Wohnen im Alter als Lifestyle-Produkt

„Unser Konzept wächst mit den Bedarfen der Bewohner“


Wohnen im Alter: Taugt Lifestyle für die Wohnungswirtschaft?

Mit Anleihen aus der Hotelbranche versucht das Startup Lively, den deutschen Markt für Betreutes Wohnen aufzumischen. Gründerin Christina Kainz über das Konzept und was die Wohnungswirtschaft daraus lernen kann.

Frau Kainz, in Deutschland leben mehr als 25 Millionen Menschen, die älter als 60 Jahre sind. Wie sieht es mit dem passenden Wohnungsangebot aus?

Christina Kainz: Für Wohlhabende gibt es ausgereifte, gute Residenzprodukte. Was fehlt, sind Konzepte für betreutes Wohnen, die über eine pflegerische Versorgung hinausgehen und die sich eine breite Bevölkerung leisten kann.

Viele Betreiber bieten ambulantes Seniorenwohnen an. Was stört Sie daran? 

Die meisten erbringen die Pflegeleistung selbst und refinanzieren sich über die Pflegekasse. Dadurch ist das Produkt rund um die Finanzierungsstrukturen der Pflegeversicherung aufgebaut, worunter oft das Produkt Wohnen leidet: das Ambiente, die Unterhaltung, die soziale Ansprache.

Animateure, Hausdamen, Concierges statt Pflegekräfte

Welche Alternative bietet Lively?

Ich komme aus der Hotellerie. Deren Kernkompetenz ist es, einen Aufenthalt angenehm zu gestalten, Atmosphäre zu schaffen, Leute zusammenzubringen. Wir schaffen mit Lively einen Mehrwert über Flächen und Services und bauen das Angebot rund um den Bedarf des Seniors auf.

Heißt konkret?

Eine Kombination aus einem tollen Interior Design und Räumen, in denen sich die Leute gerne aufhalten: Wohnzimmer, Workshopraum, Gemeinschaftsküche, Atelier ... – dort bringen wir die Bewohner zusammen, mit einem Team, das nicht aus Pflegekräften besteht, sondern aus Animateuren, Hausdamen, Concierges. Es gibt zwei bis vier Kurse pro Tag, von Yoga über Doppelkopf bis Kochen. Je nach Standortgröße kommen auch öffentliche Veranstaltungen ins Haus.

Wichtig ist auch, der Zielgruppe gegenüber authentisch aufzutreten. Wir verstellen uns nicht, nur weil wir es mit älteren Menschen zu tun haben. Wir nutzen auch englische Wörter, wir sprechen zum Beispiel von unseren Mitarbeitern als Buddies.

Das klingt eher nach Club Med als nach Seniorenwohnen.

Innerhalb der Nische Betreutes Wohnen geht Lively tatsächlich in Richtung Lifestyle-Produkt. Die Leute kommen freiwillig zu uns – und nicht mehr oder weniger gezwungen. Viele haben einfach keine Lust, im Alter allein in der eigenen Wohnung zu sein, oder fürchten zu vereinsamen. Bei unserem Konzept wissen sie, dass sie in eine Gemeinschaft kommen und Anschluss finden und trotzdem wie im klassischen Betreuten Wohnen gepflegt werden können, wenn sie es brauchen. Unser Konzept wächst mit den sich entwickelnden Bedarfen der Bewohner mit.

Hardware ist der barrierefreie Wohnraum

Was könnten Wohnungsunternehmen von Ihrem Ansatz lernen? 

In vielen Siedlungen wird es zunächst darum gehen, dass Wohnungen für die Zielgruppe geeignet sind. Dafür muss die Hardware stimmen. Per se ist es nicht mehr zeitgemäß, neuen Wohnraum zu schaffen, der nicht barrierefrei ist. Bei Aufenthaltsqualität geht es aber um mehr als ums Formale. Die Innenarchitektur muss so sein, dass man sich wohlfühlt. Das Bad darf keinen Pflegecharakter haben, muss aber mit dem Pflegebedarf mitwachsen können.  

Als wir mit Lively anfingen, verhandelten wir über die Gestaltung der Sanitärbereiche mit Herstellern, die wir aus unserer Hotellerie-Vergangenheit kannten. Als wir sagten, wir machen jetzt Senior-Living, legten die den Hotelkatalog beiseite und zeigten uns eine sterile Pflegekollektion. Dabei erfüllten die Sortimente die gleichen Standards. Wir haben uns gefragt, wie kann denn das sein? Man hat doch trotz Alters einen Anspruch auf Ästhetik. 

Wie lässt sich im Bestand nachrüsten?  

Um die Wohnqualität zu heben, helfen schon kleine Designverbesserungen: Bilder, ein buntes Wegeleitsystem, farblich akzentuierte Türen und Fenster. Teppich in den Fluren finde ich immer gut, weil das ein gehobenes Hotelfeeling schafft. Und es gibt tolle Teppichfliesen, wo man schnell eine Fliese austauschen kann, wenn sie schmutzig ist. Auch über Leuchten sollte man sich Gedanken machen und nicht nur Standardspots einbauen. Eine andere Formensprache muss nicht einmal teurer sein. 

Gehören auch Gemeinschaftsflächen zur Hardware? 

Im Prinzip ja, aber für Wohnungsunternehmen ist das nicht einfach. Man braucht ein Budget dafür, muss die Flächen über die Kaltmieten der Wohnungen umlegen oder einen Betreiber mit einem langfristigen Mietvertrag finden. Wichtig ist, sich schon in der Planungsphase Gedanken über das Konzept zu machen. Die Hoffnung, dass aus der Community heraus regelmäßige Aktivitäten entstehen, erfüllt sich nur selten; es braucht einen Treiber oder eine Organisationsstruktur. Die schönsten Gemeinschaftsflächen bringen keinen Mehrwert, wenn sie nicht genutzt werden. 

Was können Wohnungsunternehmen tun, wenn ihr baulicher Spielraum beschränkt ist?  

Dann geht es um so mehr darum, eine Identität für das Quartier zu schaffen, soziale Durchmischung und Zugehörigkeit, so dass auch ältere Personen gesehen werden und sich einbringen können. Bei Lively sorgen unsere Buddies dafür, dass ein Gemeinschaftsgefühl entsteht. In Siedlungen kann das über sogenannte Stadtpioniere geschehen – Leute, die lange in einer Siedlung wohnen und daran interessiert sind, dass das Quartier eine gute Nachbarschaft pflegt. Wohnungsunternehmen können solche Personen motivieren, indem sie ihnen ein kleines Budget zur Verfügung stellen, über das sie gemeinsam mit den Nachbarn verfügen können. Ein Budget, mit dem die Bewohner ihre Wohnanlage und Gemeinschaft vernetzen und zu etwas Besonderem machen. 

Weitere strategische Investoren gesucht

Sie sind 2021 gestartet. Wer sind Ihre Geldgeber?

Wir haben zwei Business Angels an Bord, die wir aus dem privaten Umfeld kennen. Unser größter, langfristig orientierter Investor ist die Neworld ...

... eine Frankfurter Investmentgesellschaft mit dem Anspruch, vor allem innovative Projekte mit sozialem Mehrwert zu finanzieren.  

Wir machen gerade eine Finanzierungsrunde und suchen nach weiteren strategischen Investoren. Aus der Immobilienbranche, aus der Pflege oder einem anderen Bereich, der unser Geschäftsmodell bereichern kann. 

Wie bewährt sich Ihr Konzept bislang in der Praxis? 

Bei unserem ersten Projekt, der "Weißen Dame" in Gronau, gab es leider bauliche Verzögerungen, aber im Juni wurden die letzten von insgesamt 127 Wohnungen fertiggestellt. Die Vermarktung läuft und die Nachfrage ist hoch. Ziel ist es, Mitte nächsten Jahres Vollbelegung zu erreichen. In Duisburg haben wir Anfang Mai ein Projekt mit 45 Wohnungen eröffnet, mit aktuell 66 Prozent Belegung, die unsere Erwartungen übertroffen hat.

Wie hoch sind die Kosten für Nutzer?

Als wir 2021 gestartet sind, sollte die Miete maximal 25 Euro pro Quadratmeter inklusive Nebenkosten betragen. Leider klappte das nicht wie erhofft, weshalb wir uns im Managementvertrag eher bei 30 Euro bewegen. Enthalten ist im Fall der "Weißen Dame" eine Servicepauschale von 495 Euro. Über diese Pauschale finanziert sich Lively, während der Hauseigentümer Miete und Nebenkosten einnimmt.

Üblicherweise liegen Servicepauschalen im betreuten Wohnen niedriger.

Bei gemeinnützigen Trägern ist eine Pauschale von 149 Euro üblich, etwa für Hausnotruf, Pflegebüro vor Ort und Gemeinschaftsraum für ein Kaffeekränzchen. Wir sind also mit 495 Euro im oberen Bereich unterwegs, doch steht dahinter auch ein völlig anderes Leistungspaket. In der "Weißen Dame" sprechen wir unter anderem von 1.000 Quadratmeter Gemeinschaftsfläche, vier Kursen täglich, einer gratis Kaffeestation und Conciergeservice.

Ist der Markt auf Ihren Ansatz vorbereitet?

Wir sehen generell einen Trend weg von stationärer, hin zu ambulanter Pflege in Richtung Betreutes Wohnen. Dort differenzieren sich jetzt die Angebote stärker aus. Der Markt realisiert, dass viele Babyboomer einen Anspruch an das Leben im Alter haben, der über Pflege hinausgeht, im Gegensatz zur Generation davor. Hinzu kommt, dass die Branche angesichts des sich zuspitzenden Fachkräftemangels gezwungen ist, Lösungen mit geringeren pflegerischen Ressourcen zu finden. Unser Konzept ist da sehr effizient, weil wir eine Tagesstruktur ohne Pflegepersonal gestalten.  

Wie könnte das Konzept in die Breite gehen? 

Wir haben zwei Modelle. Einen Generalmietvertrag, bei dem wir als Betreiber das komplette Gebäude anmieten. Das ist üblich in der Branche, für Newcomer wie uns aber schwierig, weil die Vermieter höhere Betreiberrisiken sehen. Die Lösung ist unser Management-Modell: Der Immobilieneigentümer vermietet die Wohnungen selbst und wir agieren im Erdgeschoss als Betreiber der Gemeinschaftsangebote. Die Verträge sind gekoppelt: Der Vermieter kann keine Wohnung ohne Servicevertrag vermieten, Lively schließt Serviceverträge automatisch mit dem Mietvertrag ab. Diese Lösung verschafft in der aktuellen Immobilienphase Abhilfe, da höhere Kaltmieten angesetzt werden können und das Serviceangebot an das Mietniveau angepasst werden kann, so dass im Gesamtpreis für die Bewohner ein harmonisches und konkurrenzfähiges Preis-Leistungs-Verhältnis entsteht.   

Gibt es schon ein nächstes Projekt?

Im ehemaligen Handelshof in Mülheim an der Ruhr, einem denkmalgeschützten Gebäude, realisieren wir derzeit 96 Wohneinheiten gemeinsam mit der Blankbau Gruppe. Das Projekt wird voraussichtlich Ende 2027 eröffnen. Was uns ein bisschen stolz macht, ist, dass die Hamburg Team Gruppe das Gebäude als Endinvestor erworben hat. Es ist für den Markt ein tolles Zeichen, dass sich ein institutioneller Investor von unserem Konzept überzeugen ließ.


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Schlagworte zum Thema:  Demografischer Wandel
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