Pop-up-Stores & Co.: City-Konzepte aus dem Reallabor
Der Deutsche Städtetag sieht eine wesentliche Ursache für leerstehende Häuser und Läden in Innenstädten in zu hohen Mieten. Während die Pandemie den Onlinehandel noch befeuert habe, mussten viele stationäre Einzelhändler aufgeben. Es brauche neue Ideen. Auch rechtliche Hürden müssen abgebaut werden, etwa im Bauplanungsrecht. Dazu gehöre es, gemischte Nutzungen von Flächen besser zu ermöglichen, also etwa Handel, Kultur, Arbeiten und Wohnen.
Die Kommunalvertretung hat ein ehrgeiziges Positionspapier vorgelegt, dass die Innenstädte vor der Verödung retten soll und sie gleichzeitig zu Reallaboren für gesellschaftliche Entwicklungen macht.
Reallabor Innenstadt: Kommunalen Spielraum für Experimente erweitern
Vom Bund fordert der Städtetag ein eigenes "Förderprogramm Innenstadt" für fünf Jahre mit einer Gesamtsumme von zweieinhalb Milliarden Euro – 500 Millionen Euro jährlich. Damit könnten es sich die Kommunen leisten, leerstehende Immobilien vorübergehend selbst anzumieten oder coole Pop-Up-Stores und Startup-Gründer anzusiedeln, die eine City mit ihren kleinteiligen Angeboten wieder attraktiver machen – zu Mieten, die die sich leisten können.
"Die Zeit der reinen Einkaufsmeilen ist vorbei. Die Menschen wollen etwas erleben, wenn sie in die Stadt gehen. Wir brauchen einladende öffentliche Räume, wo sich Menschen gerne aufhalten", sagte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Städtetags, der "Süddeutschen Zeitung". Städte müssten gestalten können. "Wir haben eine Idee von den Innenstädten der Zukunft. Dafür müssen wir den kommunalen Spielraum für Experimente erweitern. Es gibt keine Patentlösungen", so Dedy.
Gerade der Umgang mit Leerstand erfordert in häufig kreative und innovative Ansätze, heißt es in dem Papier. Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft, Kulturschaffende, gemeinwohlorientierte Initiativen, "Stadtmacher" oder Startups könnten neue Impulse liefern. Die Innenstadt sei schon jetzt ein Reallabor für gesellschaftliche Veränderungen für kulturelle Vielfalt, Partizipation und lokale Demokratie – hier könnten auch neue Ideen für eine nachhaltige Entwicklung vor Ort erprobt werden.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte wiederholt für eine Belebung der Innenstädte nach den Corona-Lockdowns geworben. "Wir müssen bereit sein, in den nächsten Monaten schnell zu handeln", sagte der CDU-Politiker im Juni bei einer Tagung der kommunalpolitischen Vereinigung der Unionsparteien. Altmaier hatte dazu einen runden Tisch ins Leben gerufen. Kommunen, Gewerbetreibende und die Politik in Berlin sollen künftig an einem Strang ziehen.
Der Mix macht's: Orte für Menschen, Bildung, Erholung und Kultur
Die Forderung nach einer nachhaltigen Mischung der Innenstädte im Sinne des Gemeinwohls ist bereits in der "Neuen Leipzig Charta von 2020" festgeschrieben: Grün, sozial gerecht und produktiv soll die Stadt sein. Der Städtetag greift diese Forderung in seinem Positionspapier noch einmal auf.
Doch die Transformation von mono-kommerziellen Innenstädten zu einer Mischung aus Handel, Kultur, Arbeiten und Wohnen ist nicht nur finanziell eine Herausforderung. Mehr Wohnungen in den Innenstädten erfordern laut Städtetag eine verträgliche Mischung zwischen angestammten und neuen Nutzungen, und die Infrastruktur muss ausgebaut werden, um nur ein Beispiel zu nennen. Was das Thema Arbeiten und Erlebnis angeht, bieten sich temporäre Nutzungen an.
Es gibt bereits Geschäftsmodelle, die auf kurzfristige Nutzungen setzen: Etwa die Kombination von Buchladen, Café und kulturellem Veranstaltungsort. "Es ist genauso vorstellbar, dass das bisher existierende Restaurant morgens zum Frühstücksbistro und tagsüber zum Co-Working-Space wird", meinen die Vertreter der Kommunen. Diese Geschäftsmodelle hätten auch den Vorteil, die Mietkosten für die kombinierten Nutzungen zu reduzieren. Gleichzeitig können die Einnahmen des Eigentümers auf einem auskömmlichen Niveau gehalten werden.
"Städte sind Orte für Menschen. Orte für Jung und Alt. Für Familien und Alleinstehende, zum Leben und zum Wohnen, genauso wie zum Arbeiten. Städte sind Orte für Bildung, Erholung, Events und Kultur. Unser Auftrag ist es, die Angebote in den Innenstädten an die neuen Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen anzupassen", so Dedy.
In dem Positionspapier, das der Hauptausschuss des Städtetags am 1.7.2021 beschlossen hat, wird zudem angeregt, den im Jahr 2020 vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) eingerichteten "Beirat Innenstadt" auch in der neuen Legislaturperiode – nach der Bundestagswahl am 26. September – fortzuführen, um den Erfahrungsaustausch mit relevanten Akteuren zu fördern.
Positionspapier "Zukunft der Innenstadt", Deutscher Städtetag
Multifunktionale Innenstädte: Nicht erst Thema seit Corona
Die Frage, wie die Innenstädte aussehen müssten oder könnten, um überlebensfähig zu sein, steht nicht erst seit der Covid-19-Pandemie und den Lockdowns im Raum. Die Problematik der uniformen Ausrichtung vieler Einkaufsstraßen und Stadtzentren ist seit Jahren ein Thema, schon lange bevor E-Commerce boomte. Das Internet hat längst die Nase vorn.
Erst wurden kleinere Geschäfte aus den Innenstädten verdrängt, weil sie gegenüber großen Filialisten und dem Onlinehandel nicht mehr wettbewerbsfähig waren, mit dem Sterben großer Warenhäuser ging es weiter. Der Konzern Galeria Karstadt Kaufhof ist wohl das prominenteste Beispiel.
Die Otto Group – Deutschlands zweitgrößter Onlinehändler – setzt auf strukturelle Veränderungen. "Innenstädte werden keine Orte bleiben können, wo man vor allem einkaufen kann", sagte Marcus Ackermann, Vorstand Multichannel-Distanzhandel. Auch er sieht die Lösung in neuen Ansätzen bei der Stadtplanung: Mehr Wohnungen, mehr Kulturangebote, Kinos und Restaurants. Michael Otto, Aufsichtsratschef des Konzerns, sprach exemplarisch von einer italienischen Piazza für Hamburg, "weil es eigentlich das ist, was wir alle toll finden. Da trifft man Menschen, redet, trinkt Cappuccino."
Interessante, spannende Innenstädte, "wo man etwas erleben kann und es eben nicht überall gleich aussieht", ergänzte Ackermann. Was früher gerade die Stärke von Warenhäusern gewesen sei – an einem Ort ein großes Sortiment anzubieten –, können Onlinehändler mittlerweile genauso. "Ich käme schon lange nicht mehr auf die Idee, in die Stadt zu fahren, um mir beispielsweise einen Kochlöffel zu kaufen", so der Otto-Vorstand. "Das erledige ich in maximal 30 Sekunden über das Handy."
Für reine Bedarfskäufe sei der Onlinehandel dem stationären Handel mittlerweile weit überlegen. Man müsse sich die Frage stellen, wie nun leerstehende Verkaufsflächen in Zukunft genutzt werden.
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