Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfung der Beitragspflicht zur BA

 

Orientierungssatz

1. Ob eine Beschäftigung geringfügig (kurzzeitig) und deshalb beitragsfrei in der Arbeitslosenversicherung war oder nicht, richtet sich danach, wieviel Stunden abhängiger Beschäftigung der Arbeitnehmer in der Woche bei Anlegung eines objektiven Maßstabes voraussichtlich selbst erbringen würde. Arbeitsleistungen Dritter, etwa auch des mithelfenden Ehegatten können grundsätzlich nicht hinzugerechnet werden.

2. Die Prüfung, ob Beitragsfreiheit besteht oder nicht, ist grundsätzlich bei Beginn bzw einer Änderung des Beschäftigungsverhältnisses vorzunehmen, und zwar nach der voraussichtlichen Entwicklung der Beschäftigung. Mithin kommt es, auch wenn die Beitragspflicht bzw Beitragsfreiheit erst nach Beendigung der Beschäftigung beurteilt wird, auf die Merkmale und Umstände an, wie sie bei Beginn der Beschäftigung vorgelegen haben (vgl BSG 1978-05-30 7 RAr 48/77 = SozR 4100 § 102 Nr 3 und BSG 1980-06-19 7 RAr 14/79).

 

Normenkette

AFG § 102 Abs 1 S 1 Fassung: 1969-06-25, § 102 Abs 1 S 1 Fassung: 1974-12-21, § 169 Nr 6 Fassung: 1969-06-25, § 168

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 06.12.1979; Aktenzeichen L 1 Ar 232/78)

SG Gießen (Entscheidung vom 10.01.1978; Aktenzeichen S 5a Ar 132/77)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld (Alg).

Im Februar 1973 übertrug die Beigeladene zu 2) der Klägerin gegen ein monatliches Entgelt von brutto 650,-- DM (ab 1. März 1975 680,-- DM) Säuberungs-, Aufräum- und Pflegearbeiten in ihrem blechverarbeitenden Betrieb, nachdem bis dahin die Klägerin dreimal wöchentlich zwei bis drei Stunden und ihr Ehemann auf Anforderung hin nach Bedarf bei der Beigeladenen zu 2) gearbeitet hatten. Die Klägerin war mit der Beigeladenen zu 2) übereingekommen, daß ihr Ehemann ihr bei der Erledigung ihrer Aufgaben helfen könne. Tatsächlich versah der Ehemann etwa die Hälfte der Arbeiten.

Die Beigeladene zu 2) kündigte zum 31. Mai 1976, verglich sich jedoch am 4. Mai 1977 vor dem Arbeitsgericht mit der Klägerin ua dahin, daß das Arbeitsverhältnis infolge ordentlicher Kündigung zum 30. Juni 1976 beendet sei, da wegen der Auseinandersetzungen bezüglich der rechtlichen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses eine längere Zusammenarbeit nicht zumutbar sei. Ausdrücklich haben die Klägerin und die Beigeladene zu 2) in dem Vergleich erklärt, sie seien sich darüber einig, daß zwischen ihnen ab Februar 1973 ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, aus dem allein die Klägerin zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen sei.

Die Klägerin meldete sich am 28. Juni 1976 arbeitslos und beantragte Alg. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 21. September 1976 idF des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1977 ab, da die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei; das Beschäftigungsverhältnis sei geringfügig und damit beitragsfrei gewesen. In der Arbeitsbescheinigung hatte die Beigeladene zu 2) angegeben, die Klägerin und ihr Ehemann seien gemeinsam als Putzhilfen beschäftigt gewesen; die tägliche Arbeitszeit habe eine bis drei Stunden betragen. Während des Widerspruchsverfahrens gab die Beigeladene zu 2) an, etwa die Hälfte der anfallenden Arbeiten habe der Ehemann verrichten sollen; materiell habe es sich auch um ein Entgelt für den Ehemann der Klägerin gehandelt.

Durch Urteil vom 10. Januar 1978 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Juli 1976 Alg zu bewilligen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Dezember 1979). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe weder Anspruch auf Alg noch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi), da ihre Beschäftigung geringfügig gewesen sei. Die Klägerin habe in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, auch wenn, wie sich aus einem Schreiben der Beigeladenen zu 2) an sie und ihren Ehemann ergebe, sie teilweise den Erfolg von Leistungen geschuldet habe. Sie sei persönlich abhängig gewesen. Ein Direktionsrecht habe insoweit bestanden, als die Arbeiten im einzelnen festgelegt gewesen seien; die Klägerin und ihr Ehemann seien lediglich hinsichtlich der zeitlichen Gestaltung und des zeitlichen Aufwandes für die Arbeiten im bestimmten Umfange frei gewesen. Auch an der wirtschaftlichen Abhängigkeit fehle es nicht. Die Klägerin sei in keiner Weise an dem Erfolg der Arbeit beteiligt gewesen und habe keinerlei wirtschaftliches Risiko getragen. Aus dieser Beschäftigung lasse sich jedoch die Anspruchsberechtigung für Alg nicht herleiten, weil sie lediglich geringfügig gewesen sei (§§ 104, 102 Abs 1, 169 Nr 6 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-). In tatsächlicher Hinsicht stehe fest, daß die Klägerin durch ihre Arbeitszeit die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten habe. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten die Arbeiten im Einvernehmen mit der Beigeladenen zu 2) so aufgeteilt, daß jeder etwa die Hälfte an Arbeitszeit habe aufbringen müssen. Das ergebe für die Klägerin als durch Vereinbarung festgelegte Arbeitszeit an zeitlichem Aufwand etwa 13 Stunden wöchentlich, auch wenn zeitweise bis zu 17 Stunden wöchentlich erforderlich gewesen seien. Die Arbeitszeit, die ihr Ehemann aufgewendet habe, könne der Klägerin nicht zugerechnet werden. Zwar lasse sich arbeitsrechtlich die Höchstpersönlichkeit der Arbeitsleistung durchbrechen, für das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis komme es jedoch in erster Linie auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Der arbeitsgerichtliche Vergleich könne die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht präjudizieren, zumal da die Arbeitsvertragsparteien sich bezüglich der rechtlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses nicht einig gewesen seien. Die Gesamtumstände sprächen trotz der 1973 ausgesprochenen Kündigung eher für das Fortbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses mit dem Ehemann der Klägerin. Doch komme es hierauf nicht an. Daß sich nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen der Faktor Arbeitszeit nur auf die Person beziehen lasse, die die Arbeit tatsächlich verrichtet habe, ergebe sich auch daraus, daß andernfalls die zurückgelegte Arbeitszeit des Ehemannes nicht zur Begründung einer Anwartschaft des Ehemannes herangezogen werden könne. An Regelungen für Heimarbeiter oder Hausgewerbetreibende könne nicht angeknüpft werden; diese Sonderregelungen ließen sich auf den Fall der Klägerin nicht übertragen.

Die Klägerin rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 102, 104 AFG, §§ 2, 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) und §§ 103, 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und bringt hierzu insbesondere vor: Nach dem Tatbestand sei unstreitig, daß die Beigeladene zu 2) das Arbeitsverhältnis zum Ehemann der Klägerin 1973 gelöst habe und der Klägerin nunmehr allein alle Rechte und Pflichten zugekommen seien. Hieraus folge, daß nur die Klägerin in einem Arbeitsverhältnis zur Beigeladenen zu 2) gestanden habe, und zwar versicherungspflichtig. Mit seiner Schlußfolgerung habe das LSG gegen Denkgesetze verstoßen (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Die Richtigkeit der Angaben der Beigeladenen zu 2) im Widerspruchsverfahren, das Arbeitsverhältnis habe auch mit dem Ehemann bestanden, und die Vergütung enthalte auch sein Arbeitsentgelt, könne bezweifelt werden. Die Angaben widersprächen dem Inhalt des Arbeitsvertrages, der unstreitiger Tatbestand sei. Eine erneute Änderung sei nicht festgestellt worden, auch habe die Beigeladene zu 2) gegenüber der Beigeladenen zu 1) für April 1976 das Arbeitsentgelt der Klägerin mit 680,-- DM angegeben. Die Erklärung der Beigeladenen zu 2) im Widerspruchsverfahren habe das LSG ungeprüft übernommen. Da das Arbeitsverhältnis des Ehemannes mit der Beigeladenen zu 2) unstreitig beendet worden sei, habe das LSG die Erklärung besonders sorgfältig prüfen müssen. Das LSG habe daher § 103 SGG verletzt. Die Feststellung, beide Ehegatten hätten in einem Beschäftigungsverhältnis zur Beigeladenen zu 2) gestanden, sei arbeitsrechtlich unzutreffend. Der Ehemann, der vollschichtig in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber gestanden habe, habe kein Entgelt von der Beigeladenen zu 2) erhalten, er habe auch keine Arbeit für sie erbracht. Vielmehr habe allein die Klägerin die geschuldete Arbeit erbringen müssen, wenn sie auch seine Hilfe in Anspruch habe nehmen können. Die Aufteilung habe ihr oblegen. Es könne daher dahinstehen, in welchem Umfange die Klägerin und in welchem Umfange der Ehemann tätig geworden sei. Wesentlich sei nur, ob die von der Klägerin allein zu erbringende Arbeit vom zeitlichen Umfange her die Geringfügigkeitsgrenze des § 102 AFG überschritten habe. Wäre der Ehemann der Klägerin arbeitslos geworden, wäre seine geringfügige Hilfe bei der Arbeit seiner Frau für seinen Alg-Anspruch unschädlich gewesen (§ 101 Abs 1 Nr 1 AFG). Entsprechend dürfe die Hilfe des Ehemannes für den Alg-Anspruch der Ehefrau nicht schädlich sein.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der

Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

und hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und

Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie nimmt auf das Urteil des LSG Bezug.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Die Beigeladene zu 1) nimmt auf das Urteil des LSG bezug, während der Beigeladene zu 2) sich zu dem Revisionsvorbringen nicht geäußert hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die Feststellungen des LSG reichen für eine abschließende Entscheidung, ob der Klägerin ab 1. Juli 1976 Alg zusteht, nicht aus.

Zu Recht hat das LSG die Berufung der Beklagten als zulässig angesehen. Der Zulässigkeit der Berufung, die das Revisionsgericht bei einer zugelassenen Revision als eine von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvoraussetzung zu prüfen hat (vgl für viele BSG SozR 1500 § 150 Nr 11 und 18 mwN), steht § 144 Abs 1 Nr 2 SGG nicht entgegen. Die Berufung der Beklagten betrifft einen Anspruch auf eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (3 Monaten), da das SG die Beklagte zur Alg-Bewilligung für mindestens vier Monate ab 1. Juli 1976 verurteilt hat. Aus der Akte der Beklagten ergibt sich nämlich, daß die Klägerin am 3. November 1976 arbeitsunfähig erkrankt ist und bis dahin keine Arbeit gefunden hat. Diese Feststellung trifft der Senat anstelle des LSG; Prozeßvoraussetzungen, die von Amts wegen zu prüfen sind, kann das Revisionsgericht selbst feststellen, und zwar auch durch Freibeweis (vgl Meyer-Ladewig, SGG, § 163 RdNr 6).

Anspruch auf Alg hat, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hat (§ 100 Abs 1 AFG vom 25. Juni 1969, BGBl I 582). Das LSG hat angenommen, die Anwartschaftszeit sei nicht erfüllt; dem kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht beigetreten werden.

Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in den letzten drei Jahren vor Eintritt der für den Anspruch maßgeblichen Arbeitslosigkeit (Rahmenfrist, § 104 Abs 2 und 3 AFG) 26 Wochen oder sechs Monate in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Die Klägerin stand nach den Feststellungen des LSG von Frühjahr 1973 bis zum 30. Juni 1976 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu der Beigeladenen zu 2). Die Möglichkeit, sich durch den Ehemann vertreten zu lassen, schließt das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht schlechthin aus (BSG SozR Nr 28 zu § 165 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Dieses Beschäftigungsverhältnis begründet nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG an sich die Beitragspflicht, sofern die Klägerin nicht nach § 169 AFG oder einer Rechtsverordnung nach § 173 Abs 1 AFG beitragsfrei ist. Beitragsfrei sind nach § 169 Nr 6 AFG Arbeitnehmer in einer geringfügigen Beschäftigung (§ 102 AFG). Geringfügig ist nach § 102 Abs 1 Satz 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden ursprünglichen Fassung des Gesetzes eine Beschäftigung, die auf nicht mehr als zwanzig Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist; seit dem 1. Januar 1975 ist die Beschäftigung geringfügig, die auf weniger als zwanzig Stunden beschränkt zu sein pflegt oder beschränkt ist (§ 102 Abs 1 Satz 1 AFG idF des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974, BGBl I 3656). Gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt (§ 102 Abs 1 Satz 1 AFG alter und neuer Fassung). Die redaktionelle Änderung, die § 169 Nr 6 AFG und § 102 AFG durch die Ersetzung des Wortes "geringfügig" durch das Wort "kurzzeitig" durch Artikel II § 9 Nr 1 und § 21 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) ab 1. Juli 1977 erfahren hat, ist im Falle der Klägerin noch nicht anzuwenden. Eine vertragliche Vereinbarung über die Anzahl der wöchentlich zu leistenden Arbeitsstunden (vgl dazu BSG SozR 4100 § 102 Nr 3 und 4) hat es nach den Feststellungen des LSG nicht gegeben. Geringfügig war die Beschäftigung der Klägerin daher, wenn sie der Natur der Sache nach, dh der Art und dem Umfang der anfallenden Verrichtungen sowie den zeitlichen Umständen ihrer Erledigung nach, bis zum 31. Dezember 1974 auf nicht mehr als zwanzig Stunden wöchentlich bzw danach auf weniger als zwanzig Stunden wöchentlich beschränkt zu sein pflegte. Maßgebend ist, ob bei normalem Ablauf der Ereignisse ein durchschnittlich begabter Ausführender mit durchschnittlichen Fertigkeiten unter üblichen Arbeitsbedingungen nicht mehr bzw weniger als zwanzig Arbeitsstunden benötigte oder nicht. Es ist ein objektiver Maßstab anzusetzen, dh, darauf abzustellen, welche Zeit normalerweise benötigt wird (vgl dazu im einzelnen BSG aaO).

Sind Art und Umfang der anfallenden Verrichtungen sowie die zeitlichen Umstände ihrer Erledigung maßgebend, können nur solche Verrichtungen berücksichtigt werden, die nach dem tatsächlichen Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses der Arbeitnehmer selbst erbringen sollte. Der Schutz der Arbeitslosenversicherung knüpft an die abhängige Beschäftigung an; die Voraussetzungen dieses Schutzes müssen daher in der Person des Arbeitnehmers erfüllt sein, und zwar auch, soweit das Gesetz eine bestimmte zeitliche Inanspruchnahme durch die abhängige Beschäftigung fordert. Dies bestätigt die Regelung des § 101 Abs 1 AFG. Nach dieser Bestimmung schließt eine geringfügige Beschäftigung sowie eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger oder Selbständiger in den Grenzen des § 102 AFG den Tatbestand der Arbeitslosigkeit nicht aus; auch bei mehreren geringfügigen Beschäftigungen oder Tätigkeiten kann Arbeitslosigkeit gegeben sein, wenn die Beschäftigungen oder Tätigkeiten zusammen die Grenze des § 102 AFG nicht überschreiten. Dieser Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, daß ein Arbeitnehmer, der innerhalb der Geringfügigkeitsgrenze tätig oder beschäftigt ist, daneben noch eine mehr als geringfügige Beschäftigung ausüben kann und deshalb wegen der ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit dem Arbeitsmarkt nicht entzogen ist (vgl BSGE 2, 67, 77; 3, 1, 3). Bei der Frage, ob ein Arbeitnehmer, der Alg oder Alhi begehrt, trotz einer Beschäftigung oder Tätigkeit arbeitslos ist, bleibt daher die Mitarbeit Dritter außer Betracht (so für mithelfende Familienangehörige Selbständiger nach früherem Recht BSGE 18, 222, 224; Schleswig-Holsteinisches LSG Breithaupt 1963, 721 = ABA 1963, 172; Geffers ABA 1963, 175; Dräger/Buchwitz/Schönefelder, AVAVG, § 75 RdNr 16). Bei der Beurteilung, ob eine Beschäftigung beitragsfrei ist, kann kein anderer Geringfügigkeitsbegriff gelten. Daher kann der Ansicht der Revision nicht zugestimmt werden, weil eine geringfügige Tätigkeit eines mithelfenden Familienangehörigen seiner eigenen Arbeitslosigkeit nicht entgegenstehe, dürfe die Hilfeleistung nicht zur Geringfügigkeit der Beschäftigung dessen, dem der Familienangehörige hilft, führen.

Bei der Beurteilung des voraussichtlichen zeitlichen Aufwands der Beschäftigung der Klägerin sind daher solche Arbeiten nicht anzusetzen, die nach dem tatsächlichen Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses nicht sie, sondern ihr Ehemann erbringen sollte. Das versteht sich von selbst, wenn die Mitarbeit des Ehemannes ein Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin oder - mittelbar oder unmittelbar - zur Beigeladenen zu 2) begründete, mag diese Beschäftigung ihrerseits nur geringfügig und deshalb in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei gewesen seine. Nichts anderes gilt, wenn der Ehemann im Rahmen eines Werkvertrages tätig werden sollte oder seine regelmäßige Mitarbeit aufgrund der familiären Bindungen von der Beigeladenen zu 2) erwartet wurde. Ein vorgesehener Einsatz des Ehemannes für den Fall der Erkrankung der Klägerin bzw für die Zeit ihres Urlaubs wäre dagegen genauso unschädlich wie eine nur gelegentlich erwartete Mithilfe aus besonderem Anlaß. Die Prüfung, ob Beitragsfreiheit besteht oder nicht, ist grundsätzlich bei Beginn bzw einer Änderung des Beschäftigungsverhältnisses vorzunehmen, und zwar nach der voraussichtlichen Entwicklung der Beschäftigung. Mithin kommt es, auch wenn die Beitragspflicht bzw Beitragsfreiheit erst nach Beendigung der Beschäftigung beurteilt wird, auf die Merkmale und Umstände an, wie sie bei Beginn der Beschäftigung vorgelegen haben (BSG SozR 4100 § 102 Nr 3 mwN; Urteil des Senats vom 19. Juni 1980 - 7 RAr 14/79 -; zum früheren Recht BSGE 13, 98, 100; BSG SozEntsch VIII/2 § 66 AVAVG Nr 1).

Eine entsprechende Feststellung, der zufolge die Beschäftigung der Klägerin bis zum 31. Dezember 1974 auf nicht mehr als zwanzig Stunden wöchentlich und danach auf weniger als zwanzig Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt war, hat das LSG nicht getroffen. Bei der Beurteilung dieser Frage hat das LSG weder auf die voraussichtliche Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses im Zeitraum seiner Begründung bzw einer späteren Neugestaltung abgestellt noch einen objektiven Maßstab angewendet, sondern nach dem durchschnittlichen Zeitaufwand der Klägerin und ihres Ehemannes entschieden, wie er sich tatsächlich ergeben hat. Das kann nicht gebilligt werden. Die tatsächliche Entwicklung des Beschäftigungsverhältnisses kann zwar bei der Beweiswürdigung als zusätzliches Beweismittel mit verwertet werden, zB, wenn von Anfang an wesentliche Merkmale die Beschäftigung als geringfügig kennzeichnen, eine Klärung im voraus aber nicht möglich war (vgl BSGE 13, 98, 101; BSG SozEntsch VIII/2 § 66 AVAVG Nr 1). Ebenso vermag ein von der Erwartung völlig abweichender tatsächlicher Verlauf von der endgültigen Abänderung dieser Verhältnisse an eine neue Beurteilung zu rechtfertigen (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 168 RVO). Solche Sachverhalte hatte das LSG aber nach den getroffenen Feststellungen nicht zu entscheiden, da es auf die voraussichtliche Gestaltung überhaupt nicht abgehoben hat. In anderen Fällen bleibt die vorausschauende Beurteilung auch dann maßgebend, wenn die nicht sicher voraussehbaren Umstände mit dem tatsächlichen Ablauf des Arbeitsverhältnisses nicht übereinstimmen (vgl BSG aaO). Deshalb kann der vom LSG festgestellte Durchschnitt der tatsächlichen Arbeitszeit der Klägerin von dreizehn Wochenstunden nicht die Prüfung ersetzen, welchen Zeitaufwand die Beschäftigung der Klägerin voraussichtlich, dh, nach den Erwartungen und Verhältnissen von Februar 1973 bzw dem Zeitpunkt einer späteren Änderung des Beschäftigungsverhältnisses (zB durch Zu- oder Abnahme der Aufgaben, Einsatz neuer Geräte usw) her betrachtet, erforderte.

Kann mithin aufgrund der getroffenen Feststellungen die Klageabweisung durch das LSG, die sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, nicht bestätigt werden, ist die Revision der Klägerin begründet, ohne daß es auf ihre Rügen ankommt. Eine Entscheidung in der Sache selbst ist dem Senat verwehrt. Ob die Beschäftigung der Klägerin beitragsfrei war, kann nicht dahingestellt bleiben. Die fehlerhafte Entrichtung von Beiträgen zur Beklagten begründet einen Anspruch auf Alg nicht, wenn es an einer die Anwartschaft begründenden beitragspflichtigen Beschäftigung fehlt (BSGE 44, 193, 197 = SozR 4100 § 118 Nr 4; BSG SozR 4100 § 168 Nr 10; vgl ferner Urteil des Senat vom 19. Juni 1980 - 7 RAr 14/79 -; vgl für das frühere Recht BSGE 13, 98, 101). Das Urteil des LSG ist daher gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Bei der erneuten Entscheidung wird das LSG zu prüfen haben, ob die Angaben der Beigeladenen zu 2) im Widerspruchsverfahren zutreffen. Sollte der Ehemann der Klägerin trotz der im Februar 1973 getroffenen Vereinbarung bestimmte, schon bisher von ihm ausgeführte Arbeiten weiter erledigen, kann der Zeitaufwand für diese Arbeiten nicht bei der Beurteilung des Umfangs der Beschäftigung der Klägerin veranschlagt werden. Gleiches wird für den Zeitaufwand für in gewisser Regelmäßigkeit anfallende Arbeiten zu gelten haben, die die Klägerin von vornherein nicht selbst erbringen konnte. Hierzu zählen Verrichtungen, die Fachkenntnisse, besondere Körperkräfte oder eine unabweisbare Mithilfe eines Dritten erfordern, wenn der Arbeitsanfall etwa wegen seines Umfangs in der gebotenen Zeit von einer Person allein nicht zu bewältigen war. Verpflichtungen der Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 2) hinsichtlich der Arbeiten, die ihr Ehemann erbringen sollte, sind allerdings insoweit für die Klägerin zu veranschlagen, als diese Verpflichtungen (etwa Aufsichts- und Kontrollpflichten) einen zusätzlichen zeitlichen Aufwand erfordern.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656428

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