Corona-Infektion als Arbeitsunfall

Die zum Tode führende Corona-Erkrankung des Versicherten war in einem vom SG Duisburg entschieden Fall als Arbeitsunfall anzuerkennen, da die von der Rechtsprechung dafür aufgestellten Voraussetzungen allesamt erfüllt waren.

Der Fall: Gemeinsame Fahrt im PKW mit infiziertem Kollegen

Der Ehemann der Klägerin war in Dortmund beschäftigt. Am 4.11.2020 und 05.11.2020 bildete er mit einem Arbeitskollegen, dem Zeugen, eine Fahrgemeinschaft für den Arbeitsweg von Duisburg nach Dortmund und zurück. Am 09.11.2020 traten bei Herrn erstmals Krankheitssymptome in Form von Abgeschlagenheit auf. Am Folgetag, dem 10.11.2020, fiel Herr auf der Arbeit ohnmächtig zu Boden und wurde daraufhin in das Krankenhaus gebracht. Dort fiel der durchgeführte COVID-19-Test positiv aus. Der Versicherte wurde daraufhin u.a. aufgrund der Diagnosen einer COVID-19-Pneumonie beidseits und eines akuten Atemnotsyndroms (ARDS) behandelt und am 18.11.2020 in das St.-Johannes-Hospital in D. verlegt. Dort verstarb der Versicherte am 23.12.2020 aufgrund eines schweren ARDS (Atemnotsyndrom) bei COVID-19-assoziierter Pneumonie bei nicht beherrschbarer pulmonaler Blutung unter VV-ECMO-Therapie.
Mit Schreiben vom 30.03.2021 bat die Klägerin die Beklagte um Erteilung rechtsbehelfsfähiger Bescheide über die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit Nr. 3101 bzw. um Prüfung des Vorliegens eines Versicherungsfalls, insbesondere über die Gewährung von Lebzeiten- und Hinterbliebenenleistungen. Der Zeuge habe dem Verstorbenen bereits am 06.11.2020 per WhatsApp mitgeteilt, dass er erkrankt sei und der Verstorbene daher lieber selbst zur Arbeit fahren solle.
Die beklagte BG lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls auch im Widerspruchsverfahrens ab. Insbesondere habe kein besonderes Ansteckungsrisiko bestanden, weil der Zeuge erst am 9.11.2020 positiv getestet worden sei und zudem im Fahrzeug OP-Masken getragen wurden. Dagegen wurde Klage zum SG erhoben.

SG: Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist zu bejahen

Das SG Duisburg hat mit Urteil vom 13.06.2023 (Az. S 36 U 407/22) entschieden, dass der Versicherte infolge eines Arbeitsunfalls, nämlich einer während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit erworbenen COVID-19-Infektion, verstorben ist. Dass der Verstorbene gem. § 8 Abs. 1, Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGB VII während der Fahrten mit dem Zeugen einen Arbeitsunfall erlitten hat, stehe nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, da der Versicherte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit während der gemeinsamen Fahrten mit dem Zeugen am 04.11.2020 und 05.11.2020 durch diesen mit COVID-19 infiziert wurde.
Nach den von der Beklagten selbst in Bezug genommenen Vorgaben der DGUV würden vorliegend die Voraussetzungen für eine Anerkennung der COVID-19-Infektion des Verstorbenen als Arbeitsunfall vorliegen. Demnach muss 

  • ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person (Indexperson) nachweislich stattgefunden haben. 
  • Dieser Kontakt muss zwischen 2 Tagen vor dem Auftreten der ersten Symptome bei der Indexperson und 10 Tagen nach Symptombeginn erfolgt sein. Dieses Erfordernis ist vorliegend erfüllt, da bei dem Zeugen nachweislich bereits am 06.11.2020 erste Symptome aufgetreten sind und die gemeinsamen Fahrten am 04.11.2020 und 05.11.2020 erfolgten. 
  • Hinsichtlich des intensiven Kontakts sieht die DGUV einen engen Kontakt (<1,5 m, Nahfeld) länger als 10 Minuten ohne adäquaten Mund-Nase-Schutz oder FFP-2-Maske, ein Gespräch mit der Indexperson (face-to-face-Kontakt, <1,5 m, unabhängig von der Gesprächsdauer), ohne dass die Index- wie die Kontaktperson einen adäquaten Schutz tragen, sowie einen gleichzeitigen Aufenthalt von Index- und Kontaktperson im selben Raum mit wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöser Aerosole unabhängig vom Abstand für länger als 10 Minuten, auch wenn durchgehend Mund-Nasen-Schutz oder FFP2-Maske getragen wurde, als ausreichend an. Auch diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall aufgrund der Tatsache, dass lediglich jeweils der Beifahrer eine Maske getragen hat und die Fenster nicht durchgehend geöffnet waren, erfüllt. So kann davon ausgegangen werden, dass bei einem derartig kleinen Raum wie einem Auto bei teilweise geschlossenen Fenstern und ohne, dass die Indexperson eine medizinische Maske getragen hat, die Konzentration infektiöser Aerosole besonders hoch und eine Ansteckung damit wahrscheinlich war. 

Gewichtige Gründe, wieso die Beklagte diese Vorgaben der DGUV nach der durchgeführten Beweisaufnahme im vorliegenden Fall als nicht erfüllt ansieht, konnte diese nicht vortragen.

Wichtig für die Praxis

Entscheidungen dieser Art werden die Sozialgerichte noch lange beschäftigen, insbesondere dann, wenn die Berufsgenossenschaften gegen die von ihr selbst gesetzten Maßstäbe entscheiden, was auch dem Sozialgericht unangenehm aufgefallen ist („Aufgrund dessen erschließt sich der Kammer nicht, wieso die Beklagte weiterhin nicht von dem Vorliegen eines Arbeitsunfalls ausgeht“, Volltext der Entscheidung des SG, Rn. 25). Die hier zu prüfenden Kriterien sind klar und waren im vorliegenden Fall auch alle belegbar.
Dass eine Hinterbliebene in einem derart offenkundigen Fall auf jahrelange Gerichtsverfahren angewiesen sein soll, erschließt sich auch dem Verfasser dieser Anmerkung nicht.