Leitsatz (amtlich)

Die Eintragung einer den Vorschriften des § 2 Abs. 1 KapErhG nicht entsprechenden Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln in das Handelsregister hat konstitutive Wirkung und ist für die steuerrechtliche Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzung des § 1 StKapErhG erfüllt sei, bindend.

 

Normenkette

AO § 149; KapErhG §§ 2, 8; StKapErhG § 1

 

Tatbestand

Streitig war, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine GmbH - auf Grund einer im Jahre 1963 durchgeführten Kapitalerhöhung Kapitalertragsteuer zu zahlen oder zu Recht die Steuerfreiheit nach § 1 des Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer in der Fassung vom 2. November 1961 - StKapErhG - (BStBl I 1961, 707) in Anspruch genommen hat.

Mit Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 24. Juni 1963 wurde das Stammkapital der Klägerin um 200 000 DM aus Gesellschaftsmitteln erhöht. Die Kapitalerhöhung wurde noch im gleichen Jahr in das Handelsregister eingetragen. Die dem Beschluß über die Kapitalerhöhung zugrunde liegende Bilanz zum 31. Dezember 1962 wies unstreitig neben dem Reingewinn keine Rücklage, sondern nur einen Gewinnvortrag aus. Nach dem zu notariellem Protokoll gegebenen Beschluß vom 24. Juni 1963 waren jedoch (Ziff. 3) "aus dem Gewinnvortrag ... 200 000 DM in Rücklage gestellt" und (Ziff. 4) "diese Rücklage ... entsprechend den Bestimmungen des Gesetzes über die Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung vom 23. Dezember 1959 in Nennkapital umgewandelt und daraus folgende neue Geschäftsanteile dem Beteiligungsverhältnis entsprechend zugeteilt" worden. Beide Beschlüsse wurden somit (lt. Einspruchsschreiben der Klägerin vom 11. Mai 1967) "uno actu" gefaßt und vollzogen. In gleicher Weise war die Klägerin bereits hinsichtlich Beschlußfassung und Durchführung einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln im Jahre 1960 vorgegangen.

Nach Aufgriff dieser Vorgänge anläßlich einer Betriebsprüfung im Jahre 1966, bei der die Voraussetzungen der Vorschrift des § 1 StKapErhG durch die Klägerin als nicht erfüllt angesehen wurden, erließ der Beklagte und Revisionskläger (das FA) unter dem 13. April 1967 gegen die Klägerin einen Haftungsbescheid wegen Kapitalertragsteuer 1960 und 1963. Die nach erfolglosem Einspruch zum FG erhobene Klage führte hinsichtlich des Kapitalertragsteueranspruchs 1960 wegen Verjährung zur Erledigterklärung des Rechtsstreits durch die Beteiligten, hinsichtlich des Kapitalertragsteueranspruchs 1963 zur Herabsetzung der Steuer von 50 000 DM auf 25 000 DM. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG aus:

Grundsätzlich begründe die Umwandlung von Reserven in haftendes Kapital die Kapitalertragsteuerpflicht (Urteile des BFH vom 17. September 1957 I 165/54 S, BFHE 65, 437, BStBl III 1957, 401, und vom 1. August 1958 VI 13/57 U, BFHE 67, 300, BStBl III 1958, 390). Diese Rechtsprechung habe zum Erlaß des StKapErhG vom 2. November 1961 geführt, das den Erwerb der neuen Anteilsrechte von der Kapitalertragsteuerpflicht freistelle, wenn die Kapitalerhöhung nach den Vorschriften des Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung vom 23. Dezember 1959 - KapErhG - (BGBl I 1959, 789) erfolgt sei. An dieser Voraussetzung fehle es im Streitfalle.

§ 1 Abs. 1 KapErhG spreche eindeutig von der Umwandlung von Rücklagen in Nennkapital. Ob der Gewinnvortrag einer solchen Rücklage gleichzuachten sei, könne dahinstehen. Denn § 2 Abs. 1 KapErhG schreibe zwingend vor, daß die Rücklagen, die in Nennkapital umgewandelt werden sollen, in der letzten Jahresbilanz (oder einer anderen dem Beschluß zugrunde gelegten Bilanz) unter "Rücklagen" ausgewiesen sein müßten. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift mache den Kapitalerhöhungsbeschluß nichtig (Hinweis auf Baumbach-Hueck, GmbH-Gesetz, 13. Aufl., Anhang nach § 57 Anm. 2 zu § 2 KapErhG). Daran ändere es nichts, wenn das Registergericht unter Verletzung seiner Prüfungspflicht die Kapitalerhöhung gleichwohl eingetragen habe; eine Heilung der Nichtigkeit lasse sich aus der Tatsache der Eintragung (§ 8 KapErhG) nicht herleiten.

Gleichwohl schließe die Tatsache, daß im Zeitpunkt der Entstehung der vermeintlichen Steuerschuld eine handelsrechtlich wirksame Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nicht vorgelegen habe, die Annahme einer steuerrechtlich wirksamen Kapitalerhöhung und damit die Versteuerung des Erwerbs der Freianteile nicht aus.

Die Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister als solche begründe weder die Steuerfreiheit noch überhebe sie das FA einer eigenen Prüfung hinsichtlich der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der Steuerfreiheit der Kapitalerhöhung. Auch die Vorschrift des § 5 Abs. 3 StAnpG stehe dem nicht entgegen. Denn die Vorschrift des § 1 StKapErhG befreie von der Steuerpflicht nur, wenn die Kapitalerhöhung nach den Vorschriften des KapErhG durchgeführt worden sei. Sie knüpfe damit die Steuerfreiheit an die Erfüllung bestimmter Formvorschriften an und schränke damit als lex specialis insoweit den allgemeinen Grundsatz des § 5 Abs. 3 StAnpG ein. Die von den Gesellschaftern der Klägerin gewollte, tatsächlich durchgeführte, zum Handelsregister angemeldete und dort auch eingetragene Kapitalerhöhung sei nur nicht unter dem Gesichtspunkt des KapErhG zu würdigen. Hätten die Gesellschafter einer GmbH einen handelsrechtlich zu beanstandenden Weg für eine Kapitalerhöhung gewählt, so müsse bei der für das Steuerrecht maßgebenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Sachlage so angesehen werden, als ob die Beteiligten dann den einzigen für sie noch gangbaren Weg über die Gewinnausschüttung und Einlage des ausgeschütteten Gewinns auch formell zurückgelegt hätten (so auch die Urteile des RFH vom 13. Mai 1931 VI A 925/31, RFHE 28, 326 [333], und vom 17. Juli 1935 VI A 434/34, RStBl 1935, 1447, und das BFH-Urteil vom 24. Juni 1957 I 143/56 U, BFHE 65, 433, BStBl III 1957, 400), zumal die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln unter Einschaltung der sogenannten Doppelmaßnahme auch noch nach dem Inkrafttreten des KapErhG möglich sei (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1969 II 141/65, BFHE 97, 320, BStBl II 1970, 99, unter III. 5. c).

Obwohl der angefochtene Bescheid danach zu Recht ergangen sei, sei er als rechtswidrig insoweit aufzuheben gewesen, als - wie die Prüfung ergeben habe - die Gesellschafter B. und G. auf Grund der Zuteilung von Freianteilen infolge Verjährung nicht mehr zur Einkommensteuer herangezogen werden könnten. Dies folge aus der Natur der Kapitalertragsteuer als einer Form der Einkommensteuervorauszahlung (BFH-Urteil vom 28. November 1961 I 40/60 S, BFHE 74, 281, BStBl III 1962, 107).

Die Regelung des § 149 AO in ihrer vom 1. Januar 1966 ab geltenden Fassung, nach der der Haftende auch noch nach Eintritt der Verjährung des Steueranspruchs gegenüber dem Abgabepflichtigen in Anspruch genommen werden könne, wenn die Haftung dem Haftenden gegenüber rechtzeitig durch Haftungsbescheid geltend gemacht worden sei, stelle nur die Bestätigung einer bereits lange zuvor vom RFH entwickelten Rechtsprechungspraxis dar. Dem Umstand, daß das BFH-Urteil I 40/60 S vor dem Inkrafttreten der Neufassung der Verjährungsvorschriften ergangen sei, komme deshalb keine Bedeutung im Sinne der Ausführungen des FA zu. Daneben sei vor allem zu beachten, daß § 13 Abs. 1 KVStDV eine Spezialregelung gegenüber § 149 AO sei und einen Erstattungsanspruch des Schuldners der Kapitalerträge für den Fall begründe, daß der Anspruch gegen den Gläubiger der Erträge als Schuldner des Steueranspruchs erloschen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung trägt das FA vor:

Aus § 149 AO ergebe sich eindeutig, daß die Haftungsschuld nicht erlösche, wenn die Haftung - wie im Streitfalle - bereits vor Eintritt der Verjährung des Steueranspruchs gegenüber dem Steuerschuldner durch Haftungsbescheid geltend gemacht worden sei. Der mit BFH-Urteil I 40/60 S entschiedene Streitfall sei dem vorliegenden nicht vergleichbar; denn anders als in jenem Falle sei hier im Zeitpunkt des Ergehens des Haftungsbescheides die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Gläubiger der Kapitalerträge noch gegeben gewesen. Aber selbst wenn man insoweit den Standpunkt des FG über die Aussage des BFH-Urteils I 40/60 S teile, sei die Frage inzwischen durch die Neufassung der Verjährungsvorschriften geklärt.

Das Erlöschen der Haftung folge auch nicht aus der in § 13 Abs. 1 KapStDV begründeten Erstattungspflicht. Denn solange ein Haftungsanspruch durch einen wirksamen Haftungsbescheid geltend gemacht werde, bleibe der Schuldner der Kapitalerträge auch zur Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer verpflichtet. Das Vorliegen eines Erstattungsanspruchs bewirke mithin nicht das Erlöschen des Haftungsanspruchs; vielmehr sei umgekehrt für die Entstehung des Erstattungsanspruchs Voraussetzung, daß kein Haftungsanspruch mehr bestehe und somit der Haftungsbescheid nicht mehr aufrechterhalten bleiben könne.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Der Senat tritt dem FA darin bei, daß der dem BFH-Urteil I 40/60 S zugrunde liegende Streitfall dem vorliegenden insofern nicht vergleichbar ist, als dort die Geltendmachung der Haftungsschuld erst nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des dem Gesellschafter erteilten Einkommensteuerbescheides erfolgt war und eine Wiederaufrollung der Veranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO an der Kenntnis des für die Einkommensteuerveranlagung zuständigen Veranlagungsbeamten von dem streitigen Sachverhalt scheitern mußte.

Im Streitfalle ist die Geltendmachung der Haftungsschuld unstreitig vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der den Gesellschaftern der Klägerin erteilten Einkommensteuerbescheide und vor dem Eintritt der Verjährung weitergehender Steueransprüche erfolgt. Entgegen der Auffassung des FG kommt es für die Entscheidung jedoch hierauf nicht an.

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Gesellschafterbeschluß vom 24. Juni 1963 nichtig war, weil eine der Ziffer 3 des Beschlusses entsprechende zwischenzeitliche Berichtigung der Handelsbilanz zum 31. Dezember 1962 vor der Beschlußfassung über die Umwandlung der in Rücklage gestellten Mittel in Nennkapital (Ziffer 4 des Beschlusses) nicht erfolgt ist. Denn grundsätzlich bedarf nach herrschender Meinung im Handelsrecht die Zuweisung von Gewinn des laufenden Geschäftsjahres sowie von Gewinnvorträgen aus Vorjahren zur freien Rücklage ihres Ausweises in der nach § 2 KapErhG maßgebenden Bilanz und (ggf.) deren (erneuter) Bestätigung durch den Abschlußprüfer, bevor die Umwandlung der Rücklage in Nennkapital beschlossen werden kann (Baumbach-Hueck, a. a. O., Anhang nach § 57, Anm. 2 zu § 2 KapErhG; Brönner, Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln - Die kleine Aktienrechtsreform -, 2. Aufl., Anm. 2 zu § 2 KapErhG; Gessler, DB 1960, 866; Wilhelmi-Friedrich, Kleine Aktienrechtsreform, Anm. 3 zu § 2 KapErhG; Zintzen-Halft, Kommentar zu den Gesetzen über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, Anm. 2 zu § 2 KapErhG).

Der Senat sieht aber - entgegen der Auffassung des FG - die Nichtigkeit des Beschlusses in jedem Falle durch die Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister als steuerrechtlich irrelevant geworden an. Die Eintragung hat konstitutive Wirkung (§ 8 KapErhG). Ist sie auf Grund eines nichtigen Beschlusses unter Verletzung der richterlichen Prüfungspflicht nach § 7 KapErhG gleichwohl erfolgt, ist Löschung der Eintragung von Amts wegen möglich. Erfolgt - wie im Streitfalle - eine Löschung der Eintragung von Amts wegen nicht, kann das FA die Löschung anregen; andernfalls hat es die rechtsgestaltende Maßnahme des Registergerichts als auch für die steuerrechtliche Beurteilung bindend hinzunehmen (vgl. BFH-Urteile vom 8. Februar 1952 I 10/52 S, BFHE 56, 176, BStBl III 1952, 71, zur Frage der ordnungsmäßigen Verbindung der Geschäftsjahre nach § 3 der Siebzehnten Durchführungsverordnung zum Umstellungsgesetz; vom 22. Juli 1952 I 62/52 U, BFHE 56, 585, BStBl III 1952, 226, zur Frage der Wirksamkeit eines Umwandlungsbeschlusses mit seiner Eintragung in das Handelsregister - mit Hinweis auf das BFH-Urteil vom 1. April 1952 I 2/52 U, BFHE 56, 380, BStBl III 1952, 148, mit dem die Bedeutung konstitutiver Akte für die steuerrechtliche Beurteilung erneut betont worden war). Der abweichenden Auffassung von Steinberg (BB 1960, 90) kann insoweit nicht beigetreten werden (Hinweis auch auf § 242 des Aktiengesetzes 1965; Baumbach-Hueck, a. a. O., Anhang § 47 Anm. 2 C mit weiterer Rechtsprechung).

Damit sind für die steuerrechtliche Beurteilung die Voraussetzungen der Vorschrift des § 1 StKapErhG erfüllt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70694

BStBl II 1974, 32

BFHE 1974, 417

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