Rechtsgutachten: Abrissmoratorium bekommt Rückenwind

Im Herbst 2022 forderten Stakeholder aus der Immobilienbranche in einem Moratorium den Abriss-Stopp von Gebäuden. Ein Rechtsgutachten gibt dem Anliegen nun Auftrieb. Im Interview erklärt einer der Erstunterzeichner, Timo Brehme, was die Kampagne bereits erreicht hat und wie es weitergeht.

Timo Brehme ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des auf Büroimmobilien und Arbeitswelten spezialisierten Planungs- und Beratungsunternehmens CSMM. Gemeinsam mit rund 170 weiteren Personen, darunter Architekten, Stadtplaner und Institutionen aus der Bau- und Immobilienbranche forderte er am 19.9.2022 in einem offenen Brief (Abrissmoratorium) Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) dazu auf, den Abriss von Bestandsgebäuden temporär auszusetzen.

Herr Brehme, Sie gehören zu den Erstunterzeichnern des Abrissmoratoriums: Was hat Sie dazu veranlasst?

Timo Brehme: Im Berufsalltag beschäftigen wir uns täglich mit dem Thema Bauen. Dazu gehört auch zu fragen: Wie groß wird der CO2-Fußabdruck sein, den wir mit unseren Handlungen hinterlassen? Dieser Aspekt rückt den Fokus auf Bestandserhaltung, das gab bei mir den Anstoß.

Eine Forderung des offenen Briefs an Klara Geywitz war, dass jeder Abriss einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls bedarf. Was ist damit genau gemeint?

2030 will die Bundesregierung einen CO2-neutralen Bestand haben. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) geht das Ziel radikal an und reißt alte Gebäude ab, die nicht den Anforderungen an die Klimaneutralität entsprechen. Dadurch verlagert sich das Problem allerdings nur. Abriss und Neubau ist nicht die Lösung. Wir als Unterzeichnende des Moratoriums wollen nicht, dass Abriss komplett verboten wird. Aber es sollte nur möglich sein, wenn nachgewiesen ist, dass es keine andere Option mehr gibt. Dafür braucht es strengere Regularien.  

Wie lassen sich diese Regularien umsetzen?

Wer ein Gebäude abreißen will, sollte künftig verpflichtend nachweisen müssen, dass es nicht mehr zu retten ist. Dies lässt sich anhand von Studien zum Gebäude oder einer Bewertung der Bausubstanz erreichen. Diese Regelung sollte für private Bauherren eines Einfamilienhauses genauso gelten, wie für große Wohnbaukonzerne. Gleichzeitig dürfen Anträge auf Neubau künftig nur noch unter dem Nachweis bewilligt werden, dass es sozial in Ordnung ist, das Gebäude abzureißen. Wir sind zu einer Wegwerfgesellschaft verkommen. Davon müssen wir wieder weg.

Ist eine Sanierung Ihrer Meinung nach immer sinnvoll?

Es muss immer Variante A, Abriss, gegen Variante B, Erhalt, abgewogen werden. Die Anforderungen an die Statik und die Sicherheit im Gebäude haben sich verändert, sodass Altgebäude teils nur unter großem Einsatz auf den heute geltenden Stand gebracht werden können. Wenn eine Sanierung am Ende doppelt so teuer ist wie ein Neubau, macht es keinen Sinn, das Gebäude zu erhalten. Denn letztlich spiegelt sich der erhöhte Aufwand in utopisch hohen Mieten wider, die niemand mehr bereit und vor allem in der Lage ist, zu zahlen. Das wäre gesellschaftlicher Unsinn.

Spielt das Thema Denkmal und Bewahrung von Baukultur eine Rolle?

Wir alle wollen CO2-freie Bestände. Um das zu erreichen, müssen wir über Kompromisse sprechen und werden dabei auch an Grenzen stoßen. Das Thema Denkmalschutz ist so eine Grenze. Eine denkmalgeschützte Immobilie kann man niemals auf einen Neubaustand bringen. Jetzt ist die Frage: Wie will ich gesellschaftlich damit umgehen? Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein, einige Bundesländer und Immobilienunternehmen plakatieren, dass sie dieses Ziel bereits 2040 erreichen wollen. Damit diese Rechnung aufgeht, dürfte es ab 2030 eigentlich keinen Neubau mehr geben. Und tatsächlich sind wir ja bereits in der Situation, dass große Wohnungsbaugesellschaften sich komplett nur noch mit dem Thema Nachverdichtung befassen und Neubau komplett ausschließen.

Hatte die Initiative mit dem Abrissmoratorium bereits Effekte: Tut sich etwas?

Allein in den vergangenen vier Monaten ist hier viel passiert. Der World Wide Fund For Nature (WWF) hat sich im November 2022 in einem Hintergrundpapier für verpflichtende Abrissgenehmigungen ausgesprochen und die Bundesstiftung Baukultur hat das Thema im Baukulturbericht 2022/23 ebenfalls aufgenommen. Kürzlich veröffentlichte die Deutsche Umwelthilfe ein Rechtsgutachten zur Umsetzung einer verpflichtenden Abrissgenehmigung. Man sieht, dass hier einiges vorangeht. Mein Wunsch ist, dass die verpflichtende Abrissvermeidung als Kriterium in die ESG-Richtlinien aufgenommen wird.

Kurzgutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer verpflichtenden Abrissgenehmigung in den Bauordnungen der Länder (PDF)


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Schlagworte zum Thema:  Immobilienbranche, Neubau