Daten sind das neue Gold: Man müsste nur mal schürfen ...
Mögen Sie auch so gerne die Floskel "Man müsste mal …"? Eine oft genutzte Parole aufgeklärter Geister, die zwar die Zeichen der Zeit erkannt haben, denen aber der Mut, die Motivation oder die Vision fehlt, das Erkannte auch umzusetzen. So könnte man das Digitalisierungsdilemma der Immobilienbranche zusammenfassen.
Sicher: Es gibt mittlerweile zahlreiche Unternehmen, die sich ernsthaft mit der Digitalisierung beschäftigen oder zumindest begonnen haben, sich einen Überblick zu verschaffen. Und doch, häufig verändert sich wenig, das Wenige nicht substanziell und das Substanzielle viel zu langsam. Im Business jedenfalls ist die Digitalisierung bei den meisten Unternehmen Ende 2019 nach wie vor nicht angekommen, oder?
Noch immer werden in den unterschiedlichsten Teilbereichen der Immobilienwirtschaft täglich unzählige Daten erzeugt, die nicht systematisch erfasst und ausgewertet werden. Sie landen in Datensilos – ungesehen, unverstanden, ungenutzt. Das ist nicht zu fassen, wo sich die Branche doch darüber einig ist, dass Daten das neue Gold sind! Ist die Immobilienwirtschaft für das Schürfen dieses Golds einfach zu träge? Ist der Druck nicht groß genug?
Digitalisierung: Die Immobilienwirtschaft hinkt anderen Branchen um Jahre hinterher
In den vergangenen Jahren kannte die Branche schließlich vor allem eine Bewegung: immer weiter bergauf. Und klare Anzeichen für eine Trendwende sind derzeit nicht in Sicht. Gut, könnte man meinen, vielleicht braucht dann die Immobilienwirtschaft das Datengold derzeit schlicht nicht. Das Geschäft läuft ja auch so.
Die vierte Digitalisierungsstudie von ZIA und EY Real Estate bestätigte der Branche zwar jüngst ein "hohes Bewusstsein im Hinblick auf die potenzielle Nutzung von Daten" – allerdings kommt der Report auch zu dem Ergebnis, dass in vielen Unternehmen ein "konkreter Fahrplan für ein stringentes Management der Daten und deren potenzielle Nutzung" fehlt. Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Leider.
Auch wenn die Budgets für Investitionen in Digitalisierungsmaßnahmen steigen, hinkt die Immobilienwirtschaft anderen Branchen um Jahre hinterher. Sie müsste ihren derzeitigen Höhenflug konsequenter dazu nutzen, um aufzuschließen und die Daten, die sie hortet, endlich zielgerichtet zu verwenden.
Zwischen Mensch und Immobilie kann noch deutlich mehr passieren als zurzeit
In der Gebäudedigitalisierung etwa schlummert viel ungenutztes Potenzial. Das Interesse an entsprechenden Lösungen ist groß, die Umsetzung aber teils noch zögerlich. Dass Smart Buildings viele Vorteile haben – davon muss heute keiner mehr überzeugt werden. Der Smartphone-basierte Zutritt zu Gebäuden oder die digital steuerbare Temperaturregelung kommen in ersten Objekten ja auch schon zum Einsatz. Das Feld der Interaktion von Mensch und Immobilie auf digitaler Basis geht allerdings weit darüber hinaus.
Was wir heute im Bereich IoT und Smart Building sehen, ist erst der Anfang. Entscheidend ist, dass alle Geräte und Systeme im Gebäude miteinander vernetzt sind und kontinuierlich Informationen austauschen. Wenn die intelligente Immobilie dadurch dann lernt, dass der Büronutzer im Eckbüro auf der zweiten Etage um 7.45 Uhr immer der Erste ist, kann sie gezielt dort – und zwar nur dort – um 7.30 Uhr autonom die Heizung oder die Klimaanlage hochfahren. Genauso können Smart Buildings perspektivisch nicht nur den Nutzerkomfort erhöhen, sondern auch die Betriebskosten senken und die Energie- und CO2-Bilanz verbessern.
Eine gute digitale Infrastruktur kostet im Betrieb weniger als Aufzüge
Laut Siemens werden in einem durchschnittlichen Gebäude heute bis zu 50 Prozent der Energie verschwendet – etwa durch die unnötige Beleuchtung oder Beheizung von Räumen, die nicht abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Nutzer und schon gar nicht vorausschauend stattfindet. 50 Prozent! Wenn die Autoindustrie mit solchen Werten aufwarten würde – nicht auszudenken!
An dieser Stelle besteht auch unter ESG-Gesichtspunkten (Environment, Social, Governance) dringender Handlungsbedarf. Gleichzeitig wird deutlich, warum Dämmen allein nur den zu kurz gedachten Effekt eines Pflaster-Aufklebens hat, um das böse Wort „Feigenblatt“ zu vermeiden. Es geht aber nur ganzheitlich, sprich: digitaler!
Bei neuen Wohn- oder Bürogebäuden wird die digitale Infrastruktur zwar mittlerweile standardmäßig mitgedacht. Ganz anders sieht es aber bei den Millionen von Bestandsimmobilien in Deutschland aus. Dabei lassen sich auch solche Gebäude vergleichsweise günstig digitalisieren – auf den Quadratmeter umgelegt fallen für den Betrieb einer digitalen Infrastruktur mit angeschlossener IoT-Plattform geringere Kosten an als für den Betrieb der Aufzüge.
Auch das Klimaschutzpaket ein "Man müsste mal..."?
Bestandsimmobilien digital aufrüsten? Von alleine wird sich kurzfristig vermutlich wenig – zu wenig – tun. Es ist deshalb an der Politik, Anreize für die Digitalisierung von Immobilien zu schaffen. Sei es durch Anreize für freiwillige Digitalisierung oder durch klare Vorgaben – beides etwa in der Automobil- oder Energiebranche erprobte Mittel. Das gerade verabschiedete Klimaschutzpaket der Bundesregierung wäre ein guter Einstieg gewesen.
Es schafft leider wenig bis keine Anreize für Immobilienunternehmen, in die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit zu investieren. Ich unterstelle den Politikern nicht, dass sie das Thema nicht erkannt hätten. Aber es blieb – mal wieder – beim "Man müsste mal …". Dabei sind offensichtlich genau solche extrinsischen Anreize und Vorgaben nötig – wohlgemerkt nicht nur im Bereich der Gebäudedigitalisierung. Die Immobilienwirtschaft steht an der Schwelle zu einer neuen Ära. Die Branche braucht jetzt einen bestimmten und wohl gemeinten Schubser. Und dann bitte nicht wieder "Man müsste mal …" – sondern "machen"!
Der Beitrag erschien im Magazin "Immobilienwirtschaft", Ausgabe 01/2020.
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