden kann, ist weitgehend eine Frage tatsächlicher Würdigung (dazu: BSGE 49, 114, 116 = SozR 4100 § 100 Nr 5; BSGE 60, 43, 47 = SozR 4100 § 105 Nr 2).

2.3 Eine abweichende Beurteilung der Rechtslage ist auch nicht wegen der Gefahr einer verzögerlichen Reaktion der BA auf die Kenntnis von einer Arbeitsaufnahme des Leistungsbeziehers geboten. Die nach §§ 15 Abs 3, 132 Abs 1 Satz 3 AFG geforderte Meldung des Arbeitslosen in Abständen, die drei Monate nicht überschreiten sollen, kann diese Gefahr von Nachteilen für den Arbeitslosen weitgehend mildern. Nach der Praxis der BA sollen solche Meldungen die Wirkungen einer Meldung nach § 105 AFG auslösen (Erlaß des Präsidenten der BA vom 13. Februar 1995 – IIIa4 – 7105A/7945/7948/9040/5014.4). Das ist nicht zu beanstanden, soweit es sich um eine persönliche Meldung handelt und diese wahrheitsgemäße Angaben zur Arbeitslosigkeit umfaßt. Unabhängig davon, welchem Zweck eine solche Meldung dient, wird sie idR darauf gerichtet sein, den Leistungsanspruch in gesetzlicher Höhe zu gewährleisten. Auch wenn eine ausdrückliche Erklärung über das Bestehen von Arbeitslosigkeit nicht abgegeben wird, liegt es nahe, die Rechtsgedanken der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch zu berücksichtigen und in der Vorsprache beim Arbeitsamt auch eine schlüssige Behauptung über das Bestehen von Arbeitslosigkeit zu sehen. Die vom LSG festgestellte Verwaltungspraxis der BA beruht insofern auf Rechts-, nicht nur Billigkeitserwägungen, die die Folgen nicht angezeigter Arbeitsaufnahme begrenzen. Ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei kurzen Zwischenbeschäftigungen eine einschränkende Anwendung des § 152 Abs 3 AFG in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung gebieten kann, ist erst nach Klärung sämtlicher Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X zu entscheiden.

Über die Rechtsfolgen, die eintreten, wenn der Drei-Monats-Rythmus aus vom Arbeitslosen nicht zu vertretenden Gründen nicht eingehalten wird, ist hier nicht zu befinden. In anderem Zusammenhang hat das BSG allerdings aus dem Sozialrechtsverhältnis die Pflicht der Beteiligten hergeleitet, „sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren” (BSGE 34, 124, 127 = SozR Nr 25 zu § 29 RVO; vgl auch: Krause, Das Sozialrechtsverhältnis, Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbandes Bd XVIII ≪1980≫, 12, 25). Die Schadensminderungspflicht der BA entfällt nicht dadurch, daß die schadensgeneigte Lage durch eigenes Fehlverhalten der Klägerin entstanden ist.

3. An einer abschließenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Alg für die Zeit vom 19. April bis 3. Juni 1993 ist der Senat gehindert. Ausdrückliche Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen von Alg sind dem Urteil des LSG für den hier zu beurteilenden Zeitraum vom 19. April bis 3. Juni 1993 insofern zu entnehmen, als die Klägerin arbeitslos war und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Da sie durch Bescheid vom 10. März 1993 Alg für 167 Tage bewilligt erhalten hatte, ist auch davon auszugehen, daß sie die Anwartschaftszeit erfüllt hatte.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG läßt sich aber nicht mit Sicherheit beurteilen, ob die Klägerin während des Leistungsbezuges vom 13. bis 18. April 1993 in einem die Arbeitslosigkeit ausschließendem Umfang beschäftigt und infolgedessen für die Zeit ab 19. April 1993 nicht mehr iS des § 105 AFG arbeitslos gemeldet war. Den Festellungen des LSG ist zwar zu entnehmen, daß die Klägerin vom 13. bis 18. April 1993 (Dienstag bis Sonntag) insgesamt 25,5 Arbeits-stunden beschäftigt war. Die Legaldefinition der Kurzzeitigkeit in § 102 Abs 1 AFG stellt aber nicht auf die tatsächlich zurückgelegte Arbeitszeit ab, sondern auf die nach „Arbeitsvertrag” oder „Natur der Sache” intendierte Arbeitszeit. Dies erklärt auch, weshalb nach Satz 2 der Vorschrift gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer unberücksichtigt bleiben. Die Regelung ist im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung zu sehen, wonach Arbeitnehmer in einer kurzzeitigen Beschäftigung beitragsfrei sind (§ 169a Abs 1 Satz 1 AFG). Die Beurteilung der Beitragspflicht erfordert die Feststellung der vom Arbeitnehmer aufzuwendenden Arbeitsdauer aufgrund einer „vorausschauenden Betrachtungsweise” (BSGE 58, 67, 71 f = SozR 2200 § 165 Nr 79; BSG Urteil vom 21. Mai 1996 – 12 RK 64/94 – zur Veröffent-lichung vorgesehen). Das Leistungsrecht knüpft an das gleiche Merkmal an (BSG Urteile vom 17. März 1981 – 7 RAr 19/80 – USK 8159 und 15. Juni 1988 – 7 RAr 12/87 – USK 8886). Dem liegt die Überlegung zugrunde – wie das BSG in anderem Zusammenhang ausgeführt hat –, daß eine kurzzeitige Beschäftigung im allgemeinen nicht die Lebensgrundlage des Arbeitslosen bildet und daher das mit der Arbeitslosigkeit entfallende Entgelt nicht durch Leistungen der BA ersetzt werden muß (BSG SozR 3-4100 § 102 Nr 1). Den Feststellungen des LSG läßt sich nicht entnehmen, auf welche Arbeitszeit hin das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin ab 13. April 1993 angelegt war und ob diese arbeitsvertragliche Regelung etwa durch die Kündigung der Klägerin am 14. März 1993 eine Änderung erfahren hat, die eine Beschränkung des Arbeitsverhältnisses im voraus auf weniger als 18 Stunden wöchentlich aufweist. Vor dem Hindergrund solcher Feststellungen ist auch eine Beurteilung möglich, ob die festgestellte Arbeitszeit von 25,5 Stunden nur eine gelegentliche Abweichung von geringer Dauer iS des § 102 Abs 1 Satz 2 AFG darstellt. Sollte die weitere Sachaufklärung durch das LSG solche Feststellungen ergeben, so erwiese sich der Entziehungsbescheid jedenfalls für die Zeit ab 19. April 1993 als rechtswidrig, weil die Klägerin unter solchen Umständen in der Zeit vom 13. bis 18. April 1993 weiterhin arbeitslos gewesen wäre und damit ein Bedürfnis für eine erneute Arbeitslosmeldung als Anspruchsvoraussetzung für die hier streitigen Leistungen ab 19. April 1993 nicht vorläge.

Auch die weiteren Voraussetzungen für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids (vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht, Wahrung der Ausschlußfrist) – eine mehr als kurzzeitige Arbeitsaufnahme unterstellt – sind nicht abschließend zu beurteilen.

Das die Entziehung von Leistungen für die Vergangenheit nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X auslösende Fehlverhalten besteht in einem Verstoß gegen die gesetzliche Mitteilungspflicht nach § 60 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I). Danach haben Bezieher von Sozialleistungen, zu denen auch das Alg gehört, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. Diese Pflicht hat die Klägerin verletzt, indem sie ihre Arbeitsaufnahme im April 1993 der BA nicht mitgeteilt hat. Die Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob die Klägerin ihrer „Nebenbeschäftigung” für den Status der Arbeitslosigkeit Bedeutung beimaß. Für die Leistung erheblich war sie schon deshalb, weil während einer Arbeitslosigkeit erzieltes Arbeitsentgelt sich auf den Leistungsanspruch auswirken kann (§ 115 AFG). Die weitere Frage, ob die Klägerin ihre Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat, ist vom BSG mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend zu entscheiden. Bei grobem Verschulden der Klägerin ist die BA nach § 152 Abs 3 AFG iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X verpflichtet, die Bewilligung von Alg vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. Die Ermächtigung des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X rechtfertigt damit die Aufhebung der Alg-Bewilligung nicht nur für die Dauer einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung, sondern auch für den nachfolgenden, hier allein streitigen Zeitraum ab 19. April 1993. Die Arbeitsaufnahme hätte unter den erörterten Voraussetzungen eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen auch für diesen Zeitraum bewirkt, weil sie der zur Bewilligung des Alg führenden Arbeitslosmeldung die Grundlage entzogen hat. Jene Arbeitslosmeldung war – wie ausgeführt – mit dem durch Arbeitsaufnahme beendeten Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit verbraucht. Diese subjektive Voraussetzung der Aufhebung stellt sich unter dem Gesichtspunkt der Kurzzeitigkeit der Arbeitsaufnahme neu. Das Verschulden bezieht sich auf das die Mitteilungspflicht auslösende Ereignis der Arbeitsaufnahme (BSG Urteil vom 14. Dezember 1995 – 11 RAr 75/95; Steinwedel, Kasseler Komm § 48 RdNr 43 – Stand: März 1995). Gegebenenfalls wird daher zu prüfen sein, ob die Klägerin im Falle mehr als kurzzeitiger Beschäftigung nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten mit der Nichtanzeige die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, als sie ihren Einsatz für die „Haus- und Krankenpflege H. …” der BA nicht anzeigte.

Das Urteil des LSG ist danach mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172913

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