Rz. 1063

[Autor/Stand] Der Verteidiger hat während des gesamten Strafverfahrens darauf zu achten, ob ggf. BVV der Heranziehung von Beweismitteln entgegenstehen. BVV können bereits gegen einen Anfangsverdacht (s. Rz. 124) sprechen. Im Ermittlungsverfahren sind sie zudem im Zusammenhang mit dem erforderlichen Tatverdacht bei der Anordnung von Zwangsmaßnahmen von Bedeutung. BVV als Folge rechtswidriger Durchsuchungen und Beschlagnahmen können mit der Beschwerde gerügt werden (s. Rz. 372 ff.). Bei frühzeitiger Geltendmachung kann u.U. die Eröffnung des Hauptverfahrens verhindert werden (s. Rz. 628).

 

Rz. 1064

[Autor/Stand] Aufgrund der von der Rspr. vertretenen sog. "Widerspruchslösung"[3] muss der Verteidiger spätestens in der Hauptverhandlung bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt (also bis spätestens nach dem Ende der Beweisaufnahme) der Verwertung eines Beweismittels widersprechen bzw. einen zuvor erklärten Widerspruch wiederholen. Diese Pflicht trifft auch den Angeklagten, der ohne Verteidiger an der Hauptverhandlung teilnimmt, sofern er zuvor entsprechend durch das Gericht auf die Möglichkeit des Widerspruchs hingewiesen wurde. Eine Nachholung eines vergessenen Widerspruchs im 2. Rechtsgang ist nicht möglich[4]. Soll die Rüge von BVV für die Revision erhalten bleiben, muss die Art der Beweisaufnahme des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung als Maßnahme der Verhandlungsleitung gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet und ggf. ein Gerichtsbeschluss herbeigeführt werden. In der Revision ist gegen die unzulässige Verwertung eines Beweismittels die Verfahrensrüge zu erheben. Wird das BVV mit einer Verfassungsbeschwerde vorgebracht, sind die besonderen Anforderungen an die Begründung zu beachten (s. Rz. 900 f.)[5].

 

Rz. 1064.1

[Autor/Stand] Noch nicht abschließend geklärt ist, bei welchen Beweisverwertungsverboten zu widersprechen ist. Anerkannt ist dies z.B. bei Verstößen gegen die Belehrungspflichten gem. § 136 Abs. 1 Satz 2–4 StPO (s. Rz. 204 f.), gegen den Richtervorbehalt u.a. bei Durchsuchungen gem. §§ 102 ff. StPO (s. Rz. 233 ff., 269 f.). sowie bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen gem. §§ 100a ff. StPO (s. Rz. 402 ff.).

 

Rz. 1064.2

[Autor/Stand] Der BGH hatte bisher noch nicht entschieden, ob die Widerspruchslösung bei unselbständigen Beweisverwertungsverboten auch wegen Fehlern bei der Durchsuchung oder Beschlagnahme gilt[8].

Nach Ansicht des 2. Strafsenats des BGH vom 6.10.2016[9] spricht die fehlende Dispositionsmacht der Verteidigung bei staatlicher Erfassung von Sachbeweisen (Urkunden oder Augenscheinsobjekten) – im Gegensatz zur Dispositionsbefugnis über die Verwertbarkeit früherer Angaben des Angeklagten – dagegen. Die Art und Weise der Erlangung solcher Sachbeweise durch die Ermittlungsbehörden, auf die der Beschuldigte keinen Einfluss hat, sei deshalb vom Gericht von Amts wegen aufzuklären, soweit Verfahrensfehler bei diesem Vorgang in Betracht kommen. Auf einen Widerspruch gegen die Beweisverwertung komme es dafür nicht an.

Dagegen hält der 5. Strafsenat vom 9.5.2018[10] eine Differenzierung des Widerspruchserfordernisses innerhalb unselbständiger Beweisverwertungsverbote für nicht überzeugend. Er fordert auch für die Rüge der unzulässigen Verwertung von Durchsuchungsfunden einen Widerspruch in der Hauptverhandlung. Die Begründung des Widerspruchserfordernisses ergebe sich nicht aus der Dispositionsbefugnis des Angeklagten, sondern – im Interesse der Schonung der Justizressourcen – aus dem Gedanken subsidiären Rechtsschutzes.

Diese Begründung des 5. Strafsenats kann nicht überzeugen, denn knappe Justizressourcen können nicht die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel rechtfertigen. Es steht leider zu erwarten, dass die anderen Strafsenate ihrerseits die von ihnen vertretene Widerspruchslösung verteidigen werden.

 

Rz. 1064.3

[Autor/Stand] Die "Widerspruchslösung" findet hingegen keine Anwendung im Ermittlungsverfahren. Dort sind Beweisverwertungsverbote unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten, auch wenn der zugrunde liegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft[12]. Das Gleiche gilt im Zwischenverfahren[13].

 

Rz. 1065– 1069

[Autor/Stand] Einstweilen frei.

[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.10.2020
[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.10.2020
[3] Grdl. dazu BGH v. 27.2.1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214 zu § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO betr. Vernehmungen; gebilligt von BVerfG v. 7.12.2011 – 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10, NJW 2012, 907 (911); vgl. ferner BGH v. 7.3.2006 – 1 StR 316/05, BGHSt 51, 1 = CR 2006, 526 betr. Gesprächsüberwachungen gem. §§ 100a, 100f a.F. StPO; zusammenfassend Willnow in KK8, Vor § 137 StPO Rz. 6.
[4] BGH v. 9.11.2005 – 1 StR 447/05, BGHSt 50, 272; a.A. Anm. Fezer, JZ 2006, 474; Kudlich, HRRS 2011, 114; Schlothauer, StV 2006, 397.
[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.10.2020
[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.10...

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