Rn. 95a

Stand: EL 152 – ET: 08/2021

Bereits in der vor VZ 2007 geltenden Fassung war die Vereinbarkeit des § 50d Abs 3 EStG mit EU-Recht umstritten. Nach der Rspr des EuGH ist der Eingriff in die Grundfreiheiten durch nationale Gesetze zur Missbrauchsverhinderung nur dann gerechtfertigt, wenn diese verhältnismäßig ausgestaltet sind und im Einzelfall eine Widerlegung typisierender Missbrauchsvermutungen zulassen. Darauf basierend hält der BFH es nach gefestigter Rspr für eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationaler Missbrauchsvermeidungsnormen für erforderlich, dem StPfl im Einzelfall den Motivtest über seine tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten zu gewähren (BFH v 21.10.2009, BStBl II 2010, 774; BFH v 13.10.2010, BStBl II 2011, 249 zum AStG).

Anknüpfend an die Anforderungen des EuGH in der Rechtssache Cadbury-Schweppes (EuGH v 12.09.2006, C-196/04, DStR 2006, 1686) hat der BFH einen Missbrauch wegen fehlender eigenwirtschaftlicher Tätigkeit für die Rechtslage vor VZ 2007 angenommen, wenn es sich bei der ausländischen Gesellschaft um eine rein künstliche Gestaltung handelt, die weder über Büroräume noch Personal oder Kommunikationsmittel verfügt, und es an objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten fehlt, die Rückschlüsse auf ein greifbares Vorhandensein der ausländischen Gesellschaft zulassen. Zur Vermeidung einer europarechtswidrigen Diskriminierung darf die Annahme eines Missbrauchs iSd § 50d Abs 3 EStG nicht über das Maß hinausgehen, das nach § 42 AO für rein nationale Sachverhalte gilt (BFH v 29.01.2008, BStBl II 2008, 978; FG Köln v 28.04.2010, EFG 2010, 2004). Eine nicht nur kurzfristig, sondern auf Dauer zwischengeschaltete ausländische KapGes kann daher bei auch nur minimaler Geschäftsausstattung im Gleichklang mit einer vergleichbaren inländischen KapGes nicht als missbräuchlich eingestuft werden.

 

Rn. 95b

Stand: EL 152 – ET: 08/2021

Diese Grundsätze sind auf die Rechtslage nach dem 01.01.2007 bzw nach dem 01.01.2012 übertragbar. So hat der EuGH denn auch zwischenzeitlich entschieden, dass § 50d Abs 3 EStG (in der jeweiligen Fassung) gegen die Mutter-Tochter-RL, die Niederlassungsfreiheit (Art 49 AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art 63 AEUV) verstößt (EuGH v 20.12.2017, C-504/16, C-613/16, Rechtssache Deister Holding und Juhler Holding, DStR 2018, 119, zu Abs 3 idF JStG 2007; EuGH v 14.06.2018, C-440/17, Rechtssache GS, DStR 2018, 1479 zu Abs 3 idF BeitrRLUmsG 2011), da die Regelung einer gebietsfremden Muttergesellschaft bei Erfüllung der typisierenden Missbrauchstatbestände keine Möglichkeit lässt zu beweisen, dass keine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegt, die nur zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils geschaffen wurde ("Motivtest").

Die Zwischenschaltung einer EU-Muttergesellschaft ist aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht per se missbräuchlich, auch wenn die Wirtschaftstätigkeit dieser Gesellschaft aus der Verwaltung von WG besteht und ihre Einkünfte nur aus dieser Tätigkeit stammen (EuGH v 14.06.2018, C-440/17, Rechtssache GS, DStR 2018, 1479 Rz 54 ff mwN). Darüber hinaus erfordert der im Einzelfall notwendige Motivtest, dass die Situation unter Berücksichtigung der organisatorischen, wirtschaftlichen und sonst beachtlichen Merkmale der Unternehmensgruppe sowie deren Strukturen und Strategien geprüft wird. Dies richtet sich insb gegen das Verbot der Konzernbetrachtung in § 50d Abs 3 S 2 EStG, nach dem für die Missbrauchsprüfung ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Muttergesellschaft maßgebend sind, sowie gegen § 50d Abs 2 S 3 EStG, der die Verwaltung von WG als nicht-wirtschaftliche Tätigkeit definiert.

An den in ständiger Rspr vertretenen Vorgaben des EuGH (zur französischen Treaty-Shopping-Regelung s EuGH v 07.09.2017, C-6/16, Rechtssache Eqiom und Enka, HFR 2018, 175), wird sich auch die geplante Neufassung des § 50d Abs 3 EStG messen lassen müssen. Bis zu deren Umsetzung ist § 50d Abs 3 EStG allerdings nicht generell unanwendbar. Vielmehr sind die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse in die Regelung durch eine geltungserhaltende Reduktion hineinzulesen, insb ist dem StPfl der unionsrechtlich gebotene Gegenbeweis über einen mangelnden Missbrauch zu eröffnen (so jetzt auch zu § 50d Abs 3 EStG ab 01.01.2012 FG Köln v 30.06.2020, EFG 2021, 117; FG Köln v 23.01.2019, EFG 2019, 1764, Rev I R 27/19).

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