Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsentgelt iS der Sozialversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beschäftigung eines nichtseßhaften Hilfesuchenden ist keine nur zur Gewöhnung an Arbeit oder zur Prüfung der Arbeitsbereitschaft ausgeübte Tätigkeit iS des § 20 BSHG, wenn für sie Arbeitsentgelt gezahlt worden ist; daß der Hilfesuchende sie nur wenige Tage ausgeübt hat, ändert nichts.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch eine gemeinnützige zusätzliche Arbeit nach § 19 Abs 2 BSHG schließt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis iS der RVO nicht aus, sofern der Hilfeempfänger für seine Arbeit eine Gegenleistung in Gestalt von Arbeitsentgelt erhalten hat, ihm also nicht lediglich Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen Mehraufwendungsentschädigung gewährt worden ist.

2. Daß die Beschäftigung von einem Nichtseßhaften ausgeübt wurde, läßt nicht den Schluß zu, daß sie schon deswegen ihrer Natur nach auf eine geringe zeitliche Dauer angelegt war, auch wenn bei Nichtseßhaften der vorzeitige Abbruch einer übernommenen Arbeit eher in Betracht kommt als bei sonstigen Beschäftigten.

 

Orientierungssatz

1. Eine Vergütung, die deswegen gemindert ist, weil die von einem Sozialhilfeträger beschäftigten Hilfesuchenden in der Regel nicht die Arbeitsleistung sonstiger Arbeitnehmer erbringen, ist "Arbeitsentgelt" iS des Sozialversicherungsrechts.

2. Ob es sich um Arbeitsentgelt oder Hilfe zum Lebensunterhalt iS des § 20 BSHG handelt, läßt sich aus der Höhe der Zahlung ableiten.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1956-06-12; BSHG § 20 Fassung: 1976-02-13; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AFG § 168 Abs. 1 S. 1; SGB 4 § 8 Abs. 1 Nr. 2; SGB 4 § 14 Abs. 1; BSHG § 19 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 04.11.1983; Aktenzeichen L 4 Kr 988/81)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 18.03.1981; Aktenzeichen S 2 Kr 2589/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene zu 1) W M (M.) in der Zeit vom 20. bis 23. April 1979 versicherungspflichtig beschäftigt war.

Der am 15. Dezember 1929 geborene M. gehört zum Kreis der nichtseßhaften Personen. Am 17. April 1979 beantragte er beim Sozialamt der Landeshauptstadt Stuttgart Sozialhilfe. Diese Behörde gewährte ihm eine vorübergehende Unterkunft im städtischen Übernachtungsheim und verwies ihn an die Klägerin, die als Verband der freien Wohlfahrtspflege in Absprache mit dem örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger ua Arbeitsfürsorge für nichtseßhafte Personen durchführt. Die Klägerin bot ihm eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter an und setzte ihn zu gärtnerischen Pflegearbeiten bei der "Wilhelma", einem zoologisch-botanischen Garten in Stuttgart-Bad Cannstatt, ein. Dort arbeitete er am Freitag, dem 20. April, und am Montag, dem 23. April 1979, jeweils acht Stunden. Anschließend erschien er nicht mehr am Arbeitsplatz und meldete sich auch nicht mehr bei der Klägerin oder dem Sozialamt. Die Klägerin zahlte ihm für seine Arbeit einen Stundenlohn von 6,30 DM. Diesen Betrag erstattete ihr die "Wilhelma". Der tariflich festgelegte Bruttostundenlohn für einen ungelernten Gartenarbeiter betrug damals 9,05 DM.

Die Klägerin meldete M. bei der Beklagten als Pflichtmitglied zur Krankenversicherung, Rentenversicherung der Arbeiter und Arbeitslosenversicherung und bescheinigte ihm für den Zeitraum vom 20. bis 23. April 1979 ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt von 101,-- DM. Mit Bescheid vom 30. April 1979 lehnte es die Beklagte ab, die Versicherungspflicht von M. festzustellen, weil dieser nach ihrer Auffassung in der fraglichen Zeit in keinem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, sondern lediglich Sozialhilfe erhalten habe. Widerspruch der Klägerin und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. September 1979; Urteil des Sozialgerichts - SG Stuttgart vom 18. März 1981).

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Versicherungspflicht von M. in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter sowie seine Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) in dem streitigen Zeitraum festgestellt (Urteil vom 4. November 1983). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe M. entsprechend den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) Sozialhilfe in Form von Hilfe zur Arbeit gewährt. Durch die Bereitstellung einer Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs 1 BSHG sei ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet worden, denn es habe sich dabei nicht um eine Maßnahme iS des § 19 Abs 2 bzw § 20 BSHG gehandelt. Für M. sei weder Gelegenheit zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit geschaffen noch sei er als arbeitsentwöhnter Hilfesuchender an Arbeit gewöhnt oder seine Bereitschaft zur Arbeit geprüft worden. Er habe das Angebot eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses angenommen, sich auf Weisung der Klägerin in einen Arbeitsprozeß eingliedern lassen und dort eine ausreichende Leistung erbracht. Zwar habe er die Tätigkeit nur zwei Tage ausgeübt und, soweit ersichtlich, anschließend keine andere Arbeit angenommen; auch in den Jahren zuvor habe er nicht regelmäßig gearbeitet. Diese Umstände reichten jedoch allein nicht aus, um feststellen zu können, daß es ihm an der allgemeinen Arbeitsbereitschaft gefehlt habe. Es liege auch kein weiterer Anhalt dafür vor, daß er bei der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses keinen grundsätzlichen Arbeitswillen und Willen zur Fortsetzung dieser Arbeit gehabt habe. Das Beschäftigungsverhältnis sei entgeltlich gewesen. Das ausbezahlte Arbeitsentgelt von 6,30 DM netto pro Arbeitsstunde habe zwar unter dem Tariflohn eines ungelernten Gartenarbeiters gelegen, jedoch nicht außer Verhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung gestanden. Bei dieser Sachlage könne nicht davon ausgegangen werden, daß M. keine arbeitsgerechte Entlohnung, sondern nur Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten habe. Es habe auch keine versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung nach § 8 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften - (SGB IV) vorgelegen.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt die Beklagte vor, sie gehe mit dem LSG davon aus, daß ein Fall der in § 19 Abs 2 BSHG genannten gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeit nicht vorliege. Das LSG habe jedoch die Vorschrift des § 20 BSHG verletzt. Es habe verkannt, daß § 20 Abs 1 BSHG nicht nur den Fall der Arbeitsgewöhnung regele, sondern auch davon handele, daß im Einzelfall erst die Bereitschaft eines Hilfesuchenden zur Arbeit zu prüfen sei. Eine für diese Prüfung geeignete Tätigkeit habe die Klägerin M. angeboten. Hierzu habe auch jeder Anlaß bestanden, da dieser in den letzten zehn Jahren nur in unbedeutendem Maße einer Arbeit nachgegangen sei. Da die Klägerin in Absprache mit dem örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger Arbeitsfürsorge für nichtseßhafte Personen durchführe, könne angesichts des Arbeitslebens von M. ihre Hilfsmaßnahme nur als Angebot einer geeigneten Tätigkeit zur Prüfung der Arbeitsbereitschaft verstanden werden. Damit werde aber gemäß §§ 20 Abs 2, 19 Abs 3 BSHG kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung begründet. Es könne nicht angenommen werden, daß M. Arbeitslohn erhalten habe. Dagegen spreche schon, daß die ihm gegebene Hilfe um nahezu 20 vH unter der tarifvertraglichen Entlohnung gelegen habe. Ein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne werde jedenfalls dann nicht begründet, wenn dem Hilfesuchenden nicht das übliche Arbeitsentgelt gewährt werde. Mit dem ihm gezahlten Betrag habe M. lediglich Hilfe zum Lebensunterhalt und eine angemessene Entschädigung gemäß

Die Beklagte und die Beigeladene zu 4), die sich den Ausführungen der Beklagten anschließt, beantragen,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 3) hat sich der Revisionsbegründung der Beklagten angeschlossen, jedoch von einer Antragstellung abgesehen.

Die Beigeladene zu 2) hat sich in der Sache nicht geäußert.

M. ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Beigeladene M. während der fraglichen Zeit (20. bis 23. April 1979) in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat; insbesondere ist ihm als Hilfesuchendem iS des BSHG weder lediglich Hilfe zum Lebensunterhalt (zuzüglich einer angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen) für gemeinnützige und zusätzliche Arbeit gewährt worden (§ 19 Abs 2 und 3 BSHG) noch hat er eine Tätigkeit verrichtet, die ihn als Arbeitsentwöhnten erst wieder an Arbeit gewöhnen oder seine Arbeitsbereitschaft prüfen sollte (§ 20 BSHG).

Das LSG hat übereinstimmend mit der Beklagten angenommen, daß die Beschäftigung des Beigeladenen M. keine gemeinnützige und zusätzliche Arbeit iS des § 19 Abs 2 BSHG zum Gegenstand hatte. Ob dies zutrifft, läßt sich den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht mit Sicherheit entnehmen. Sollte der zoologisch-botanische Garten "Wilhelma", wo M. seinerzeit gearbeitet hat, eine öffentliche Einrichtung sein, die - wie etwa ein öffentlicher Park - unmittelbar der Allgemeinheit dient, dann könnten die dort von M. verrichteten Pflegearbeiten gemeinnütziger Art gewesen sein (vgl Knopp/Fichtner, BSHG, 5. Aufl, § 19 RdNr 3). Das kann indes - ebenso wie die weitere Frage, ob die Arbeit "zusätzlich" verrichtet worden ist - dahinstehen. Selbst wenn nämlich beide Fragen zu bejahen wären, schlösse dies ein vom LSG angenommenes versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht aus, sofern M. für seine Arbeit eine Gegenleistung in Gestalt von Arbeitsentgelt erhalten hat, ihm also nicht lediglich Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen Mehraufwandsentschädigung gewährt worden ist. Das LSG hat diese Frage im Rahmen des § 19 Abs 2 BSHG nicht geprüft und von seinem rechtlichen Ausgangspunkt auch nicht zu prüfen brauchen. Es hat sie jedoch bei § 20 BSHG erörtert, und zwar mit dem Ergebnis, daß M. Arbeitsentgelt erhalten hat. Dem tritt der erkennende Senat bei.

§ 20 BSHG regelt den Fall, daß einem Hilfesuchenden weder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - ggf unter Einschaltung der BA (§ 18 Abs 2 BSHG) - noch durch Schaffung besonderer Arbeitsgelegenheiten (§ 19 Abs 1 BSHG), insbesondere nicht durch Bereitstellung gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit (§ 19 Abs 2 BSHG), zu einer Beschäftigung verholfen werden kann, weil er nämlich einer geregelten Arbeit entwöhnt ist oder mindestens seine Bereitschaft zur Aufnahme einer Arbeit zweifelhaft erscheint. Liegt eine dieser Voraussetzungen vor, was gerade bei nichtseßhaften Personen der Fall sein kann (vgl Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl, § 20 RdNr 9), soll dem Hilfesuchenden zunächst - gewissermaßen als Vorstufe für spätere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach §§ 18 oder 19 BSHG (vgl BVerwGE 67, 1, 4) - eine Tätigkeit angeboten werden, die geeignet ist, ihn wieder an Arbeit zu gewöhnen oder seine Arbeitsbereitschaft zu prüfen, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist (§ 20 Abs 1 BSHG). Da es sich bei einer solchen "Tätigkeit" nicht um eine "Arbeit" handelt, die gegen Entgelt ausgeübt wird, die Tätigkeit vielmehr wegen ihrer "therapeutischen Ausrichtung" (Schulte/Trenk-Hinterberger, BSHG, § 20 Anm 2) im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Leistungsverhältnisses der Sozialhilfe verrichtet wird (Schellhorn/Jirasek/ Seipp, BSHG, 11. Aufl, § 20 RdNr 5), werden dem Hilfesuchenden lediglich Hilfe zum Lebensunterhalt und eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt (§ 20 Abs 2 Satz 1 BSHG). Diese Regelung ist zwingend, während im Rahmen des § 19 Abs 2 BSHG dem Sozialhilfeträger bei Bereitstellung gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit grundsätzlich, dh sofern es sich nicht gerade um vollschichtige Arbeit handelt (vgl BVerwG in NDV 1984, 93), die Wahl zwischen der Zahlung des üblichen Arbeitsentgelts oder der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen Mehraufwandsentschädigung bleibt. Soweit hiernach § 20 Abs 2 Satz 1 BSHG Platz greift, hat der Gesetzgeber folgerichtig weiter bestimmt, daß für den Hilfesuchenden kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts und kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung begründet wird (§ 20 Abs 2 Satz 2 iVm § 19 Abs 3 BSHG).

Die Anwendung des § 20 BSHG bietet nun der Verwaltung und den Gerichten insofern Schwierigkeiten, als über das Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 und des Abs 2 Satz 1 der Sozialhilfeträger zu entscheiden hat und seine Entscheidung ggf von den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüft wird; demgegenüber macht § 20 Abs 2 Satz 2 iVm § 19 Abs 3 BSHG, der bei Bejahung der genannten Voraussetzungen ein kranken- und rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ausschließt, für eine entsprechende Feststellung einen Versicherungsträger und im Streitfall ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit zuständig. Eine weitere Schwierigkeit rührt daher, daß die vom Sozialhilfeträger einem Hilfesuchenden nach § 20 BSHG angebotene und von ihm angenommene "Tätigkeit" sich ihrer Art nach häufig nicht wesentlich von einer "Arbeit" unterscheiden wird, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder als eine gemeinnützige und zusätzliche Arbeit iS des § 19 Abs 2 BSHG ausgeübt wird. Auch der vom Sozialhilfeträger verfolgte Zweck (Gewöhnung des Hilfesuchenden an geregelte Arbeit bzw Prüfung seiner Arbeitsbereitschaft - § 20 BSHG - oder aber Verweisung des Hilfesuchenden auf die Nutzung seiner Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen - § 18 Abs 1 BSHG -) gestattet nicht immer eine sichere Unterscheidung, zumal mehrere der genannten Zwecke zugleich verfolgt werden können.

In solchen Fällen, zu denen möglicherweise auch der vorliegende Fall gehört, bleibt als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal für die vom Versicherungsträger zu prüfende Versicherungspflicht die Art und der Umfang der dem Hilfesuchenden gewährten Leistungen. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, wie die Leistungen, insbesondere die gezahlten Geldbeträge, vom Sozialhilfeträger bezeichnet werden (Hilfe zum Lebensunterhalt, Entschädigung für Mehraufwendungen, Arbeitsentgelt). Andererseits kann auch die Bezeichnung der Leistungen schon einen gewissen Anhalt geben, wenn, wie im Falle des Beigeladenen M., ein "Stundenlohn" gezahlt worden ist.

Daß es sich hier bei dieser Zahlung in der Tat um Arbeitsentgelt, dh um eine Gegenleistung für verrichtete "Arbeit" und nicht um Hilfe zum Lebensunterhalt während einer "Tätigkeit" iS des § 20 BSHG gehandelt hat, hält der Senat vor allem wegen der Höhe des gezahlten Betrages (Stundenlohn von netto 6,30 DM) für zweifelsfrei. Wie hoch zur fraglichen Zeit der Regelsatz der Sozialhilfe in Stuttgart war und welche zusätzliche Entschädigung ein Hilfesuchender erhielt, der gemeinnützige Arbeiten iS des § 19 Abs 2 BSHG oder eine Tätigkeit iS des § 20 BSHG verrichtete, hat das LSG nicht festgestellt. Nähere Feststellungen darüber sind hier indessen auch entbehrlich; denn in keinem Falle erreichte der Regelsatz der Sozialhilfe und eine Mehraufwandsentschädigung den von M. bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden erzielten Tagesverdienst von netto (8 x 6,30 =) ca 50 DM (nach Schellhorn/Jirasek/Seipp, aaO, § 19 BSHG RdNr 13, lag die Höhe der Mehraufwandsentschädigung "derzeit", dh im Jahre 1984, bei 1 bis 3 DM je Arbeitsstunde).

Daß der dem Beigeladenen M. gezahlte Stundenlohn von netto 6,30 DM dem tariflichen Bruttolohn eines ungelernten Gartenarbeiters (9,05 DM) nach den Feststellungen des LSG nicht voll entsprach, sondern um ca 20 vH niedriger war, hat das LSG mit Recht für unerheblich gehalten. Insoweit braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob das "übliche Arbeitsentgelt" iS des § 19 Abs 2 BSHG, wenn tarifvertragliche Regelungen bestehen, aus ihnen zu entnehmen ist (nach BVerwGE 67, 1, 7 findet bei Anwendung des § 19 Abs 1 BSHG eine "tarifgemäße" Entlohnung statt, jedoch soll dieser Tariflohn nicht dem "üblichen Arbeitsentgelt" iS des § 19 Abs 2 BSHG entsprechen). Auch wenn der Ansicht des BVerwG aaO nicht zu folgen, das "übliche" Arbeitsentgelt iS des § 19 Abs 2 BSHG also grundsätzlich dem tariflichen gleichzusetzen wäre, hier mithin der Beigeladene M. wegen untertariflicher Entlohnung nicht das "übliche Arbeitsentgelt" erhalten hätte, würde dies nichts daran ändern, daß ihm während seiner Beschäftigung "Arbeitsentgelt" gezahlt worden ist. Auch eine Vergütung, die deswegen gemindert ist, weil - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - die von der Klägerin beschäftigten Hilfesuchenden in der Regel nicht die Arbeitsleistung sonstiger Arbeitnehmer erbringen, ist "Arbeitsentgelt" im Sinne des Sozialversicherungsrechts.

Im übrigen bestätigen die weiteren Ausführungen des LSG, daß der Beigeladene M. während der fraglichen Zeit in einer entgeltlichen Beschäftigung gestanden und nicht eine Tätigkeit iS des § 20 BSHG verrichtet hat. Zwar hat auch das LSG darauf hingewiesen, daß M. nur zwei Tage gearbeitet, anschließend keine andere Arbeit angenommen und in den Jahren zuvor keine regelmäßige Beschäftigung ausgeübt habe (immerhin hat er nach einem im Urteil des SG angeführten Versicherungsverlauf eine anrechnungsfähige Versicherungszeit von 222 Monaten zurückgelegt). Dennoch hat das LSG bei ihm das Fehlen einer allgemeinen Arbeitsbereitschaft nicht feststellen können und hat auch keinen weiteren Anhalt dafür gefunden, daß er bei der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses mit der Klägerin keinen grundsätzlichen Arbeitswillen gehabt habe. Diese tatsächlichen Feststellungen des LSG sind von der Revision nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden und deshalb für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Nach allem ist deshalb mit dem LSG davon auszugehen, daß M. während der fraglichen Zeit in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.

Gründe, aus denen die Beschäftigung des Beigeladenen M. ausnahmsweise wegen Geringfügigkeit (§ 8 SGB IV) als versicherungsfrei anzusehen ist, liegen nicht vor. Das LSG hat zu Recht festgestellt, daß die Beschäftigung nicht von vornherein vertraglich oder nach ihrer Eigenart zeitlich begrenzt war (§ 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV). Eine Beendigung der Arbeit nach nur zwei Arbeitstagen war bei Vertragsabschluß weder vereinbart noch voraussehbar. Die kurze Zeitdauer ergab sich auch nicht aus der Eigenart der Beschäftigung. Gärtnerische Pflegearbeiten in einem botanischen Garten gehören nicht zu den Saisonarbeiten, die von ihrer Art und Notwendigkeit her auf längstens drei Monate oder 75 Arbeitstage beschränkt zu sein pflegen. Daß die Beschäftigung von einem Nichtseßhaften ausgeübt wurde, läßt ebenfalls nicht den Schluß zu, daß sie schon deswegen ihrer Natur nach auf eine geringe zeitliche Dauer angelegt war, auch wenn bei Nichtseßhaften der vorzeitige Abbruch einer übernommenen Arbeit eher in Betracht kommt als bei sonstigen Beschäftigten. Versicherungsfreiheit ergibt sich schließlich nicht aus § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV. Mit dem vereinbarten Arbeitsentgelt von 6,30 DM pro Stunde bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden war sowohl die Zeit- wie die Entgeltgrenze dieser Vorschrift (damals 15 Wochenstunden und 390 DM im Monat) überschritten.

Das Urteil des LSG ist sonach zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 67

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