Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Billigkeitserlaß im Falle unanfechtbarer fehlerhafter Steuerfestsetzung

 

Leitsatz (NV)

Der Grundsatz, daß ein Billigkeitserlaß nicht dazu bestimmt ist, eine schuldhafte Versäumnis eines Rechtsbehelfs auszugleichen, kann nur in Ausnahmefällen durchbrochen werden.

 

Normenkette

AO 1977 § 227

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), eine juristische Person des Privatrechts, betreut kommunale Einrichtungen. Die dazu erforderlichen Mittel erzielt der Kläger nach seiner Satzung aus Mitgliedsbeiträgen, freiwilligen Zuwendungen und Spenden sowie aus Erträgnissen des Verbandsvermögens. Daneben unterhält der Kläger einen sog. Planungsdienst. Im Rahmen des letztgenannten Dienstes bemüht sich der Kläger um Aufträge zur Einrichtung von . . . Im Falle des Zuschlags läßt er die Arbeiten durch Fachbetriebe ausführen. Außerdem ist er den Bauträgern bei der Beschaffung der Einrichtungsgegenstände und deren Montage behilflich. Für diese Tätigkeiten vereinnahmt der Kläger ,,von den Lieferfirmen der Spezialeinrichtungsgegenstände Provisionen für die Vermittlung von Aufträgen" (so der Kläger in seinem Antrag vom 29. Dezember 1977); die Bauträger haben keine Gegenleistungen zu erbringen.

Aufgrund von Feststellungen im Rahmen einer Außenprüfung wertete der Prüfer die Tätigkeiten des Planungsdienstes als wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, hielt die hieraus erzielten Gewinne für die Streitjahre für körperschaftsteuerpflichtig und ermittelte zum 1. Januar 1974 ein Vermögen des Klägers von . . . DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) folgte der Auffassung des Prüfers und erließ für die Streitjahre entsprechende Körperschaftsteuerbescheide und für 1974 einen Vermögensteuerbescheid.

Die Steuerbescheide wurden bestandskräftig.

Im Dezember 1977 beantragte der Kläger bei dem FA, die Steuern und Abgaben zu erlassen. Er werde durch die Zahlung der Beträge in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.

Das FA wies den Erlaßantrag zurück. Es seien weder sachliche Billigkeitsgründe gegeben noch zeichne sich eine Überschuldung des Klägers ab.

Beschwerde und Klage des Klägers blieben erfolglos.

Der Kläger hat gegen diese Entscheidung Revision eingelegt und verfolgt sein Erlaßbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das Rechtsmittel des Klägers scheitert nicht schon am Fehlen eines bestimmten Antrags (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Aus dem Vorbringen des Klägers in der Revisionsbegründungsschrift ist das Ziel seines Rechtsmittels (das konkrete Revisionsbegehren) eindeutig zu entnehmen: Der Kläger fühlt sich durch das angefochtene Urteil in vollem Umfang beschwert und begehrt dessen Aufhebung sowie den Erlaß der Steuerbeträge.

2. Das angefochtene Urteil läßt keine Rechtsfehler hinsichtlich der finanzgerichtlichen Prüfung der Ermessensausübung durch die Finanzbehörde erkennen. Das Finanzgericht (FG) hat weder § 102 FGO verletzt noch die Grundsätze außer acht gelassen, die in der Rechtsprechung, insbesondere in der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70 (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603), aufgeführt sind.

a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Entscheidung über einen Antrag auf Erlaß von Steuern aus Billigkeitsgründen nach § 227 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde ist. Eine solche Entscheidung unterliegt nach den Ausführungen des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes in BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603 einer richterlichen Nachprüfung. Dies beruht darauf, daß der Begriff ,,unbillig" in den Ermessensbereich hineinragt und der Maßstab der Billigkeit zugleich Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimmt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466, und vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271).

Nach § 102 FGO dürfen die FG eine solche Ermessensentscheidung nur auf Ermessensüberschreitung, auf Ermessensfehlgebrauch und - in (hier nicht gegebenen) Ausnahmefällen (vgl. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 102 FGO Tz. 1) - auf eine ,,Ermessensreduzierung auf null" (Ermessenseinengung) prüfen. Dabei ist es ihnen grundsätzlich verwehrt, ihre eigene Ermessensentscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Finanzbehörden zu setzen (BFH-Urteile vom 24. September 1976 I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127, und vom 3. Juni 1982 VI R 48/79, BFHE 136, 224, BStBl II 1982, 710, unter 2. b). Der BFH hat als Revisionsgericht auch in einem solchen Falle zu prüfen, ob dem FG bei seiner Rechtsanwendung bezüglich der Ermessensentscheidung Rechtsfehler unterlaufen sind.

b) Nach diesen Grundsätzen sind die Erwägungen des FG zur Begründung seiner Entscheidung nicht zu beanstanden.

(1) Das FG hat seiner Prüfung der finanzbehördlichen Ermessensentscheidung zutreffend die Verhältnisse in dem Zeitpunkt zugrunde gelegt, in dem die Behörden letztinstanzlich entschieden haben. Die rechtliche Prüfung der Ermessensentscheidung kann sich nur auf die Sach- und Rechtslage zu dem Zeitpunkt erstrecken, in dem die Behörde entschieden hat. Das entspricht der Rechtsprechung des BFH (vgl. zum maßgebenden Zeitpunkt bei Billigkeitsentscheidungen nach § 131 der Reichsabgabenordnung - AO - Urteil vom 26. Juli 1972 I R 158/71, BFHE 106, 489, BStBl II 1972, 919).

(2) Das FG hat die Ablehnung eines Steuererlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen durch die Finanzverwaltungsbehörden zu Recht gebilligt. Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehler ist insoweit nicht festzustellen.

Ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen kann in der Regel nur gewährt werden, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist, also den Wertungen des Gesetzgebers zuwider läuft (so ständige Rechtsprechung; BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127). Deshalb rechtfertigen Nachteile und Härten, die im Besteuerungszweck selbst enthalten sind, oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen hat, einen Erlaß aus Billigkeitsgründen grundsätzlich nicht (vgl. BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466). Sie können nicht durch Billigkeitsmaßnahmen ausgeglichen werden. Denn auch für Entscheidungen nach § 227 Abs. 1 AO 1977 sind die in den Steuergesetzen selbst aufgestellten Maßstäbe bindend.

Im Streitfall ist das FG richtig davon ausgegangen, daß die bestandskräftig gewordenen Steuerbescheide im Billigkeitsverfahren in der Regel nicht mehr auf ihre sachliche und inhaltliche Richtigkeit geprüft werden können. Der Billigkeitserlaß ist nicht dazu bestimmt, die schuldhafte Versäumnis eines Rechtsbehelfs oder die Folgen von Säumnissen während eines Rechtsbehelfsverfahrens auszugleichen. Das FG hat nicht verkannt, daß von diesem Grundsatz Ausnahmen zulässig sind. Es hat jedoch die Voraussetzungen dafür ohne Rechtsfehler verneint. Die Tätigkeiten des Klägers in seinem Planungsdienst konnten nicht als steuerlich unschädlicher Geschäftsbetrieb i. S. des § 7 der Gemeinnützigkeitsverordnung (GemV) behandelt werden. Nach dieser Vorschrift kann die steuerliche Vergünstigung u.a. nur dann gewährt werden, wenn der steuerbegünstigte satzungsmäßige Zweck der Körperschaft ,,nur" durch den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erreicht werden kann. Das haben für den Fall der Klägers FA und FG zutreffend verneint. Der Kläger hat zur Begründung seiner Revision auch nicht im einzelnen - insbesondere durch entsprechende Zahlenangaben und Nachweise - dargetan, daß sein satzungsmäßiger Zweck in den Streitjahren ohne den Planungsdienst nicht erreicht worden wäre. Das . . . in seinem Bereich mag sich zwar überdurchschnittlich entwickelt haben und für eine solche wirkungsvolle Arbeit die Sicherung durch Investitionen und Rücklagen notwendig sein. Das erweist aber nicht, daß der Satzungszweck des Klägers unmittelbar nur durch die Tätigkeiten des Planungsdienstes erreicht werden konnte. Der Kläger konnte vielmehr allein die Einnahmen aus dessen Dienstleistungen für seinen satzungsmäßigen Zweck einsetzen. Eine nur mittelbare Förderung dieses Zweckes genügt den steuerrechtlichen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung aber nicht.

Das FA hat bei seiner Ermessensentscheidung auch nicht - entgegen der Auffassung des Klägers - die geplanten Änderungen des § 68 Nr. 7 AO 1977 durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einkommensteuergesetzes vom 25. Juni 1980 (BGBl I 1980, 731, BStBl I 1980, 395) berücksichtigen müssen. Diese Änderungen wären, worauf das FA in seiner Revisionserwiderung zu Recht hinweist, für die steuerliche Behandlung des Klägers - selbst wenn sie schon in den Streitjahren gegolten hätten - ohne Bedeutung geblieben. Die Änderungen betreffen die in § 68 Nr. 7 AO 1977 besonders aufgeführten Zweckbetriebe i. S. des § 65 AO 1977. Ein solcher Zweckbetrieb (= steuerlich unschädlicher Geschäftsbetrieb i. S. des § 7 GemV) war - wie dargelegt - der Planungsdienst des Klägers nicht. Darüber hinaus kann aus dieser Gesetzesänderung nicht - wie der Kläger meint - abgeleitet werden, daß in den Streitjahren die Gesetzgebung nicht den Wertungen des Gesetzgebers entsprochen habe. Die Änderungen sollten nach der Entscheidung des Gesetzgebers (vgl. Art. 4 des Änderungsgesetzes vom 25. Juni 1980) erst mit Inkrafttreten des Änderungsgesetzes wirksam werden, nicht aber auf (bestimmte) davorliegende Zeiträume zurückwirken.

(3) Das Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe haben die Verwaltungsbehörden, wie das FG zu Recht bestätigt hat, für den maßgebenden Zeitpunkt frei von Ermessensfehlern verneint. Der von dem Kläger den Verwaltungsbehörden vorgelegte Liquiditätsstatus zum 31. Mai 1978 ließ diese Behörden erkennen, daß der Kläger nicht in (entscheidungserheblichen) Liquiditätsschwierigkeiten und deshalb erlaßbedürftig war. Bei dieser allgemeinen Lage des Klägers bestand für die Finanzverwaltung kein Anlaß, zu diesem Zeitpunkt auf ihre Steueransprüche gegenüber dem Kläger endgültig zu verzichten. Das wirtschaftliche Fortbestehen des Klägers ist durch die Zahlung der Steuern, ggf. - wie die Finanzverwaltungsbehörden zutreffend hervorgehoben haben - bei Bewilligung von Zahlungsaufschub und Ratenzahlungen nicht gefährdet. Der Kläger hat denn auch in diesem Verfahren insoweit keine konkreten Angaben gemacht und entsprechende (materiellrechtliche) Revisionsrügen erhoben. Eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit rechtfertigt für sich allein keinen Steuererlaß aus persönlicher Unbilligkeit.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413784

BFH/NV 1985, 2

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