Entscheidungsstichwort (Thema)

TV Ang. TV Ang-O. Geltungsbereiche

 

Leitsatz (amtlich)

Der TV Ang-O findet Anwendung, wenn ein Angestellter, dessen Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet ist (§ 1 Abs. 1 TV Ang-O), nach einer Tätigkeit im räumlichen Geltungsbereich des TV Ang auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet zurückkehrt (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung im Urteil vom 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

 

Normenkette

Tarifvertrag für die bei der Deutschen Bundespost beschäftigten Angestellten vom 21. März 1961 (TV Ang) § 1; Tarifvertrag Nr. 401a zur Anpassung des Tarifrechts für Angestellte der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet an den TV Ang (TV Ang-O) vom 27. November 1990 § 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 03.06.1994; Aktenzeichen 10 Sa 10/94)

ArbG Berlin (Urteil vom 04.08.1993; Aktenzeichen 89 Ca 7804/93)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 3. Juni 1994 – 10 Sa 10/94 – aufgehoben.
  • Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. August 1993 – 89 Ca 7804/93 – abgeändert:

    Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin Feststellung für die Zeit ab 1. August 1992 begehrt.

  • Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für die bei der Deutschen Bundespost beschäftigten Angestellten vom 21. März 1961 (TV Ang) oder der seit dem 1. Januar 1991 geltende Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts für Angestellte der Deutschen Bundespost im Beitrittsgebiet an den TV Ang (TV Ang-O) vom 27. November 1990 Anwendung findet. Beide Tarifverträge sind auf Arbeitnehmerseite von der Deutschen Postgewerkschaft abgeschlossen, der die Klägerin angehört.

Die Klägerin war vom 1. Februar 1964 bis zum 31. August 1991 bei der Deutschen Post, zuletzt im Z… in Berlin-Mitte, als Sachbearbeiterin beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. September 1991 wurde sie an das Fernmeldeamt versetzt, das im ehemaligen Ostberlin liegt, und zugleich dem im ehemaligen Westberlin gelegenen Fernmeldeamt zugewiesen. Hier leistete die Klägerin ihre Arbeit bis zum 31. Juli 1992. Dorthin wurde sie auch zum 1. März 1993 förmlich versetzt. Seit 1. August 1992 arbeitet sie bei einer im ehemaligen Ostberlin gelegenen Außenstelle des Fernmeldeamtes.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien wird der TV Ang-O angewendet. Dieser bestimmt in § 1 Abs. 1:

“Dieser Tarifvertrag gilt für Arbeitnehmer, die eine angestelltenversicherungspflichtige Tätigkeit bei der Deutschen Bundespost ausüben und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet sind …”

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf ihr Arbeitsverhältnis finde seit dem 1. September 1991 der TV Ang Anwendung.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien seit dem 1. September 1991 der TV Ang Anwendung findet.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der TV Ang-O sei anzuwenden, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Beitrittsgebiet begründet sei und gegenwärtig dort auch durchgeführt werde. Die Beschäftigung der Klägerin im Fernmeldeamt im ehemaligen Westberlin und damit im Geltungsbereich des TV Ang sei vorübergehend gewesen und habe auch der Schulung und Fortbildung gedient.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren nur noch für die Zeit ab 1. August 1992 weiter. Soweit die Klage die Zeit vom 1. September 1991 bis 31. Juli 1992 betraf, hat sie die Revision zurückgenommen. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Abweisung der Klage, soweit diese noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist. Die Klägerin kann für die Zeit ab 1. August 1992 nicht die Anwendung des TV Ang verlangen. Es gilt der TV Ang-O.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die dagegen gerichteten Bedenken der Revision greifen nicht durch.

Die Klägerin begehrt festzustellen, daß für ihr Arbeitsverhältnis die Rechte und Pflichten gelten, die sich aus dem TV Ang ergeben. Durch die Entscheidung über diesen Anspruch wird der wesentliche Inhalt des zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses geklärt und eine Vielzahl von Einzelfragen dem Streit der Parteien entzogen. Daraus ergibt sich das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin (vgl. BAG Urteil vom 30. Juli 1992 – 6 AZR 11/92 – BAGE 71, 68 = AP Nr. 1 zu § 1 TV Ang Bundespost).

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finde, auch nachdem die Klägerin am 1. August 1992 in den räumlichen Geltungsbereich des TV Ang-O zurückgekehrt sei, weiterhin der TV Ang Anwendung. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei zwar ursprünglich im Beitrittsgebiet begründet worden. Die Klägerin habe jedoch ab 1. September 1991 auf Dauer in einer Betriebsstätte der Beklagten im ehemaligen Westberlin gearbeitet, so daß der Ort der Arbeitsleistung von diesem Zeitpunkt an im räumlichen Geltungsbereich des TV Ang gelegen habe. Eine Rückverlagerung der Tätigkeit in das ehemalige Ostberlin sei nicht vorgesehen gewesen. Die Anwendung des TV Ang entfalle nicht dadurch, daß die Tätigkeit der Klägerin am 1. August 1992 wieder in das ehemalige Ostberlin verlegt worden sei. Dies sei aus Gründen geschehen, die nicht in der Person oder im Arbeitsverhältnis der Klägerin lägen, sondern auf einer Organisationsentscheidung des Arbeitgebers beruhten. In einem solchen Falle verbleibe es aus Gründen der Besitzstandswahrung bei der Anwendung westlichen Tarifrechts.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

2. Nach § 1 Abs. 1 TV Ang-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer, die eine angestelltenversicherungspflichtige Tätigkeit bei der Deutschen Bundespost ausüben und deren Arbeitsverhältnis in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet sind. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen.

a) Die tarifgebundene Klägerin übt als Arbeitnehmerin der Beklagten – unstreitig – eine angestelltenversicherungspflichtige Tätigkeit aus.

b) Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist auch im Beitrittsgebiet begründet.

Der erkennende Senat hat ein Arbeitsverhältnis als im Beitrittsgebiet begründet angesehen, wenn es einen Bezug zum Beitrittsgebiet aufweist, der gegenwärtig noch besteht (vgl. Urteil des Senats vom 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 – AP Nr. 1 zu § 1 BAT-O, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Diese Voraussetzung ist gegeben.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet geschlossen worden. Die Klägerin war seit dem 1. Februar 1964 bei der Deutschen Post, bis August 1991 im Z… in Berlin-Mitte, als Sachbearbeiterin beschäftigt. Seit dem 1. August 1992 ist die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in einer im ehemaligen Ostberlin und damit im Beitrittsgebiet gelegenen Außenstelle des Fernmeldeamtes tätig. Diese Beschäftigung begründet den gegenwärtigen Bezug des Arbeitsverhältnisses zum Beitrittsgebiet.

Für die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs kommt es auf den Sitz der Dienststelle nicht an, sondern allein auf die Lage des Arbeitsplatzes (vgl. BAG Urteile vom 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 –, aaO, zu II 2b der Gründe und vom 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – zu I 3a der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt). Unbedeutend ist somit, daß das Fernmeldeamt , an das die Klägerin zwischenzeitlich versetzt wurde, im ehemaligen Westberlin liegt.

3. Weiter ist unerheblich, daß die Klägerin in der Zeit vom 1. September 1991 bis zum 31. August 1992 im Geltungsbereich des TV Ang beschäftigt war und für diese Zeit Anspruch auf Leistungen nach diesem Tarifvertrag hat, was rechtskräftig feststeht, nach dem die Beklagte die Revision insoweit zurückgenommen hat.

Nach der Rechtsprechung des Senats zu den entsprechenden Regelungen von BAT und BAT-O gilt für ein im Beitrittsgebiet begründetes und dort durchgeführtes Arbeitsverhältnis östliches Tarifrecht (vgl. BAG Urteil vom 24. Februar 1994, aaO, zu II 2a cc der Gründe). Demgegenüber findet auf ein im Beitrittsgebiet begründetes und in den alten Bundesländern fortgesetztes Arbeitsverhältnis westliches Tarifrecht Anwendung (vgl. BAG Urteil vom 30. Juli 1992 – 6 AZR 11/92 – aaO und Urteil vom 6. Oktober 1994, aaO, zu I 2b der Gründe). In einem Fall vorübergehender Beschäftigung im Westen hat der Senat angenommen, daß nach Rückkehr des Arbeitnehmers auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet wieder östliches Tarifrecht gilt (vgl. BAG Urteil vom 6. Oktober 1994, aaO, zu I 3a der Gründe). Östliches Tarifrecht gilt aber auch, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich westlichen Tarifrechts fortgesetzt worden ist, später wieder in den räumlichen Geltungsbereich östlichen Tarifrechts zurückkehrt. Dies ergibt die Auslegung des § 1 Abs. 1 TV Ang. Darauf, ob der Einsatz des Arbeitnehmers im Westen auf Dauer oder nur vorübergehend beabsichtigt war, kommt es nicht an.

Der erkennende Senat hat im vorgenannten Urteil angenommen, daß § 1 Abs. 1 BAT-O den räumlichen Geltungsbereich des von denselben Tarifparteien abgeschlossenen BAT nicht einschränkt, solange der Arbeitnehmer in einer dort gelegenen Betriebsstätte beschäftigt wird. Entsprechendes würde für das Verhältnis der insoweit mit dem BAT-O und dem BAT übereinstimmenden Regelungen des TV Ang-O und des TV Ang anzunehmen sein. Nichts anderes kann aber für die Beantwortung der Frage gelten, ob umgekehrt der TV Ang (bzw. BAT) den räumlichen Geltungsbereich des TV Ang-O (bzw. BAT-O) einschränkt, wenn der die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 TV Ang-O erfüllende Arbeitnehmer nach einer Tätigkeit im Westen ins Beitrittsgebiet zurückkehrt. Auch diese Frage ist zu verneinen. Auf den in das Beitrittsgebiet zurückgekehrten Arbeitnehmer findet wieder der TV Ang-O Anwendung, der vor der Entsendung des Arbeitnehmers in den Geltungsbereich des TV Ang galt. Dies folgt aus dem Wortlaut sowie aus Sinn und Zweck der unterschiedlichen Tarifregelungen in Ost und West, auf die der Senat bereits in den genannten Urteilen vom 24. Februar 1994 und vom 6. Oktober 1994 (jeweils aaO) hingewiesen hat. Der TV Ang enthält keinen Hinweis darauf, daß seine gegenüber dem TV Ang-O günstigeren Arbeitsbedingungen weitergelten sollen, wenn der Arbeitsort wieder im räumlichen Geltungsbereich des TV Ang-O liegt, der Arbeitnehmer also wieder alle Voraussetzungen dieses Tarifvertrages erfüllt. Auch nach dem Sinn und Zweck des TV Ang kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich sein Geltungsbereich in diesen Fällen auf das Beitrittsgebiet erstreckt. Der TV Ang gilt nur in den alten Bundesländern. Die Erstreckung der dort für den öffentlichen Dienst bestehenden Arbeitsbedingungen auf das Beitrittsgebiet hängt von einer ausdrücklichen Vereinbarung der Tarifparteien ab (Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 der Anlage I zum Einigungsvertrag). Bis zu dieser – bisher nicht vereinbarten – Erstreckung gilt nach dem Willen der Tarifparteien im Beitrittsgebiet der TV Ang-O, der gegenüber dem TV Ang ungünstigere Arbeitsbedingungen regelt. Zweck des TV Ang-O ist es, den im Verhältnis zu den alten Bundesländern ungünstigeren wirtschaftlichen Bedingungen der neuen Bundesländer Rechnung zu tragen (vgl. für den BAT-O Urteile des Senats vom 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 –, aaO, zu II 2b der Gründe und vom 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 –, aaO, zu I 3a der Gründe), in denen die Kosten für die dort gelegenen Arbeitsplätze entstehen. Dieses Regelungsziel schließt nicht nur die Anknüpfung an den in den alten Bundesländern gelegenen Sitz der Dienststelle aus, sondern verbietet auch, darauf abzustellen, daß der die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 TV Ang-O erfüllende Arbeitnehmer bisher im Geltungsbereich des TV Ang gearbeitet hat. Die Tarifvertragsparteien haben durch die Regelung des räumlichen Geltungsbereichs in § 1 Abs. 1 TV Ang-O deutlich zum Ausdruck gebracht, daß grundsätzlich die Lage des Arbeitsplatzes entscheidend ist. Der im Tarifrecht neue Begriff “in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet begründet sind” regelt, daß der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet liegt und das Arbeitsverhältnis dort auch gegenwärtig durchgeführt wird, indem der Arbeitnehmer auf unbestimmte Zeit dort beschäftigt wird (vgl. BAG Urteil vom 24. Februar 1994, aaO, zu II 2a cc der Gründe und vom 6. Oktober 1994, aaO, zu II 3a der Gründe). Da die Tarifvertragsparteien nicht an sonst im Tarifrecht übliche Merkmale, wie z.B. den Sitz der Dienststelle, den Betriebssitz oder den Erfüllungsort des Arbeitsverhältnisses angeknüpft haben, ist davon auszugehen, daß sie den Begriff “in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet begründet sind” geographisch im Sinne der Lage des Arbeitsplatzes verstanden wissen wollen. Die Tarifvertragsparteien haben dadurch eine Abgrenzung gegenüber dem Tarifgebiet des TV Ang vorgenommen, die für die Zeit bis zur vollen Angleichung beider Tarifwerke gelten soll, und die es deshalb grundsätzlich ausschließt, auf andere Merkmale als den Ort abzustellen, an dem die Arbeit zu leisten ist. Zu dieser Regelung waren die Tarifparteien nach Artikel 9 Abs. 3 GG befugt.

4. Diese an Sinn und Zweck orientierte Auslegung schließt es daher aus, den TV Ang anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des TV Ang-O erfüllt, nach einer Tätigkeit im Westen wieder auf unbestimmte Zeit im Geltungsbereich des TV Ang-O arbeitet. Für den vom Landesarbeitsgericht angenommenen Gesichtspunkt der Besitzstandswahrung gibt es keine rechtliche Grundlage. Eine dahingehende individualrechtliche Vereinbarung hat die Klägerin nicht behauptet.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 566, 515 Abs. 3 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Lenßen, Kapitza

Richter Dr. Armbrüster kann wegen Erholungsurlaubs nicht unterzeichnen.

Dr. Peifer

 

Fundstellen

Haufe-Index 857054

BAGE, 224

NZA 1996, 384

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