Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübernehmerhaftung (§ 75 AO 1977)

 

Leitsatz (NV)

Keine Betriebsübernehmerhaftung nach § 75 AO 1977 (§ 116 AO), wenn wesentliche Betriebsgrundlagen nicht vom Vorunternehmer, sondern von einem Dritten übernommen werden.

 

Normenkette

AO 1977 § 75

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Kläger betrieb seit 15. August 1976 eine Gaststätte in gepachteten Räumen. Verpächter war die Brau AG (AG).

Die Gaststätte war vorher von M. B. als Pächter betrieben worden. Zwischen diesem und der AG liefen seit Anfang August 1976 Verhandlungen betreffend die Auflösung des Pachtverhältnisses. Als der Kläger hiervon - von dritter Seite - gehörte hatte, wandte er sich unmittelbar an die AG mit dem Ersuchen, ihn als Nachfolgepächter ins Auge zu fassen. Die AG entsprach diesem Ersuchen und schloß mit dem Kläger am 11. August 1976 einen Pachtvertrag ab, nachdem sie dem Vorpächter M. B. gekündigt hatte.

Nach Abschluß des Pachtvertrags mit der AG übernahm der Kläger aufgrund eines mit M. B. abgeschlossenen ,,Ablöse"vertrags verschiedene von diesem benutzte, dem Gaststättenbetrieb dienende Inventargegenstände.

Das FA vertrat die Auffassung, der Kläger habe den Gaststättenbetrieb von M. B. übereignet erhalten (§ 116 AO) und nahm ihn mit Haftungsbescheid vom 12. Oktober 1976 für rückständige Umsatzsteuer des M. B. in Höhe von insgesamt . . . DM als Haftungsschuldner in Anspruch.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das FG abgewiesen.

Es hat ausgeführt, der Vorpächter M. B. habe dem Kläger das zur Fortführung des Betriebs erforderliche Inventar (nach Maßgabe des ,,Ablöse"vertrags) überlassen und die Gaststättenräume nach Abschluß des neuen Pachtverhältnisses zwischen dem Kläger und der AG fristgerecht freigemacht. Damit habe er dem Kläger als Erwerber die Möglichkeit verschafft, die benötigten Räume anstelle des bisherigen Unternehmers zu nutzen, wie dies auch geschehen sei. Dies reiche aus, um eine Übereignung nach § 116 AO - und damit die Haftung des Klägers - zu bejahen.

Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung von § 116 AO.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils zur Aufhebung des Haftungsbescheids in Form der Einspruchsentscheidung.

1. Nach § 116 AO haftet der Erwerber eines Unternehmens oder eines gesondert geführten Betriebs im ganzen für Steuerschulden des früheren Unternehmers, die - in gewissen zeitlichen Grenzen - im Betrieb des Unternehmens begründet waren. Eine Übereignung eines Unternehmens im ganzen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn zumindest die wesentlichen Betriebsgrundlagen übereignet worden sind (vgl. Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977) / Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 2 Buchst. b aa, mit Nachweisen).

Gehören zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen eines Unternehmens Gegenstände oder Güter, die keine Sachen im Sinne des bürgerlichen Rechts (§§ 90 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) und die daher nicht eigentumsfähig (§§ 903 ff. BGB) sind, so ist es für die Haftung erforderlich aber auch genügend, daß der frühere Unternehmer seine Rechtsstellung an diesen Gütern auf den Erwerber in umfassender und vollständiger Weise überträgt (ständige Rechtsprechung seit dem Urteil des BFH vom 19. Dezember 1968 V 225/65, BFHE 95, 61, BStBl II 1969, 303). Zu solchen Gütern gehört bei Unternehmen, deren Betrieb in gepachteten Räumen unterhalten wird, die Berechtigung aus dem mit dem Verpächter abgeschlossenen Pachtvertrag, also das Pachtrecht des früheren Unternehmens. In einem solchen Fall ist es erforderlich, daß der frühere Unternehmer durch eigene Mitwirkung dem Nachfolger die Möglichkeit verschafft, mit dem Verpächter einen neuen Pachtvertrag abzuschließen (vgl. Kühn / Kutter / Hofmann, a.a.O., Buchst. aa, am Ende, mit Hinweisen). Fehlt es an einer solchen Mitwirkung, so scheidet § 116 AO (§ 75 der Abgabenordnung - AO 1977 -) aus. So liegt hier der Fall.

2. Wie die Revision zu Recht hervorhebt, hat der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren durchgängig - ohne Einschränkung - geltend gemacht, der seinerseits mit dem Verpächter der Gasträume, der AG, abgeschlossene Pachtvertrag vom 11. August 1976 sei ohne jegliches Zutun, insbesondere jegliche Mitwirkung des früheren Unternehmers M. B. zustande gekommen. Er, der Kläger, habe sich dieserhalb an die AG angewandt, nachdem er von dritter Seite auf die im Betrieb des Vorgängers M. B. entstandenen Schwierigkeiten und die Möglichkeit einer Lösung des früheren Pachtverhältnisses hingewiesen worden sei.

Das FG ist, wie sich aus der Begründung des finanzgerichtlichen Urteils ergibt, offensichtlich von der Richtigkeit dieses - nicht bestrittenen - Vortrags ausgegangen, es hat ihm aber keine rechtliche Bedeutung zuerkannt. Das FG hat es vielmehr für ausreichend erachtet, daß der Vorpächter (lediglich) die Gasträume - im Anschluß an den neuen Pachtvertrag - seinerseits freigemacht und deren Nutzung dadurch dem Kläger ermöglicht habe. Dieser Sachverhalt genügt jedoch nicht, um eine Mitwirkung des Vorpächters am Zustandekommen des neuen Pachtverhältnisses im Sinne der obigen Ausführungen zu bejahen. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß der Kläger aus einer eigenständigen wirtschaftlichen (und rechtlichen) Position heraus mit der AG ein Pachtverhältnis begründet und im Anschluß hieran - also nach Gründung eines neuen Gaststättenbetriebs - einige in den Gasträumen befindliche Inventargegenstände im Wege des sog. Ablösevertrags übernommen hat. Dafür spricht auch der insoweit eindeutige Wortlaut des Ablösevertrags, demzufolge die ,,Ablösung" erst nach Abschluß des neuen Pachtvertrags vereinbart worden ist.

Fehlt es aber nach alledem an einer steuerrechtlich relevanten Mitwirkung des Vorpächters hinsichtlich der Überleitung des Pachtverhältnisses und damit im Sinne der Übertragung einer für den Gaststättenbetrieb wesentlichen Betriebsgrundlage, so entfällt die Anwendung von § 116 AO. Ob und inwieweit der Gaststättenbetrieb mit den abgelösten Inventargegenständen hätte fortgeführt werden können - was zweifelhaft erscheint -, kann bei dieser Sach- und Rechtslage auf sich beruhen.

3. Die Sache ist spruchreif. Unter Aufhebung der Vorentscheidung ist der Haftungsbescheid vom 12. Oktober 1976 in Form der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 1977 aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413777

BFH/NV 1985, 2

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