Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Betriebsübernehmers

 

Leitsatz (NV)

Ein auf einem fremdem Grundstück unterhaltener Betrieb ist erst dann übereignet im Sinn von § 75 AO 1977, wenn der Pachtvertrag mit dem Grundeigentümer auf den Erwerber übergeleitet ist. Dies gilt auch dann, wenn andere Betriebsgrundlagen bereits vorher auf den Erwerber übergegangen sind.

 

Normenkette

AO 1977 § 75

 

Tatbestand

Der Kläger erwarb aufgrund eines im November 1981 geschlossenen Kaufvertrages die der Vorinhaberin und Verkäuferin gehörenden Einrichtungsgegenstände einer Gaststätte zum Kaufpreis von ,,. . . DM + 13 v. H. Mehrwertsteuer". Daneben übernahm er den Warenbestand und die von der Verkäuferin bisher benutzten, im Eigentum der verpachtenden Brauerei stehenden Gegenstände.

Der Kaufpreis war gemäß § 2 des Kaufvertrages wie folgt zur Zahlung fällig:

Barzahlung ... 1981 .... DM

Mehrwertsteuer, fällig am ... 1982 (Wechselhingabe) .... DM

Wechsel, fällig am ... 1982 .... DM

Summe: .... DM.

Der Wechsel über . . . DM wurde am . . . 1981 ausgestellt und noch vor seiner Fälligkeit von der Verkäuferin weitergegeben; er ging am . . . 1982 zu Protest und wurde vom Kläger am . . . Februar 1982 (. . . DM), am . . . Mai 1982 (. . . DM) und am . . . Juli 1982 (. . . DM) gegenüber dem Wechselinhaber eingelöst.

In § 5 des Kaufvertrages war vereinbart:

,,Bis zur vollständigen Erfüllung dieses Vertrages ist der Käufer gegenüber der Brauerei . . . Unterpächter. Zwischen den Parteien gilt als vereinbart, daß der Käufer in den Pachtvertrag mit der Brauerei endgültig eintritt, sobald die Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag vorbehaltlos erfüllt sind. Der Käufer versichert, daß die entsprechende Vereinbarung mit der Brauerei bereits getroffen wurde. Sollte die Brauerei Einwendungen später erheben, berühren diese die Rechtsgültigkeit des Vertrages nicht. . . ."

Die Verkäuferin schuldete dem FA im Zeitpunkt der Übergabe der Gaststätte Steuern in Höhe von insgesamt . . . DM (davon Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 1980 und 1981 lt. Voranmeldungen: . . . DM). Wegen dieser Steueransprüche pfändete das FA u. a. die Kaufpreisforderung der Verkäuferin gegenüber dem Kläger. Daraufhin fanden ab Januar 1982 mehrfach Besprechungen zwischen dem Kläger (teilweise unter Begleitung der Verkäuferin) und Beamten des FA statt. Aufgrund dieser Besprechungen zahlte der Kläger am 14. Januar 1982 den Betrag von . . . DM und am 7. April 1982 weitere . . . DM an das FA.

Nach Darstellung des Klägers wurde ihm von den Beamten des FA im Zuge der späteren Verhandlungen die Auskunft gegeben, die Angelegenheit sei für ihn erledigt und er brauche mit einer weiteren Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen. Daraufhin habe er die Zahlungen an das FA eingestellt und die Wechselschuld gegenüber dem Wechselinhaber weitgehend eingelöst.

Nachdem die Verkäuferin mit Umsatzsteuerschulden 1980 und 1981 rückständig geworden war und sowohl vor dem FA wie dem zuständigen Amtsgericht ihre Vermögenslosigkeit eidesstattlich versichert hatte, nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid vom 15. Januar 1983 in Form der Einspruchsentscheidung vom 4. November 1983 für die rückständigen Umsatzsteuerbeträge wegen Betriebsübernahme als Haftungsschuldner in Anspruch (§ 75 der Abgabenordnung - AO 1977 -), und zwar nach Maßgabe der folgenden Berechnung:

Umsatzsteuer 1980:

Abrechnung über Umsatzsteuer 1980 vom 28. Januar 1982

und Umsatzsteuerbescheid vom 8. März 1982: .... DM

an das FA (Finanzkasse) entrichtet: .... DM

Rest = Haftungsschuld 1980 .... DM

Umsatzsteuer 1981:

Schuld lt. Voranmeldungen/Festsetzungen .... DM

an das FA (Finanzkasse) entrichtet: .... DM

Sollminderung durch Umsatzsteuerbescheid 1981 .... DM

Rest = Haftungsschuld 1981 .... DM.

Auf die mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) die Haftungssumme durch Anrechnung der vom Kläger an das FA gezahlten . . . DM auf . . . DM herabgesetzt; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Herabsetzung der Haftungssumme um die vom Kläger eingezahlten . . . DM rechtfertige sich daraus, daß dieser Betrag auf die Steuerschuld eingezahlt, diese also insoweit bereits vor Erlaß des Haftungsbescheids erloschen gewesen sei. Hinsichtlich der verbleibenden Haftungssumme von . . . DM sei die Inanspruchnahme des Klägers wegen Vorliegens einer Betriebsübernahme nach § 75 AO 1977 gerechtfertigt. Der Kläger könne sich unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (Verwirkung des Haftungsanspruchs) nicht auf die mit dem FA geführten Besprechungen oder erhaltenen Auskünfte berufen. Denn es fehle zum einen bei diesen im Frühjahr 1982 geführten Gesprächen ein Bezug zu dem erst Anfang 1983 erlassenen Haftungsbescheid; zum anderen habe der Kläger - selbst wenn man die Möglichkeit einer künftigen Haftungsfreistellung in die Beurteilung miteinbeziehe - seinerseits keine auf die erhaltenen Auskünfte zurückzuführenden Vermögensdispositionen vorgenommen. Denn die an den Wechselinhaber geleisteten Zahlungen seien von ihm aufgrund der - selbständigen - Verpflichtung aus dem Wechsel erbracht worden, der bereits vor den Gesprächen mit dem FA - nämlich im Oktober 1981 - begeben worden sei.

Auch die Ermessensausübung des FA sei sachgerecht ausgeübt und in der Einspruchsentscheidung zutreffend dargelegt. Das FA habe die Inanspruchnahme als solche (Entschließungsermessen) erkennbar ausgeübt und in bezug auf das Auswahlermessen keine Alternative gehabt, da es keinen anderen Haftungsschuldner gegeben habe und die Steuerschuld bei der Verkäuferin auch im Vollstreckungswege nicht beizutreiben gewesen sei.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Er beantragt hilfsweise, die Haftungsschuld auf . . . DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat teilweise Erfolg.

1. Mit dem in erster Linie - im Hauptantrag - gestellten Revisionsbegehren, der Aufhebung des Haftungsbescheids in vollem Umfang, kann der Kläger nicht durchdringen. Das FG hat zu Recht entschieden, daß der Haftungsanspruch bei Erlaß des Haftungsbescheids nicht verwirkt gewesen sei. Selbst wenn man die Darstellungen des Klägers über die Verhandlungen mit dem FA im Frühjahr 1982 als richtig unterstellt, konnten die seitens der Beamten des FA hierbei gegebenen Auskünfte keine Bindungswirkung auslösen, die das FA an der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner gehindert hätte. Dazu sind die dem Kläger gegebenen Auskünfte des FA zu wenig eindeutig und - vor allem - zu wenig nachhaltig, zumal sie - wie vom FG zutreffend ausgeführt - jeden Bezug zu der im Frühjahr 1982 offensichtlich nicht anstehenden Haftungsfrage vermissen lassen. Dies gilt auch dann, wenn man diese Auskünfte - wie von der Revision gefordert - aus der Betrachtungsweise des Klägers heraus beurteilt. Denn es fehlt auch dann an der erforderlichen Bestimmtheit einer verbindlichen Auskunft oder Zusage. Das FG hat daher die Haftung dem Grunde nach zu Recht bejaht.

2. Anders verhält es sich mit der Haftung der Höhe nach, also der Haftungssumme. Zu den wesentlichen Grundlagen der vom Kläger übernommenen Gaststätte gehörte das Pachtrecht aus dem Pachtvertrag mit der Brauerei. In solchem Fall, in dem - wie hier - der übernommene Betrieb in fremden Räumen unterhalten wird, gehört es zur Übereignung der wesentlichen Betriebsgrundlagen und damit zur Übereignung eines Unternehmens im ganzen (§ 75 AO 1977), daß der Pachtvertrag mit dem Eigentümer des Grundstücks - hier übrigens auch einiger Inventargegenstände - von dem Vorinhaber des Betriebs auf den Erwerber übergeleitet wird, daß also mit anderen Worten der Veräußerer dem Erwerber die Möglichkeit verschafft, mit dem Eigentümer einen neuen Pachtvertrag abzuschließen (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 2 b aa), mit Hinweisen). Diese Möglichkeit war in § 5 des Veräußerungsvertrages vom November 1981 auch durchaus vorgesehen. Ihre Realisierung, also die Überleitung des Pachtvertrages, war indes ausdrücklich an die Bedingung geknüpft, daß die Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag - also in erster Linie die Zahlung des Kaufpreises - ,,vorbehaltlos" erfüllt sein müßten. Auf Einhaltung dieser Bedingung hatte vor allem die Brauerei - im eigenen Interesse - bestanden, wie sich aus § 5 des Kaufvertrages, insbesondere aus dem letzten Satz des ersten Absatzes, ergibt, wonach die Rechtsgültigkeit des Vertrages nicht berührt werde, wenn die Brauerei ,,später" Einwendungen erheben würde.

War aber, wie ausgeführt, die Überleitung des Pachtvertrages an die Bedingung der ,,vorbehaltlosen" und damit vollständigen Erlangung des Kaufpreises geknüpft, so ist sie erst im Jahr 1982 vollzogen worden. Denn die Wechselschulden sind nach den finanzgerichtlichen, revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) zum ganz überwiegenden Teil erst im Verlauf des Jahres 1982 eingelöst worden (vgl. § 364 Abs. 2 BGB). Infolgedessen sind die wesentlichen Betriebsgrundlagen in vollem Umfang erst im Jahr 1982 auf den Kläger übergeleitet worden. Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch beeinflußt, daß der Kläger sein Gewerbe bereits im November 1981 bei der Gemeinde angemeldet hat und daß sich die Übereignung der wesentlichen Betriebsgrundlagen hier in mehreren Teilakten vollzogen hat (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 14 zu § 75 AO 1977). Denn dies alles ändert nichts daran, daß der Pachtvertrag mit der Brauerei erst im Jahre 1982 auf den Kläger übergeleitet wurde und damit eine wesentliche Betriebsgrundlage erst in diesem Jahr abgegeben bzw. erworben wurde. Dafür, daß der Überleitungsvorgang mißbräuchlich hinausgezogen worden sein könnte (vgl. § 42 AO 1977), fehlt hier jeder Anhaltspunkt.

Der Kläger haftet daher als Betriebsübernehmer gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nur für Umsatzsteuerschulden aus dem Jahre 1981. Diese beliefen sich zufolge der Aufstellung des FA in der Einspruchsentscheidung auf . . . DM. Nach Abzug der vom Kläger hierauf bereits vor Erlaß der Einspruchsentscheidung eingezahlten . . . DM verbleibt ein Restbetrag von . . . DM. Dies ist die Haftungssumme.

3. Auf die Revision des Klägers sind somit die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und der Haftungsbescheid insoweit aufzuheben, als die Haftungssumme den Betrag von . . . DM übersteigt; im übrigen ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415625

BFH/NV 1988, 755

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