1 Systematische Einordnung

Das bisherige System der Zuordnung von Besteuerungsrechten bestimmte, dass ein Staat ein Besteuerungsrecht haben sollte, wenn der Stpfl. eine ausreichende Verbindung zu dem Staatsgebiet durch eine physische Präsenz unterhielt. Diese physische Präsenz konnte in einer Betriebsstätte (Betriebsstättenprinzip), in der Belegenheit eines Grundstücks (Belegenheitsprinzip), in der Tätigkeit auf dem Gebiet des jeweiligen Staates (Arbeitsort- oder Tätigkeitsortsprinzip) oder darin bestehen, dass Geldvermögen aus diesem Staat abfloss (Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren). Die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle ließ dieses System aber an seine Grenzen stoßen, da diese Modelle die Abwicklung eines erheblichen Geschäftsvolumens in dem Quellenstaat ermöglichte, ohne dass in diesem Staat eine physische Präsenz unterhalten wurde. Beispiele sind etwa die Geschäftsmodelle von Netflix, Google, Facebook und Amazon.

Die Quellenstaaten, insbesondere die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) forderten daher zunehmend, die Besteuerungsrechte nicht mehr nach der physischen Präsenz abzugrenzen, sondern nach dem Ort der Wertschöpfung. Dabei wurde die Ausschöpfung des Marktpotenzials auch ohne physische Präsenz als ein wesentlicher Ort der Wertschöpfung angesehen. Im Anschluss an Aktionspunkt 1 des BEPS-Projekts wurde das "2-Säulen-Konzept" entwickelt (Pillar 1 und Pillar 2). Dabei enthält Pillar 1 das Besteuerungssystem für die digitale Wirtschaft, wurde jedoch auf alle Geschäftszweige ausgedehnt, in denen immaterielle Wirtschaftsgüter eine tragende Rolle spielen. Da elektronische Bauteile einer Vielzahl von Waren wesentliche Bedeutung haben, z. B. in der Automobilindustrie, reicht die Bedeutung des neuen Konzeptes weit über den Bereich der digitalen Wirtschaft im engeren Sinne hinaus. Erfasst werden sollen nicht nur digitale Dienstleistungen, sondern auch verbraucherorientierte Unternehmen. OECD und G 20 haben sich Mitte 2021 auf Grundzüge des neuen Konzeptes geeinigt. Die Umsetzung soll bis 1.1.2023 erfolgen. Gesetzentwürfe liegen aber noch nicht vor.

Abgerundet wird das Konzept durch die Mindestbesteuerung von Pillar 2. Hierbei handelt es sich um ein der Hinzurechnungsbesteuerung ähnliche Besteuerung. Betroffen sind Unternehmensgruppen mit mehr als 759 Mio. EUR Jahresumsatz. Der effektive Mindeststeuersatz beträgt 15 %.

2 Inhalt

Von der neuen Gewinnverteilung betroffen sind Unternehmensgruppen mit mehr als 20 Mrd. EUR Jahresumsatz und mehr als 10 % Umsatzrentabilität. Die OECD schätzt, dass weltweit gegenwärtig rund 100 Unternehmen betroffen sind.

Betroffen sind Unternehmen, die automatisierte digitale Dienstleistungen (Automated digital services – ADS) und verbraucherorientierte Produkte (Consumer facing businesses – CFB) anbieten. In den neu entwickelten Gewinnverteilungsmechanismus soll nur der sog. "Residualgewinn" einbezogen werden, d. h. der Gewinn, der durch eine über die durch Routineaktivitäten erzielbare Nettomarge von 10 % hinausgehende Marge erzielt wird. Dieser Residualgewinn wird als "Amount A" bezeichnet und wird nach einer Formel auf die Marktstaaten verteilt. Routinevertriebsgesellschaften in den Marktstaaten soll ein Amount B für Marketing und Vertrieb zugeordnet werden. Verrechnungspreisregeln sollen dadurch vereinfacht werden.

Der maßgebliche aufzuteilende Gewinn ermittelt sich nach dem handelsrechtlichen konsolidierten Konzernabschluss. Erforderlichenfalls hat eine Segmentierung zu erfolgen, wenn nur einzelne Geschäftsbereiche unter die Kategorien ADS und CFB fallen. Der konsolidierte Gesamtgewinn der Unternehmensgruppe, vermindert um eine pauschale Routinevergütung, ergibt den Residualgewinn. Dieser Residualgewinn wird jedoch nicht vollständig verteilt. Vielmehr wird er mit einem Umverteilungsprozentsatz (reallocation percentage) multipliziert, woraus sich der verteilungsfähige Residualgewinn, d. h. Amount A, ergibt. Der Umverteilungsprozentsatz soll den Anteil des Verbrauchermarktes am Residualgewinn widerspiegeln. Der so ermittelte Amount A wird nach einem umsatzbasierten Schlüssel auf die beteiligten Staaten aufgeteilt.

Da die Aufteilung der Amount A im jeweiligen Fall eine Vielzahl von Staaten einbezieht, soll in einem besonderen Verfahren eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung vermieden werden. Die betroffene Unternehmensgruppe ermittelt den Amount A und stellt bei der Finanzverwaltung des Ansässigkeitsstaates der Konzernspitze einen Antrag auf Vorabauskunft. Die betroffenen Staaten können in einem Prüfungs- und Abstimmungsverfahren den Amount A und die Verteilung prüfen.

Literaturtipps

Bräutigam/Kellermann/Spengel, IStR 2020, 281

Fehling/Koch, IStR 2021, 561

Kreienbaum, IStR 2021, 525

Marquardt, IStR 2020, 292, 332

Petkova/Greil, IStR 2021, 685

Wünnemann, IStR 2021, 73

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