Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifgeltung im Beitrittsgebiet

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats:

"Fortsetzung der ständigen Rechtsprechung des Senats zum Geltungsbereich des BAT-O."

(Vergleiche BAG Urteil vom 24.06.1999 6 AZR 639/97.)

 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Berlin vom 4. September 1997 - 16 Sa 71/97 -

aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des

Arbeitsgerichts Berlin vom 20. Februar 1997 - 92 Ca 29726/96 -

wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu

tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob auf das Arbeitsverhältnis des Klägers seit dem 1. August 1995 die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags vom 23. Februar 1961 (BAT) oder des Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts - Mantel-tarifliche Vorschriften (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung finden.

Der Kläger war seit 1986 als Hauptwachtmeister bei der Deutschen Volkspolizei (Schutzpolizei) beschäftigt und wurde nach Herstellung der Einheit Deutschlands vom beklagten Land als Angestellter weiterbeschäftigt. Ab dem 20. Oktober 1990 wurde er der Einsatzbereitschaft der Direktion im ehemaligen Westberlin "dauerhaft bzw. auf nicht absehbare Zeit" zugewiesen. In der Folgezeit arbeitete er im ehemaligen Westberlin und erhielt Vergütung nach den Bestimmungen des BAT-O. Seit 1991 ist er Mitglied der Gewerkschaft der Polizei. Mit Schreiben vom 29. März 1993 teilte der Polizeipräsident des beklagten Landes dem Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 30. Juli 1992 (- 6 AZR 11/92 - BAGE 71, 68, sog. "Posturteil") mit, daß sein Arbeitsverhältnis "vom Tag der Aufnahme" seiner "dauerhaften Tätigkeit im Westteil der Stadt" von "den Regelungen des Tarifrechts West erfaßt" werde und er ab dem 1. Februar 1992 Vergütung nach BAT erhalte. Am 22. Dezember 1993 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, der auszugsweise wie folgt lautet:

"Herr S wird ab 14. Juni 1993 als vollbeschäftigter Angestellter

im Ermittlungsdienst für Aufgaben von begrenzter Dauer nach der SR

2 y (mit einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen

Arbeitszeit gemäß § 15 BAT) unter Änderung seines bisherigen

Beschäftigungsverhältnisses für die Zeit bis zum 31. Dezember 1997

weiterbeschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf des 31.

Dezember 1997, ohne daß es einer Kündigung bedarf.

Für 1. Der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) unter

Berücksichtigung der jeweils in Frage kommenden

Sonderregelungen mit allen künftigen Änderungen und

Ergänzungen,

2. die mit dem Land Berlin bzw. dem Arbeitgeberverband, dem

das Land Berlin angehört, bisher vereinbarten, noch geltenden

und künftig abzuschließenden Tarifverträge über

Arbeitsbedingungen der Angestellten, insbesondere

Vergütungstarifverträge,

3. der Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des

Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler

Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) vom 4. November

1966 in seiner jeweiligen Fassung sowie die an die Stelle

dieses Tarifvertrages tretenden Bestimmungen."

Mit Wirkung vom 5. April 1994 wurde dem Kläger auf Dauer ein Arbeitsplatz im ehemaligen Ostberlin zugewiesen. Er erhielt zunächst weiterhin Leistungen nach BAT. Am 13. Februar 1995 teilte ihm die zuständige Personalstelle mit, sein Arbeitsverhältnis werde nunmehr entfristet. Am selben Tag unterzeichnete der Kläger einen Arbeitsvertrag, der auszugsweise wie folgt lautet:

"Herr S wird ab 14. Juni 1993 als vollbeschäftigter Angestellter

im Ermittlungsdienst mit einer durchschnittlichen regelmäßigen

wöchentlichen Arbeitszeit gemäß § 15 BAT auf unbestimmte Zeit

weiterbeschäftigt.

Für 1. Der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) unter

Berücksichtigung der jeweils in Frage kommenden

Sonderregelungen mit allen künftigen Änderungen und

Ergänzungen,

2. die mit dem Land Berlin bzw. dem Arbeitgeberverband, dem

das Land Berlin angehört, bisher vereinbarten, noch geltenden

und künftig abzuschließenden Tarifverträge über

Arbeitsbedingungen der Angestellten, insbesondere die

Vergütungstarifverträge,

3. der Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des

Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler

Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) vom 4. November

1966 in seiner jeweiligen Fassung sowie die an die Stelle

dieses Tarifvertrages tretenden Bestimmungen."

Mit Schreiben vom 7. Februar 1996 teilte das beklagte Land dem Kläger mit, daß auf sein Arbeitsverhältnis seit der Rückkehr in das Beitrittsgebiet aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im sog. "Feuerwehrurteil" vom 26. Oktober 1995 (- 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207) wieder die Bestimmungen des BAT-O anzuwenden seien. Deshalb würden die Leistungen nach BAT vom nächsten Fälligkeitstermin an unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährt. Außerdem forderte das beklagte Land unter Berücksichtigung der Ausschlußfrist des § 70 BAT-O die Differenzbeträge zwischen der Vergütung nach BAT und BAT-O für die Zeit vom 1. August 1995 bis zum 31. Januar 1996 zurück, unterstellte jedoch gleichzeitig den Wegfall der Bereicherung. Mit Schreiben vom 25. Juni 1996 teilte das beklagte Land dem Kläger mit, daß sein Arbeitsverhältnis ab dem 1. Juli 1996 wieder dem Osttarifrecht unterliege und die seit Anfang des Jahres unter dem Vorbehalt der Rückforderung gezahlte Differenz zwischen "Ost- und Westvergütung" zurückgefordert werde.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auf sein Arbeitsverhältnis finde aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen auch nach seiner Rückkehr in das Beitrittsgebiet, somit auch in der Zeit ab dem 1. August 1995, der BAT Anwendung.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß auf das zwischen den Parteien bestehende

Arbeitsverhältnis jedenfalls seit 1. August 1995 die Bestimmungen

des BAT und nicht diejenigen des BAT-O anwendbar sind.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, auf das Arbeitsverhältnis des Klägers sei nach seiner Rückkehr in das ehemalige Ostberlin wieder der BAT-O anzuwenden. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den BAT habe nur deklaratorische Bedeutung und sei ausschließlich darauf zurückzuführen, daß sich das beklagte Land verpflichtet gefühlt habe, dem Kläger die "BAT-Rechtsstellung", die er durch seine zeitlich nicht begrenzte Umsetzung in das ehemalige Westberlin erworben habe, auch nach Rückkehr in das Beitrittsgebiet zu belassen. Diesen Rechtsirrtum habe das beklagte Land einseitig und ohne Änderungskündigung korrigieren können.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattgegeben. Mit der Revision erstrebt das beklagte Land die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung des Berufungsurteils zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen klageabweisenden Entscheidung.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auf der Grundlage des Sachvortrags der Parteien könne nicht festgestellt werden, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers seit seiner Rückkehr in das ehemalige Ostberlin tariflich vom Geltungsbereich des BAT oder des BAT-O erfaßt werde. Der BAT-O finde Anwendung auf Arbeitsverhältnisse, die im Beitrittsgebiet begründet seien. Dies sei der Fall, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet liege und der dadurch hergestellte räumliche Bezug zum Beitrittsgebiet gegenwärtig noch vorhanden sei. Ein im Beitrittsgebiet begründetes Arbeitsverhältnis verliere endgültig den Bezug zum Beitrittsgebiet, wenn der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung auf Dauer in das westliche Tarifgebiet entsandt werde und der Arbeitgeber dabei nicht die Absicht äußere, ihn zu irgendeinem, sei es auch unbestimmten zukünftigen Zeitpunkt wieder in das Beitrittsgebiet zurückzuversetzen. Ein solcher Arbeitnehmer unterscheide sich in seiner arbeitsrechtlichen Stellung nicht mehr von einem Arbeitnehmer, der von vornherein für eine Tätigkeit im westlichen Tarifgebiet eingestellt worden sei und dort seine Arbeit aufgenommen habe. Auf dessen Arbeitsverhältnis finde jedoch, da es nicht im Beitrittsgebiet begründet sei, auch bei einem Einsatz im östlichen Tarifgebiet weiterhin westliches Tarifrecht Anwendung. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Arbeitnehmergruppen bestehe nicht. Ob im Falle des Klägers der räumliche Bezug des Arbeitsverhältnisses zum Beitrittsgebiet aufgrund seines Einsatzes im ehemaligen Westberlin endgültig verloren gegangen sei, könne nicht beurteilt werden, weil sich weder dem Vortrag des Klägers noch des beklagten Landes entnehmen lasse, ob der Kläger ab dem 20. Oktober 1990 auf Dauer zur Arbeitsleistung in das ehemalige Westberlin entsandt wurde. Der Arbeitsvertrag vom 22. Dezember 1993 gebe darüber keinen Aufschluß, da er bis 31. Dezember 1997 befristet gewesen sei. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers finde aber auch nach Rückkehr in das ehemalige Ostberlin der BAT Anwendung, weil die Parteien im Arbeitsvertrag vom 13. Februar 1995 die Geltung dieses Tarifvertrags vereinbart hätten. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die in einem Musterarbeitsvertrag enthaltene Verweisung auf den BAT nur deklaratorische Bedeutung habe und der öffentliche Arbeitgeber einen etwaigen Irrtum jederzeit einseitig und ohne Änderungskündigung korrigieren könne, sei abzulehnen. Bei der Auslegung von Verträgen seien die subjektiven Vorstellungen einer Partei nur insoweit von Bedeutung, als sie einen für die andere Partei wahrnehmbaren Ausdruck gefunden hätten. Maßgeblich sei dabei der "Horizont" des Empfängers. Das beklagte Land habe dem Kläger eine Vertragsurkunde vorgelegt, in der es lapidar heiße, daß für das Arbeitsverhältnis der BAT mit allen künftigen Ergänzungen und Änderungen maßgebend sei. Ein Arbeitnehmer, dessen Denkweise bei Vertragsschluß im allgemeinen noch nicht durch langjährige Beschäftigung im öffentlichen Dienst beeinflußt sei, könne diesen Satz nur so verstehen, daß die Bestimmungen des BAT Vertragsbestandteil werden sollten und damit etwas für beide Seiten verbindliches vereinbart werde. Von einer solchen Vereinbarung könne sich der öffentliche Arbeitgeber nicht einseitig ohne Änderungskündigung lösen.

B. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Arbeitsverhältnis des Klägers unterfällt nach seiner Rückkehr in das ehemalige Ostberlin und damit im streitgegenständlichen Zeitraum dem Geltungsbereich des BAT-O. Arbeitsvertraglich haben die Parteien entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine davon abweichende Vereinbarung getroffen.

I. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wird seit seiner Rückkehr auf den Arbeitsplatz im ehemaligen Ostberlin tariflich vom Geltungsbereich des BAT-O erfaßt.

1. Nach § 1 Abs. 1 Buchst. b BAT-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer der Länder, die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig sind (Angestellte) und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags (im folgenden: EV) genannten Gebiet begründet sind.

2. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. Er übt eine der Rentenversicherung der Angestellten unterliegende Beschäftigung beim beklagten Land aus. Sein Arbeitsverhältnis ist im Beitrittsgebiet begründet.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats zu § 1 BAT-O und zu gleichlautenden Tarifbestimmungen ist ein Arbeitsverhältnis in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet, wenn dort der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses liegt und der Bezug zum Beitrittsgebiet gegenwärtig noch besteht. Wird ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt und wird er auf unbestimmte Zeit dort beschäftigt, sind diese Voraussetzungen gegeben (BAG 24. Februar 1994 - 6 AZR 588/93 - BAGE 76, 57; 6. Oktober 1994 - 6 AZR 324/94 - BAGE 78, 108). Für den gegenwärtigen Bezug zum Beitrittsgebiet ist grundsätzlich die Lage des Arbeitsplatzes entscheidend (BAG 24. Februar 1994 - 6 AZR 588/93 - BAGE 76, 57, 61; 6. Oktober 1994 - 6 AZR 324/94 - BAGE 78, 108, 112; 23. Februar 1995 - 6 AZR 614/94 - BAGE 79, 215, 217; 20. März 1997 - 6 AZR 10/96 - BAGE 85, 322, 327 f.; 25. Juni 1998 - 6 AZR 515/97 - AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 76 und - 6 AZR 475/96 - AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 12, zu II 2 b bb der Gründe). Wird ein Arbeitnehmer, der für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt wurde, vorübergehend auf nicht absehbare Zeit im Geltungsbereich westlichen Tarifrechts beschäftigt, findet für die Dauer dieser Tätigkeit westliches Tarifrecht Anwendung. Nach Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet unterfällt das Arbeitsverhältnis wieder dem östlichen Tarifrecht (BAG 23. Februar 1995 - 6 AZR 667/94 - BAGE 79, 224; 21. September 1995 - 6 AZR 151/95 - AP BAT-O § 1 Nr. 6 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 11, zu III 2 der Gründe; 26. Oktober 1995 - 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207, 209; 20. März 1997 - 6 AZR 10/96 - BAGE 85, 322, 329 und 25. Juni 1998 - 6 AZR 515/97 - aaO, zu II 1 c der Gründe). Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats gilt dies auch dann, wenn der Einsatz des Angestellten im westlichen Tarifgebiet auf Dauer beabsichtigt war. Dies hat der erkennende Senat bereits durch Urteil vom 23. Februar 1995 (- 6 AZR 667/94 - BAGE 79, 224) zur gleichlautenden Bestimmung in § 1 TV Ang-O entschieden. Der Wortlaut des BAT enthält keinen Hinweis darauf, daß seine gegenüber dem BAT-O günstigeren Arbeitsbedingungen weitergelten sollen, wenn der Arbeitsort wieder im räumlichen Geltungsbereich des BAT-O liegt, der Angestellte also wieder alle Voraussetzungen dieses Tarifvertrags erfüllt. Auch nach Sinn und Zweck des BAT kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich sein Geltungsbereich in diesen Fällen auf das Beitrittsgebiet erstreckt. Der BAT gilt nur in den alten Bundesländern. Die Erstreckung der dort für den öffentlichen Dienst bestehenden Arbeitsbedingungen auf das Beitrittsgebiet hängt von einer ausdrücklichen Vereinbarung der Tarifvertragsparteien ab (Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 der Anl. I zum EV). Bis zu dieser - bisher nicht vereinbarten - Erstreckung gilt nach dem Willen der Tarifvertragsparteien im Beitrittsgebiet der BAT-O, der gegenüber dem BAT ungünstigere Arbeitsbedingungen vorsieht. Zweck des BAT-O ist es, den im Verhältnis zu den alten Bundesländern ungünstigeren wirtschaftlichen Bedingungen der neuen Bundesländer Rechnung zu tragen, in denen die Kosten für die dort gelegenen Arbeitsplätze entstehen. Dieses Regelungsziel verbietet es, darauf abzustellen, daß der die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BAT-O erfüllende Angestellte bisher im Geltungsbereich des BAT gearbeitet hat (Senatsurteil 23. Februar 1995 - 6 AZR 667/94 - aaO, zu II 3 der Gründe).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Entgegen der vom Landesarbeitsgericht offenbar vertretenen Auffassung verstößt diese Auslegung der tariflichen Regelung nicht gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Das Landesarbeitsgericht meint, ein Arbeitnehmer mit im Beitrittsgebiet begründetem Arbeitsverhältnis, der dauerhaft auf einem Arbeitsplatz im westlichen Tarifgebiet beschäftigt wird, unterscheide sich durch nichts mehr von einem Arbeitnehmer, der von vornherein für eine Tätigkeit in den alten Bundesländern eingestellt wurde. Dabei verkennt das Landesarbeitsgericht, daß der Geltungsbereich des BAT-O zwar an die Lage des Arbeitsplatzes anknüpft, für die Tarifgeltung aber neben dem gegenwärtigen Bezug zum Beitrittsgebiet auch entscheidend ist, ob der Angestellte für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt wurde, denn § 1 Abs. 1 BAT-O stellt darauf ab, ob das Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet ist. Dies ist der Fall bei Arbeitnehmern, die ursprünglich für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt wurden, und zwar auch dann, wenn sie später auf nicht absehbare Zeit oder dauerhaft im westlichen Tarifgebiet eingesetzt werden. Dadurch unterscheidet sich ein solcher Angestellter von Arbeitnehmern, die von vornherein für eine Tätigkeit in den alten Bundesländern eingestellt wurden. Darauf, ob der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer anläßlich der Übertragung der Tätigkeit außerhalb des Beitrittsgebiets die Absicht geäußert hat, ihn uU später wieder in das Beitrittsgebiet zurückzuversetzen, kommt es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht an. Für ein solches subjektives Tarifmerkmal läßt sich aus der genannten Tarifnorm nichts herleiten. Der Bezug eines solchen Arbeitsverhältnisses zum Beitrittsgebiet geht auch bei einem auf Dauer beabsichtigten Einsatz im westlichen Tarifgebiet nicht endgültig verloren, denn die für die Tarifgeltung nach Rückkehr maßgebliche Begründung des Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet ändert sich dadurch nicht, weil dann beide Auslegungskomponenten dieses Tarifbegriffs im Sinne der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats wieder vorliegen (Senatsurteil 24. Juni 1999 - 6 AZR 24/98 - nv., zu B I 2 a der Gründe).

Daß die Schaffung ungünstigerer Arbeitsbedingungen für das Beitrittsgebiet durch den Abschluß des BAT-O mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats seit dem sog. "Posturteil" vom 30. Juli 1992 (- 6 AZR 11/92 - BAGE 71, 68).

Die Tarifvertragsparteien haben im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie die Befugnis, für ihre Mitglieder die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln. Dabei steht ihnen ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Bei ihrer Normsetzung haben sie jedoch den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten, der es verbietet, gleiche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln (vgl. BAG 15. Januar 1955 - 1 AZR 305/84 - BAGE 1, 258, 260 ff.; 20. April 1977 - 4 AZR 732/75 - BAGE 29, 122; 13. November 1985 - 4 AZR 234/84 - BAGE 50, 133, 141 ff. und 30. Juli 1992 - 6 AZR 11/92 - BAGE 71, 68). Eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung liegt vor, wenn sich für die vorgenommene Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht finden läßt, wenn also für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtung die Regelung als willkürlich anzusehen ist (vgl. BVerfG 23. Oktober 1951 - 1 BvG 1/51 - BVerfGE 1, 14, 52; 19. Juli 1972 - 2 BvL 7/71 - BVerfGE 33, 377, 384 und 15. Oktober 1985 - 2 BvL 4/83 - BVerfGE 71, 39, 58). Die Tarifvertragsparteien brauchen angesichts der ihnen eingeräumten weitgehenden Gestaltungsfreiheit nicht die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen, vielmehr genügt es, wenn sich für die getroffene Regelung ein sachlicher vertretbarer Grund ergibt (BVerfG 17. Dezember 1953 - 1 BvR 147/52 - BVerfGE 3, 58, 135; 12. April 1972 - 2 BvR 704/70 - BVerfGE 33, 44, 51; 26. März 1980 - 1 BvR 121, 122/76 - BVerfGE 54, 11, 25 f.; 15. Oktober 1985 - 2 BvL 4/83 - BVerfGE 71, 39, 58; 8. April 1987 - 2 BvR 909/82 ua. - BVerfGE 75, 108, 157; BAG 30. Juli 1992 - 6 AZR 11/92 - BAGE 71, 68).

Die Arbeitsbedingungen nach dem BAT-O sind ungünstiger als die Arbeitsbedingungen nach dem BAT. Der sachliche Grund für die Ungleichbehandlung liegt in den von den Tarifvertragsparteien ungünstiger eingeschätzten wirtschaftlichen Bedingungen im Beitrittsgebiet gegenüber denjenigen in den alten Bundesländern. Die Tarifvertragsparteien sind rechtlich nicht gehindert, regional unterschiedliche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, um unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Von dieser Befugnis haben sie durch die Schaffung unterschiedlicher Arbeitsbedingungen für das Beitrittsgebiet gegenüber den alten Bundesländern auf der Grundlage des Einigungsvertrages und im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie Gebrauch gemacht (BAG 30. Juli 1992 - 6 AZR 11/92 - BAGE 71, 68; 24. Juni 1999 - 6 AZR 24/98 - nv., zu B I 2 a der Gründe).

b) Der Grund für die Entstehung des Arbeitsverhältnisses des Klägers lag im Beitrittsgebiet. Es bestand bereits seit 1986 zur Deutschen Volkspolizei der ehemaligen DDR und wurde nach Herstellung der Einheit Deutschlands vom beklagten Land fortgeführt. Seit Rückkehr des Klägers in das ehemalige Ostberlin ist der Bezug zum Beitrittsgebiet wieder vorhanden. Dieser wurde durch seinen Einsatz im ehemaligen Westberlin nicht endgültig gelöst. Lediglich während der Dauer dieser Beschäftigung fanden die Bestimmungen des BAT auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung. Nach seiner Rückkehr in das Beitrittsgebiet gilt wieder der BAT-O.

II. Aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien hat der Kläger nach seiner Rückkehr in das ehemalige Ostberlin keinen Anspruch auf Anwendung des BAT.

1. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht den Arbeitsvertrag vom 13. Februar 1995 dahingehend ausgelegt, daß darin unabhängig von der tariflichen Rechtslage die Anwendung des BAT auf das Arbeitsverhältnis des Klägers vereinbart worden ist.

a) Bei der vertraglichen Regelung handelt es sich um eine typische Vereinbarung für Angestellte im öffentlichen Dienst, die vom Senat in der Revisionsinstanz uneingeschränkt und selbständig gemäß §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden kann (vgl. BAG 21. Oktober 1992 - 4 AZR 156/92 - AP BAT § 23 a Nr. 27, zu I 3 a der Gründe; 1. Juni 1995 - 6 AZR 922/94 - BAGE 80, 152, 155 mwN).

Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist es zwar rechtlich möglich, einzelvertraglich die Anwendung normativ nicht geltender Tarifregelungen zu vereinbaren (BAG 21. Oktober 1992 - 4 AZR 156/92 - aaO, zu I 3 der Gründe). Bei tarifgebundenen Arbeitnehmern wie dem Kläger ist dies jedenfalls dann zulässig, wenn der vertraglich vereinbarte Tarifvertrag für den Arbeitnehmer günstiger ist als der kraft Organisationszugehörigkeit geltende Tarifvertrag (§ 4 Abs. 3 TVG). Im öffentlichen Dienst hat jedoch die Verweisung auf den Geltungsbereich eines Tarifvertrags nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich nur den Sinn, daß der Arbeitsvertrag das beinhalten soll, was nach den allgemeinen Grundsätzen des Tarifrechts für tarifgebundene Angestellte gilt (vgl. Senatsurteil 1. Juni 1995 - 6 AZR 922/94 - aaO, mwN.). Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag hat daher im Regelfall keine rechtsbegründende Wirkung, sondern nur deklaratorischen Charakter.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest, denn entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts muß der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes grundsätzlich davon ausgehen, daß ihm sein Arbeitgeber, der an die Vorgaben des Haushaltsrechts gebunden ist, nur die Leistungen gewähren will, zu denen er gesetzlich oder tariflich verpflichtet ist. Im Zweifel gilt Normenvollzug (st. Rspr., vgl. BAG 24. März 1993 - 5 AZR 16/92 - BAGE 73, 1, 3; 18. Januar 1996 - 6 AZR 314/95 - AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 25 = EzA BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 5, zu III 3 der Gründe; 11. Juni 1997 - 10 AZR 724/95 - AP BMT-G II § 20 Nr. 6 = EzA TVG § 4 Eingruppierung Nr. 7, zu II 2 c der Gründe). Deshalb folgt aus der Verweisung auf einen Tarifvertrag ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht zwangsläufig die Begründung eines eigenständigen, von den tariflichen Voraussetzungen unabhängigen vertraglichen Anspruchs, ggf. als übertarifliche Leistung (vgl. BAG 23. August 1995 - 4 AZR 352/94 - ZTR 1996, 169; 8. August 1996 - 6 AZR 1013/94 - AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 46, zu II 2 a der Gründe, jeweils zur Angabe der tariflichen Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag).

b) Dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 13. Februar 1995 sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß das beklagte Land dem Kläger unabhängig vom Vorliegen der dafür erforderlichen tariflichen Voraussetzungen und damit übertariflich Leistungen nach BAT zusagen wollte. Deshalb kann der Kläger nur die Anwendung des Tarifvertrags verlangen, von dessen Geltungsbereich sein Arbeitsverhältnis erfaßt wird. Dies ist nach Rückkehr in das Beitrittsgebiet der BAT-O.

2. In Bezug auf den Arbeitsvertrag vom 22. Dezember 1993 und die schriftliche Mitteilung des Polizeipräsidenten des beklagten Landes vom 29. März 1993 gilt nichts anderes. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen sind auch diese Erklärungen ausschließlich deklaratorischer Natur. Auch ihnen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß das beklagte Land dem Kläger Leistungen nach BAT ggf. übertariflich gewähren wollte. Hinsichtlich des Schreibens vom 29. März 1993 ergibt sich dies zudem aus der Bezugnahme auf das sog. "Posturteil" des erkennenden Senats vom 30. Juli 1992 (- 6 AZR 11/92 - BAGE 71, 68). Dort hatte der erkennende Senat entschieden, daß auf im Beitrittsgebiet begründete Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die auf nicht absehbare Zeit im westlichen Tarifgebiet beschäftigt werden, für die Dauer dieser Tätigkeit westliches Tarifrecht anzuwenden ist. Das Schreiben vom 29. März 1993 konnte daher - auch aus Sicht des Klägers - nur als Wiedergabe der tariflichen Rechtslage verstanden werden.

III. Da das beklagte Land dem Kläger nach Rückkehr in das ehemalige Ostberlin somit rechtsirrtümlich Leistungen nach BAT gewährt hat, konnte es diese nach Kenntniserlangung von seinem Irrtum einstellen und die überzahlten Beträge für die Vergangenheit unter Beachtung der Ausschlußfrist des § 70 BAT-O zurückfordern. Einer Änderungskündigung bedurfte es dazu nicht (BAG 26. Oktober 1995 - 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Peifer Dr. Armbrüster Gräfl

Steinhäuser D. Knauß

 

Fundstellen

Dokument-Index HI611019

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