Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer Ersatzzustellung gem. § 182 ZPO

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Ersatzzustellung gemäß § 182 ZPO ist auch dann zulässig, wenn der Postbeamte die Zustellung vergeblich in den Räumen versucht hat, deren Anschrift der Zustellungsempfänger als seine Wohnung angegeben hat.

2. Die Annahme, der Zustellungsempfänger habe dort tatsächlich seine Wohnung, wird nicht durch dessen bloße Behauptung ausgeschlossen, er sei im Zeitpunkt der Zustellung bereits aus der Wohnung ausgezogen gewesen. Vielmehr muß er zugleich detailliert dafür vortragen, daß ihn dort Post nicht mehr erreicht hat, weil er keinen Zugang mehr zu dieser Wohnung und dem Hausbriefkasten hatte.

 

Normenkette

VwZG § 3 Abs. 3; ZPO § 182

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren als Rechtsanwalt selbständig tätig. Außerdem war er in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1982 an der Rechtsanwaltssozietät . . . beteiligt und seit 1982 Gesellschafter und teils auch Geschäftsführer der A-GmbH, der B-GmbH und der C-GmbH.

Nach Einleitung eines Strafverfahrens ermittelte die Steuerfahndungsstelle Z die Umsätze und Vorsteuern 1979 bis 1983 sowie die Gewinne 1981 bis 1983 anhand der Gewinnermittlung des Klägers für 1979 und 1980 und im übrigen nach vorgefundenen Unterlagen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schloß sich dem Ermittlungsergebnis an und erließ gegen den Kläger ändernde Umsatzsteuerbescheide 1979 bis 1982 und Einkommensteuerbescheide 1981 und 1982 sowie erstmalige Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 1983. Gegen die geänderten Bescheide legte der Kläger erneut Einspruch ein. Die Einsprüche hatten insoweit Erfolg, als das FA in der Einspruchsentscheidung die Einkommensteuer 1981 und 1982 wegen hier nicht strittiger Punkte herabsetzte.

Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, die angefochtenen Bescheide beruhten auf wesentlichen Verfahrensfehlern.Durch Verfügungen vom 17. Mai 1990 wurde der Kläger gemäß Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) mit Frist bis 15. Juli 1990 aufgefordert, Steuererklärungen und Gewinnermittlungen vorzulegen und zu den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle Stellung zu nehmen. Die Zustellung erfolgte durch Niederlegung am 19. Mai 1990. Der Postzusteller gab an, er habe den Kläger in der angegebenen Wohnung, S-Straße 1 in X, nicht angetroffen, auch keinen zu seiner Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen oder einen im Dienst der Familie stehenden Erwachsenen. Ebenso sei eine Übergabe an den Hauswirt / Vermieter nicht möglich gewesen, und er habe die Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung, wie bei gewöhnlichen Briefen üblich, in den Hausbriefkasten eingelegt. Der Kläger hat sich zu der Aufforderung des Gerichts nicht geäußert. Auch die Ladungen zur mündlichen Verhandlung am 29. August 1990 sind dem Kläger mit Az. . . . unter der Anschrift S-Straße 1 in X durch Niederlegung zugestellt worden. Das Finanzgericht (FG) hat in der mündlichen Verhandlung am 29. August 1990 die ordnungsgemäße Ladung des nichterschienenen Klägers festgestellt und die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das FG wies die Klagen als unbegründet zurück, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht ersichtlich sei und die angefochtenen Bescheide auch in sachlicher Hinsicht nicht zu beanstanden seien.

Die Revision ließ das FG nicht zu.

Gegen das Urteil des FG wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er geltend macht, er sei nicht vorschriftsmäßig vertreten gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO); auch sei ihm das gesetzlich und verfassungsmäßig garantierte Recht auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO) verwehrt worden. Da er im Verhandlungstermin nicht erschienen sei, sei in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden worden. Ein solches Verfahren wäre aber nur dann zulässig gewesen, wenn die Ladung zum Termin ordnungsgemäß und mit Hinweis auf § 91 FGO erfolgt wäre. Das sei aber nicht der Fall gewesen.

Die Wirksamkeit der vorgenommenen Ersatzzustellung im Wege der Niederlegung beim Zustellpostamt gemäß § 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO), § 11 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) setze voraus, daß der Empfänger unter der in der Zustellung angegebenen Anschrift tatsächlich wohnhaft sei oder diese Wohnung noch innehabe. Er, der Kläger, sei bereits am 23. Juni 1989 aus den Räumen S-Straße ausgezogen gewesen und habe sich für seine neue Wohnung T-Weg 3 in X umgemeldet. Das ergebe sich aus der amtlichen Umschreibung des Personalausweises unter diesem Datum (Fotokopie der Rückseite des Personalausweises als Anlage beigefügt). Damit habe eine Niederlegung bei dem für die Anschrift S-Straße zuständigen Postamt nicht erfolgen können. Das Ausbleiben im Verhandlungstermin sei somit auf die mangelhafte Zustellung zurückzuführen.

Hinzu komme, daß das FG wegen der Schwierigkeiten bei der versuchten Urteilszustellung im September 1990 Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Zustellung hätte haben müssen. Auch sei dem FA die neue Anschrift des Klägers seit geraumer Zeit bekannt gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig. Sie ist gemäß §§ 124, 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.

Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -). Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmängel gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden.

Die Revision ist auch nicht nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Zwar hat der Kläger einen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geltend gemacht. Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision ist aber nur dann statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; BFH-Beschluß vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850, m. w. N.).

Dazu müssen die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen - als wahr unterstellt - die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen. Zur Rüge des in § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO bezeichneten Verfahrensmangels muß sich aus den vorgetragenen Tatsachen ableiten lassen, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren vor dem FG nicht vertreten war, weil das Gericht z. B. bei Vorbereitung oder Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch dem Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat (BFH-Beschluß in BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850).

Diesen Anforderungen entspricht die Revisionsbegründung nicht. Der Kläger behauptet nicht einmal, die Benachrichtigung über die Niederlegung der Ladung nicht erhalten zu haben, so daß nicht einmal sicher ist, daß seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unmöglich war. Sein Vorbringen ergibt ferner nicht, daß er in der mündlichen Verhandlung nicht i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen sei, weil die Ladung zum Termin nicht wirksam zugestellt worden sei (vgl. BFH-Urteil vom 15. November 1974 VI R 107/74, BFHE 114, 457, BStBl II 1975, 335).

Zum schlüssigen Vortrag der geltend gemachten Verfahrensrüge genügt nicht die bloße Behauptung des Klägers, er sei bereits am 23. Juni 1989 aus der in der Ladung zum 29. August 1990 angegebenen Wohnung in der S-Straße 1 in X ausgezogen gewesen und habe sich für seine Wohnung, T-Weg 3 in X umgemeldet. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der beigefügten Kopie der Rückseite des Personalausweises, die das Datum vom 23. Juni 1989 und die Anschrift X, T-Weg 3 enthält.

Gemäß § 53 Abs. 1 FGO sind Ladungen den Beteiligten zuzustellen. Das FG hat den Weg der Zustellung durch die Post mittels Postzustellungsurkunde (PZU) gewählt (§ 3 VwZG). In § 3 Abs. 3 VwZG wird für das Zustellen auf die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und § 195 Abs. 2 ZPO verwiesen. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt nach § 182 ZPO setzt voraus, daß der Empfänger der zuzustellenden Sendung die Wohnung, in der der Zustellungsversuch unternommen wird, tatsächlich innehat, daß er in der Wohnung nicht angetroffen wird und daß schließlich ein Versuch der Ersatzzustellung nach § 181 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO nicht zum Erfolg führt. Das Vorliegen der beiden letzteren Voraussetzungen, das der zuständige Postbeamte in den Zustellungsurkunden vom 8. August 1990 vermerkt hat, stellt der Kläger nicht in Frage. Seine Behauptung, er sei aus der alten angegebenen Wohnung bereits am 23. Juni 1989 ausgezogen und habe sich in die neue Wohnung umgemeldet, reicht indes zum schlüssigen Vortrag des Nichtinnehabens der alten Wohnung nicht aus. Denn eine Ersatzzustellung ist gemäß § 182 ZPO selbst dann zulässig, wenn der Postbeamte die Zustellung vergeblich in den Räumen versucht hat, deren Anschrift der Zustellungsempfänger als seine Wohnung angegeben hat (Beschluß des erkennenden Senats vom 22. August 1989 IV B 156/88, BFH/NV 1990, 749). Ob die Wohnung im Zeitpunkt des Zustellungsversuchs noch bestanden hat, ist unerheblich. Der Zustellungsempfänger muß sich an dem von ihm aufgrund seiner eigenen Angaben erzeugten Rechtsschein festhalten lassen. Insbesondere ist die polizeiliche Abmeldung nicht entscheidend (BFH-Urteile vom 15. Dezember 1965 II 1/63, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Verwaltungszustellungsgesetz, § 3, Rechtsspruch 8, und vom 18. Februar 1986 VIII R 257/83, BFH/NV 1986, 711, m. w. N.).

Zu diesen Fragen fehlt jeglicher Vortrag des Klägers. Er hatte in seiner Klageschrift vom 23. Juni 1986 zunächst die Anschrift P-Straße in X angegeben und dann im Schriftsatz vom 25. November 1986 gebeten, als neue Anschrift die S-Straße 1 in X zu beachten. Dementsprechend hat das FG die neue Anschrift auf dem Aktendeckel vermerkt und Hinweise sowie Schriftsätze des FA an diese Adresse gesandt, darunter auch einen Hinweis vom 2. April 1990. Sie haben den Kläger offenbar sämtlich erreicht und sind trotz des angegebenen Auszugstermins vom 23. Juni 1989 nicht als unzustellbar zurückgekommen. Das trifft ferner für die gemäß Art. 3 § 3 VGFGEntlG ergangene Aufforderung des Senatsvorsitzenden des FG zu. Diese Aufforderung, in der Reinschrift mit Datum vom 17. Mai 1990, ist dem Kläger - wie auch später die Ladung - vermittels PZU, und zwar am 19. Mai 1990, dadurch zugestellt worden, daß der Postbeamte dieses Schriftstück bei dem Postamt in X niedergelegt hat, weil er nach seiner Bekundung den Kläger in dessen Wohnung, S-Straße 1 in X am 18. Mai 1990 nicht angetroffen und deshalb eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung wie bei gewöhnlichen Briefen üblich in den Hausbriefkasten des Klägers eingelegt hatte. Diese Beurkundung setzt voraus, daß der Postbeamte davon ausging, der Kläger habe unter der angegebenen Anschrift eine Wohnung i. S. des § 181 Abs. 1 ZPO unterhalten. Den Erhalt dieser Sendung hat der Kläger - wie auch den Erhalt der Benachrichtigung über die Niederlegung der Ladung - nicht in Frage gestellt.

Unabhängig davon, daß die Zustellung der Ladung bereits deshalb wirksam ist, weil sie den Kläger an der von ihm angegebenen Wohnanschrift erreichte, schließt ferner dessen bloße Behauptung, er sei zu diesem Zeitpunkt schon lange aus der Wohnung S-Straße 1 ausgezogen gewesen, angesichts der Umstände des Falles nicht aus, daß er diese Wohnung tatsächlich noch bis in den August 1990 innehatte und dort den Hausbriefkasten besaß und nutzte, in den die beiden tätig gewordenen Postbeamten - wie beurkundet - die Sendung betreffend die Aufforderung nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG sowie die hier streitigen Ladungen eingeworfen haben. Der Kläger durfte sich nicht darauf beschränken zu sagen, er sei ausgezogen, sondern er mußte zugleich dafür detailliert vortragen, daß ihn dort Post nicht mehr erreichte, weil er keinen Zugang mehr zu dieser Wohnung und dem Hausbriefkasten hatte. Denn Sinn und Zweck der Zustellungsvorschriften ist es, dem Adressaten das rechtliche Gehör zu gewähren, d. h. zu sichern, daß er von zuzustellenden Schriftstücken Kenntnis nehmen und seine Rechtsverteidigung darauf einrichten kann. Diesem Schutzgedanken ist jedoch selbst dann Rechnung getragen, wenn der Empfänger z. B. in einer von ihm angegebenen Wohnung zwar nicht schläft, er sie aber regelmäßig aufsucht, so daß objektiv zu erwarten ist, daß ihn die Benachrichtigung über die Niederlegung des zuzustellenden Schriftstücks tatsächlich erreicht (Oberlandesgericht Köln, Beschluß vom 16. August 1988 22 W 30/88, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1989, 443).

Daß das angefochtene Urteil dem Kläger unter dieser Anschrift im September 1990 nicht mehr zugestellt werden konnte, besagt nicht, daß er schon vorher ,,unbekannt verzogen" war. Dem FG war die neue Anschrift jedenfalls nicht bekannt; ob das für das FA gilt, ist hier unerheblich.

Zwar hat der Kläger vortragen lassen, die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 29. August 1990 habe den Hinweis nach § 91 Abs. 2 FGO nicht enthalten, das FG habe also in der Ladung nicht vermerkt, daß bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne. Diese bloße Behauptung genügt aber zum schlüssigen Vortrag der geltend gemachten Verfahrensrüge nicht. Das Gegenteil trifft nämlich nach der Aktenlage zu. Der Vorsitzende hat bei der Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 29. August 1990 verfügt, daß die Beteiligten unter Hinweis auf § 91 Abs. 2 FGO zu laden sind. Dementsprechend ist in der Ladung des Klägers vermerkt, daß bei seinem Ausbleiben auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne. Obwohl der Prozeßbevollmächtigte des Klägers zur Fertigung der Revisionsbegründung die Akten eingesehen hat, somit die Terminsverfügung und den genauen Inhalt der Ladung des Klägers zum 29. August 1990 kennt, hat er es bei seiner bloßen gegenteiligen Behauptung bewenden lassen.

Für die Rüge, das FG habe ihm das rechtliche Gehör versagt (§ 119 Nr. 3 FGO), hat der Kläger aus diesen Gründen gleichfalls nichts schlüssig vorgetragen. Insbesondere fehlen jegliche Ausführungen dazu, was der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte und daß aufgrund dessen eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (BFH-Urteil vom 1. Juni 1989 V R 72/84, BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677). Ohnehin ist selbst die schlüssig vorgetragene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs kein möglicher Fall der zulassungsfreien Revision (§ 116 FGO; BFH-Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77, BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401).

 

Fundstellen

Haufe-Index 417813

BFH/NV 1992, 474

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