Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung nach § 75 AO 1977 wegen Betriebsübernahme; Mitwirkung des Veräußerers bei Abschluß des Pachtvertrages durch den Erwerber

 

Leitsatz (NV)

Eine Haftung des Erwerbers einer in gepachteten Räumen betriebenen Gastwirtschaft für Steuerschulden des Veräußerers nach § 75 AO 1977 setzt voraus, daß der Veräußerer aktiv am Zustandekommen des Pachtvertrages zwischen dem Erwerber und Eigentümer mitgewirkt hat.

 

Normenkette

AO 1977 § 75

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger und Revisionskläger (Kläger) als Haftenden nach § 75 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen Betriebsübernahme für Umsatzsteuerschulden der Veräußerin aus dem Jahre 1980 mit Haftungsbescheid vom . . . in Höhe eines Betrages von . . . DM in Anspruch. Die Veräußerin hatte gemeinsam mit ihrem Ehemann in einem auf fünf Jahre abgeschlossenen Vertrag mit Wirkung ab . . . Räume zum Betrieb einer Bierwirtschaft und einer Fremdenpension von der X-GmbH gepachtet. Mitverpachtet waren die im Schankraum befindliche Theke und das Rückbuffet. Der Vertrag beinhaltete außerdem die Verpflichtung, sämtliches Bier, sämtliche alkoholfreien Getränke und sämtliche Tabakwaren von bestimmten Firmen zu beziehen.

Am . . . April 1980 schloß der Kläger im Beisein der Veräußerin und ihres Ehemannes einen im wesentlichen gleichlautenden Pachtvertrag mit der X-GmbH. Außerdem kaufte er von der Veräußerin das Inventar zu einem Preis von . . . DM und Waren zu einem Preis von . . . DM. Die Umsatzsteuer auf diese Beträge in Höhe von . . . DM und . . . DM zog der Kläger als Vorsteuer für die Monate April und Mai 1980 ab.

Die Veräußerin gab für die Umsatzsteuer aus diesen Verkäufen keine Voranmeldungen und auch keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 1980 ab. Das FA schätzte die Besteuerungsgrundlagen und stellte den Bescheid über die Umsatzsteuer der zwischenzeitlich ins Ausland verzogenen Veräußerin öffentlich zu.

Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führt im wesentlichen aus: Das Unternehmen der Veräußerin sei im ganzen auf den Kläger übergegangen. Zum einen habe er bereits mit Kaufvertrag vom . . . Februar 1980 verbindlich die Übernahme des Inventars und der Waren vereinbart. Zum anderen habe die Veräußerin in dem Termin am . . . April 1980 durch ihr Einverständnis mit der vorzeitigen Beendigung ihres bis zum 31. Dezember 1981 fest laufenden Pachtvertrags für den Kläger die Möglichkeit eröffnet, den Pachtvertrag abzuschließen. Eine darüber hinausgehende Tätigkeit der Veräußerin sei nicht erforderlich. Insbesondere komme es nicht darauf an, ob die Veräußerin dem Kläger den Abschluß des Pachtvertrages vermittelt habe. Entscheidend sei, daß die Veräußerin auf ihre Rechtsposition aus dem Pachtvertrag verzichtet und es dadurch dem Kläger ermöglicht habe, seinerseits Pächter zu werden.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das FG-Urteil weiche von den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Dezember 1968 V 225/65 (BFHE 95, 61, BStBl II 1969, 303) und vom 5. Februar 1985 VII R 109/79 (BFH/NV 1985, 2) ab. Nach diesen Urteilen sei es für die Annahme einer Betriebsübernehmerhaftung nach § 75 AO 1977 bei einem in gepachteten Räumen ausgeübten Betrieb erforderlich, daß der frühere Unternehmer seine Rechtsstellung an diesen Gütern auf den Erwerber in umfassender und vollständiger Weise übertrage; die Aufgabe von Pachtrechten gegenüber dem Verpächter sei einer Übertragung von Rechten auf die Nachpächter nicht gleichzusetzen. Im Streitfall seien die Vorpächter zu einer Übertragung ihrer Rechte rechtlich gar nicht in der Lage gewesen; sie seien lediglich für den Fall, daß der Verpächter zustimme, berechtigt gewesen, ihre Pachtrechte an diesen zurückzugeben.

Außerdem habe das FA sein Ermessen falsch ausgeübt. Der Haftungsbescheid habe keine Begründung dafür enthalten, weshalb nicht die Veräußerin als Steuerschuldnerin in Anspruch genommen worden sei. Ferner habe das FA auf die ihm mitgeteilten Vollstreckungsmöglichkeiten nicht zeitgerecht reagiert.Schließlich sei dem FG ein Verfahrensfehler bei seiner Feststellung unterlaufen, daß der Kaufvertrag bereits am . . . Februar 1980 verbindlich vereinbart worden sei. Wie aus den Gerichtsakten ersichtlich sein müsse, sei der Kaufvertrag nicht am . . . Februar 1980, sondern am . . . April 1980, also erst nach Abschluß des Pachtvertrages vom . . . April 1980, abgeschlossen worden. Zwar sei in der Klageschrift durch einen Schreibfehler der Monat Februar mit dem April verwechselt worden. Richtig sei jedoch, daß beide Rechnungen über die Veräußerung des Inventars und des Warenbestandes das Datum . . . April 1980 trügen. Das FG sei auch darauf hingewiesen worden, daß der Kaufvertrag erst nach Abschluß des Pachtvertrages erfüllt worden sei.

Das FA vertritt die Ansicht, der Sachverhalt des Streitfalls sei mit dem der Entscheidung in BFH/NV 1985, 2 nicht vergleichbar. Denn es hätten sich im Streitfall nach dem Sachverhalt, von dem das FG ausgegangen sei, der Kläger und die Veräußerin vor Abschluß des neuen Pachtvertrages über die Aufgabe und Übernahme des Pachtvertrages der Veräußerin geeinigt. Es könne dahingestellt bleiben, ob das FG dem Umstand keine entscheidende Bedeutung habe beimessen dürfen, ob die Veräußerin den Abschluß des Pachtvertrages vermittelt habe. Denn es, das FA, habe bereits in der Einspruchsentscheidung darauf hingewiesen, daß die Umstände auf eine solche Vermittlung hingedeutet hätten. Vor diesem Hintergrund könne auch dahingestellt bleiben, ob der Kläger im Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit seinem Vorbringen über das angeblich unrichtige Kaufvertragsdatum gehört werden könne.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Nach § 75 AO 1977 haftet der Erwerber, wenn ein Unternehmen im ganzen übereignet wird, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Eine Übereignung eines Unternehmens im ganzen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH vor, wenn zumindest die wesentlichen Betriebsgrundlagen übereignet worden sind (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 2 Buchst. b aa mit Nachweisen). Zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen einer Gastwirtschaft gehören die Räumlichkeiten, in denen sie betrieben wird (vgl. BFH-Urteil vom 24. Januar 1963 V 52/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964, 220).

Unstreitig hat der Kläger den Warenbestand und die im Eigentum der Veräußerin stehenden Einrichtungsgegenstände von dieser erworben. Die Veräußerin hat dem Kläger jedoch nicht die Räumlichkeiten übereignet, weil sie insoweit selbst nur Pächterin war.

Gehören zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen eines Unternehmens Gegenstände oder Güter, die keine Sachen im Sinne des bürgerlichen Rechts (§§ 90 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) sind und die daher nicht eigentumsfähig (§§ 903 ff. BGB) sind, wie z. B. Gebrauchs- und Nutzungsrechte an Sachen, Forderungen usw., so gehören diese Rechte, also z. B. das Pacht- oder Mietrecht, zu den wesentlichen Grundlagen des Unternehmens (vgl. BFH-Urteil in BFHE 95, 61, BStBl II 1969, 303, 304). In diesem Fall reicht es nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Annahme einer Betriebsübereignung im ganzen aus, wenn - unter Veräußerung aller sonstigen wesentlichen Betriebsgegenstände - der Veräußerer dem Erwerber durch eigene Mitwirkung die Möglichkeit verschafft, die dem bisherigen Betrieb dienenden Räumlichkeiten unverändert zu nutzen und über die Räume einen neuen Pacht- oder Mietvertrag abzuschließen (vgl. BFH-Urteile vom 25. August 1960 V 190/58 HFR 1961, 256; in HFR 1964, 220, 221; vom 14. Mai 1964 V 227/61, HFR 1964, 470, 471; in BFHE 95, 61, BStBl II 1969, 303, 304; in BFH/NV 1985, 2; vom 17. Februar 1988 VII R 97/85, BFH/NV 1988, 755, 756). Eine ausreichende Mitwirkung ist gegeben, wenn der bisherige Mieter oder Pächter ,,dafür sorgt", daß dem Nachfolger der Gasthof verpachtet wird (vgl. BFH-Urteil in HFR 1964, 220, 221).

In einem Urteil (vom 11. Februar 1965 V 214/62, Betriebs-Berater - BB - 1966, 1438) zu § 116 der Reichsabgabenordnung - AO - (entspricht § 75 AO 1977) hat der BFH unter Hinweis auf dessen Wortlaut eine einschränkende Auslegung dieser Bestimmung verlangt. Er hat dies mit der Entstehungsgeschichte des § 116 AO begründet. Durch das Steueranpassungsgesetz vom 16. Oktober 1934 - StAnpG - (RGBl I 1934, 925) sei der bisher für die Haftungsanknüpfung maßgebliche Begriff der ,,Veräußerung" durch den Begriff der ,,Übereignung" ersetzt worden. Dem habe die Absicht zugrunde gelegen, wegen der schwerwiegenden Folgen der Steuerhaftung den Kreis der Betroffenen zu beschränken. Aus dieser Zielrichtung der Gesetzesänderung folge aber, daß der Übereignungsbegriff in § 116 AO nicht erweiternd ausgelegt werden dürfe. Für den Fall, daß Gebrauchs- oder Nutzungsrechte zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehörten, ergebe sich aus dem Begriff der Übereignung, daß der Veräußerer seine Rechtsstellung gegenüber den wesentlichen Grundlagen des Unternehmens in einer umfassenden und vollständigen Weise auf den Erwerber übertragen müsse. Dieser Rechtsprechung ist der BFH in seinem Urteil in BFHE 95, 61, BStBl II 1969, 303 gefolgt und hat entscheidend auf die eine Geschäftsübereignung darstellenden Handlungen des ,,Veräußerers" und nicht auf die Verhältnisse beim Erwerber abgestellt. Fehlen derartige Handlungen des Veräußerers, liegt eine Geschäftsübereignung im ganzen nicht vor. Auf dieser Linie liegt auch die Entscheidung des erkennenden Senats in BFH/NV 1985, 2, wonach eine ausreichende Mitwirkung des Veräußerers nicht gegeben ist, wenn er lediglich die Gasträume im Anschluß an den neuen Pachtvertrag frei macht und dadurch deren Nutzung ermöglicht.

2. Soweit das FG annimmt, die Veräußerin habe dem Kläger die Möglichkeit zum Abschluß eines Pachtvertrages verschafft, hält die Vorentscheidung einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Der Auffassung des FG, allein der Verzicht der Veräußerin auf ihre Rechtsposition aus dem bestehenden Pachtvertrag sei eine ausreichende Mitwirkung bei dem Abschluß des Pachtvertrages zwischen der Verpächterin und dem Kläger, vermag der Senat auf der Grundlage der oben wiedergegebenen Rechtsprechung nicht beizupflichten. Erforderlich wären vielmehr eigene Handlungen oder Tätigkeiten der Veräußerin, die auf eine ,,Übertragung" ihrer Rechte auf den Kläger oder ein sonstiges Sorgen dafür, daß der Kläger den Pachtvertrag abschließen konnte, schließen lassen.

Eine ausreichende Mitwirkung der Veräußerin kann auch nicht allein darin gesehen werden, daß nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt der Kaufvertrag am . . . Februar 1980 und demgemäß vor Abschluß des Pachtvertrages vom . . . April 1980 geschlossen worden ist. Wenn dieser Umstand auch ein Indiz für ein aktives Mitwirken der Veräußerin am Zustandekommen des Pachtvertrages zwischen dem Kläger und der Verpächterin sein mag, so reicht dies allein nicht aus, daraus die erforderliche Mitwirkungshandlung zu entnehmen, daß die Veräußerin auf ihre Rechtsposition aus ihrem eigenen Pachtvertrag verzichtet hat.

Das FG hat - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zu Recht - keine weiteren tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen, wie im einzelnen der Pachtvertrag zustande gekommen ist. Die Sache ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), um dem FG Gelegenheit zur Aufklärung des tatsächlichen Ablaufs der Vertragsverhandlungen zu geben.

3. Die Sache erweist sich nicht etwa deshalb als entscheidungsreif, weil das FA seine Entscheidung, den Kläger als Haftenden in Anspruch zu nehmen (Entschließungsermessen), nicht in dem Haftungsbescheid begründet hat. Es hat dies in der Einspruchsentscheidung nachgeholt. Das reicht aus (vgl. §§ 121 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977). Auch ansonsten sind die Feststellungen der Vorentscheidung zur Frage der Ermessensausübung nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417433

BFH/NV 1991, 718

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