Rn. 410

Stand: EL 171 – ET: 02/2024

Das Realisationsprinzip (§ 252 Abs 1 Nr 4 2 Hs HGB) gehört als grundlegendes Prinzip des Bilanzrechts zu den materiellen GoB. Es ist als kodifizierter GoB gemäß § 5 Abs 1 S 1 EStG für die Gewinnermittlung nach § 5 EStG sowie nach ständiger BFH-Rspr desgleichen für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG auch steuerlich beachtlich (BFH vom 06.12.1983, VIII R 110/79, BStBl II 1984, 227; BFH vom 10.09.1998, IVR R 80/96, BStBl II 1999, 21 betreffend bilanzierende Freiberufler; BFH vom 20.03.2003, IV R 37/02, BFH/NV 2003, 1403 betreffend Land- und Forstwirte). Das Realisationsprinzip ist Ausdruck des Vorsichtsprinzips, welches das deutsche Bilanzrecht wesentlich prägt; es umfasst das Objektivierungs- sowie das Periodisierungsprinzip (§ 252 Abs 1 Nr 5 HGB), bildet mithin den Maßstab für den periodengerechten Ausweis von Erträgen (zB Kanzler in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht, Rz 145 (4. Aufl 2021)) und ist grundlegendes Aktivierungsprinzip (Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz 78 (42. Aufl 2023)).

Für die Ausrichtung des Steuerbilanzrechts auf eine objektivierte Leistungsfähigkeitsbesteuerung leistet das Realisationsprinzip einen unverzichtbaren Beitrag. Das Leistungsfähigkeitsprinzip stellt auf realisierte, nicht lediglich realisierbare Vermögenszugänge ab (Schneider, Grundzüge der Unternehmensbesteuerung, 42 (6. Aufl 1994); Siegel, FR 2012, 389).

Obschon das Realisationsprinzip als bilanzsteuerrechtliches Grundprinzip entscheidend für das gesamte Bilanzierungsgeschehen, insbesondere für Zeitpunkt und Höhe des Erfolgsausweises ist, verbleibt die gesetzliche Regelung § 252 Abs 1 Nr 4 HGB bei der abstrakten Anordnung,

Zitat

"Gewinne […] nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlußstichtag realisiert sind."

Dies erfordert eine Auslegung unter Differenzierung von Fallgruppen.

Die Rspr knüpft die Gewinnrealisation bei gegenseitigen Verträgen in langer Tradition an die mit der wirtschaftlichen Erfüllung des Leistungsverpflichteten verbundene Risikoreduktion. Ein Gewinn ist bei gegenseitigen Verträgen iSd § 252 Abs 1 Nr 4 HGB handels- ebenso wie steuerrechtlich realisiert, wenn der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichtete die vereinbarte Leistung wirtschaftlich erfüllt hat, sein Anspruch auf die Gegenleistung mithin nicht mehr mit Risiken des Leistungsaustauschs behaftet ist (zB BFH vom 14.12.1988, I R 44/83, BStBl II 1989, 323; BFH vom 20.05.1992, X R 49/89, BStBl II 1992, 904; BFH vom 12.05.1993, XI R 1/93, BStBl II 1993, 786). Gewinne sind demgemäß erst dann auszuweisen, wenn sie auf dem Markt durch einen Umsatzvorgang bestätigt sind. Das Realisationsprinzip ist damit wesentlicher Ausdruck kaufmännischer Vorsicht und in der Folge zugleich sachgerechtes Besteuerungsprinzip zur Verwirklichung einer leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung (Pezzer, Probleme des Steuerbilanzrechts, DStJG 14, 22 (1991)).

Durch das Imparitätsprinzip (s Rn 500) sowie die Grundsätze der Behandlung schwebender Geschäfte (s Rn 471) auf der einen Seite und das Realisationsprinzip auf der anderen Seite wird die Trennlinie zwischen den zwei imparitätischen Phasen des Erfolgsausweises bestimmt:

  • der Pre-Realisationsphase, in der Verluste bereits zu zeigen sind und
  • der Realisationsphase im engeren Sinne (vgl Lang in Ruppe, Gewinnrealisierung im Steuerrecht, 1981, 86).

Durch punktuelle Suspendierung des Realisationsprinzips in den zurückliegenden Bilanzrechtsmodernisierungsschritten wurde die Pre-Realisationsphase systemwidrig punktuell auch für lediglich realisierbare positive Erfolgsbeiträge geöffnet (zB durch Einführung der Zeitwertbilanzierung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten, §§ 340e, 255 Abs 4 HGB, § 6 Abs 1 Nr 2b EStG im Zuge des BilMoG); zu sog unechten steuerlichen Realisationstatbeständen s Rn 413.

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