Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Scheingesellschafters für Steuerschulden

 

Leitsatz (NV)

Ist eine Firma gegenüber dem FA über längere Zeit hinweg als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts aufgetreten, so kann ein an ihr Beteiligter gegen die Inanspruchnahme als für die Steuerschulden haftender Gesellschafter nicht einwenden, ein Gesellschaftsverhältnis habe tatsächlich nicht bestanden, (vgl. Urteil des BFH vom 20. Januar 1977 V R 153/72, BFHE 121, 275, BStBl II 1977, 364).

 

Normenkette

AO § 113; AO 1977 § 191 Abs. 4; BGB § 427

 

Tatbestand

Der Kläger betrieb mit seinem Bruder in den Jahren 1973 bis 1975 ein Omnibusunternehmen. Für diese Jahre wurden jeweils die ,,Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns/der Einkünfte" abgegeben. Die im Anschluß an diese Erklärungen vom FA erlassenen Steuerbescheide waren jeweils an die gleiche Firma mit dem Zusatz GdbR (bzw. GbR) gerichtet.

Das Omnibusunternehmen wurde mit Anzeige an die Ortspolizeibehörde zum 30. November 1975 aufgegeben. Die anläßlich der Veräußerung der Reisebusse entstandene Umsatzsteuer sowie die im November 1975 angefallene Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer wurden nicht an das FA abgeführt.

Mit Haftungsbescheid vom 17. März 1976 nahm das FA den Kläger und seinen Bruder für die genannten Steuerrückstände nebst Säumniszuschlägen als Haftungsschuldner in Anspruch. Die auf § 113 AO i. V. m. § 421 BGB gestützten Haftungsbescheide wurden bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 5. Oktober 1978 beantragte der Kläger beim FA, den gegen ihn erlassenen Haftungsbescheid zurückzunehmen, weil er rechtswidrig sei. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich daraus, daß zwischen ihm und seinem Bruder kein Gesellschaftsvertrag abgeschlossen und das Unternehmen auch nicht als Gesellschaft, sondern von dem Bruder als Einzelkaufmann betrieben worden sei. Den Antrag auf Rücknahme des Haftungsbescheids hat das FA am 5. Februar 1979 abgelehnt.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit dem nämlichen Begehren erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der die Rücknahme des Haftungsbescheids in Form der Einspruchsentscheidung ablehnende Bescheid des FA sei formell und materiell rechtmäßig. Insbesondere habe das FA sein Ermessen bei Versagung einer Rücknahme des Haftungsbescheids nach § 130 AO 1977 in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Der Haftungsbescheid sei formell rechtmäßig erlassen worden, da er erkennen lasse, daß das FA das ihm bei der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner eingeräumte Ermessen ausgeübt habe. Die Inanspruchnahme sei bei der gegebenen Sachlage, auch inhaltlich - materiellrechtlich - in Ordnung gewesen (§ 113 AO). Der Kläger und sein Bruder seien nach außen - auch gegenüber dem FA -, soweit es z. B. um die Einholung steuerlicher Unbedenklichkeitsbescheinigungen gegangen sei, jahrelang als Gesellschaft aufgetreten. Aber nicht nur nach außen, sondern auch im Innenverhältnis habe sich der Kläger wie ein Gesellschafter verhalten: Wer ohne Abführung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen (und ohne Führung eines Lohnkontos) laufend Entnahmen tätige, sei im allgemeinen als Gesellschafter, nicht aber als Arbeitnehmer anzusehen. Der Umstand, daß die von dem Unternehmer erwirtschafteten Verluste vom FA dem Bruder zugerechnet worden seien, ändere hieran nichts. Eine Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides ergebe sich auch nicht aus der Einlassung des Klägers, er sei bereits im Oktober 1975 aus dem Unternehmen ausgeschieden. Abgesehen davon, daß der Kläger zufolge eines Schreibens vom 11. November 1975 sein Arbeitsverhältnis und seine Mitinhaberschaft erst zum 1. Dezember 1975 gekündigt habe, wäre das Gesellschaftsverhältnis auch bei einem vorzeitigen Ausscheiden des Klägers nicht erloschen gewesen. Vielmehr hätte das Ausscheiden oder die Kündigung zur Folge gehabt, daß an die Stelle der werbenden Gesellschaft eine Liquidationsgesellschaft getreten wäre, an welcher der Kläger bis zur Beendigung derselben beteiligt gewesen wäre (§ 730 Abs. 2 BGB bzw. § 146 Abs. 1 HGB).

Mit der Revision beantragt der Kläger, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und des Ablehnungsbescheids des FA in Form der Einspruchsentscheidung das FA zu verpflichten, den Haftungsbescheid vom 17. März 1975 zurückzunehmen, hilfsweise, die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Kläger rügt wesentliche Verfahrensmängel und unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Ein wesentlicher, die Verletzung des rechtlichen Gehörs beinhaltender Verfahrensmangel liege darin, daß das FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils von der Vornahme einer Einlage seitens des Klägers im Jahr 1975 ausgegangen sei, welcher Umstand im finanzgerichtlichen Verfahren weder erörtert noch unstreitig gestellt gewesen sei. Ein weiterer Verfahrensverstoß bestehe in der mangelhaften Sachaufklärung des FG in bezug auf den von ihm angenommenen konkludenten Abschluß eines Gesellschaftsvertrages zwischen den beiden Brüdern.

In sachlicher Hinsicht beanstandet der Kläger, das FG habe bei Überprüfung der Ermessenserwägungen des FA verkannt, daß die Ablehnung der Rücknahme auf § 130 AO 1977, nicht aber § 131 AO 1977 gestützt worden sei. Unabhängig davon sei das Verwaltungsermessen fehlerhaft ausgeübt worden oder jedenfalls nicht hinreichend kenntlich gemacht. Ein rechtswidriger Bescheid sei in aller Regel aufzuheben, wenn sein Fortbestand dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit widerspreche. Dies sei dann der Fall, wenn der rechtswidrige Verwaltungsakt ungerechtfertigte Folgen für den Betroffenen habe. So liege es hier. Denn die Haftung könne sich nur aus den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ergeben (§§ 427, 431 BGB), und diese seien hier wegen Fehlens eines Gesellschaftsverhältnisses nicht anwendbar. Es habe zwischen den beiden Brüdern in vielfacher Hinsicht bezüglich des Unternehmens keine Einigung bestanden, so daß vom stillschweigenden Abschluß eines Gesellschaftsvertrags keine Rede sein könne. Auch die Grundsätze über die sog. Scheingesellschaft bzw. den sog. Scheingesellschafter kämen nicht zum Zuge, da das FA verpflichtet gewesen wäre, den für die Besteuerung maßgebenden Sachverhalt seinerseits zu erforschen, was es nicht getan habe. Im übrigen seien diese Grundsätze auf Steuerschulden nicht anwendbar (Hinweis auf Baumbach/ Duden, Handelsgesetzbuch, 24. Aufl., § 128 Anm. 1C). Habe aber kein Gesellschaftsverhältnis bestanden und seien die Grundsätze über die Scheingesellschaft ohnehin nicht anwendbar, so ergebe sich hieraus die Unrechtmäßigkeit der Haftbarmachung und damit die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheids. Dieser hätte entgegen dem finanzgerichtlichen Urteil in Anwendung von § 130 AO 1977 zurückgenommen werden müssen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Die in bezug auf die geltend gemachten Verfahrensmängel erhobenen Rügen sind im Ergebnis nicht begründet. Die Frage der vom Kläger im Jahre 1975 erbrachten Einlage in das Unternehmen hat das FG nur ganz am Rande und ohne jede Akzentuierung - allenfalls beiläufig - angesprochen. Die Gesellschaftereigenschaft des Klägers hat das FG erkennbar aus anderen und wesentlich gewichtigeren Gesichtspunkten abgeleitet. Selbst wenn es zutreffen sollte, daß diese Frage bis zum Erlaß des finanzgerichtlichen Urteils zwischen den Beteiligten unerörtert geblieben war, so käme eine Zurückverweisung der Sache gleichwohl nicht in Betracht, weil es auf diese Frage für die Entscheidung des Streitfalles - wie noch darzulegen ist - unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommen kann, so daß die Zurückverweisung auf eine reine Förmelei hinauslaufen würde (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, Anm. 6 F zu § 119).

In der Sache selbst gilt folgendes: Nach § 130 AO 1977, auf welche Vorschrift das FA die Ablehnung der Rücknahme erkennbar gestützt hat, kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Rücknahme eines solchen bestandskräftigen, jedoch rechtswidrigen Verwaltungsaktes stellt § 130 Abs. 1 AO 1977 in das Ermessen (,,kann") der nach § 130 Abs. 4 AO 1977 zuständigen Finanzbehörde, so daß nicht in allen Fällen gegebener Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakt zurückgenommen werden muß. Im vorliegenden Fall steht nicht einmal fest, daß der gegen den Kläger ergangene Haftungsbescheid rechtswidrig ist. Denn ein Verwaltungsakt ist dann rechtswidrig, wenn geltendes Recht unrichtig angewendet oder bei der Entscheidung von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist (vgl. Forster in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., Tz. 9 zu § 130). So liegt der Fall hier nicht. Nach § 113 AO, auf welche Vorschrift der Haftungsbescheid gestützt ist (vgl. auch Art. 97 § 11 EGAO 1977) gelten, wo Gesellschaften, Vereine oder Gemeinschaften als solche der Besteuerung unterliegen, für die persönliche Haftung der einzelnen Mitglieder sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Einschlägig sind insoweit die §§ 421, 427 BGB (vgl. auch das zur AO 1977 ergangene Urteil des BFH vom 28. Oktober 1985 VII R 187/82, BFHE 145, 13), wonach die Gesellschafter einer GbR für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen haben. Zu diesen gehören auch die Steuerschulden der Gesellschaft. Mit dem Einwand, das mit dem Bruder betriebene Unternehmen sei nicht in der Rechtsform einer GbR geführt worden, kann der Kläger nicht durchdringen. Wie der BFH in dem Grundsatzurteil vom 20. Januar 1977 V R 153/72 (BFHE 121, 275), BStBl II 1977, 364) entschieden hat, muß sich derjenige, der sich dem FA gegenüber als Gesellschafter einer Personengesellschaft geriert, nach dem Maß des von ihm erweckten Rechtsscheins als Gesellschafter behandeln lassen. Die bei Baumbach/Duden (a. a. O., 24. Aufl., unter Anm. 1C zu § 128) vertretene Auffassung ist in diesem Punkt durch die Rechtsentwicklung überholt. Ein Rechtsschein in bezug auf ein Gesellschaftsverhältnis ist hier seitens des Klägers gegenüber dem FA in den Jahren 1973 bis 1975 schon mit der Abgabe der Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns erweckt worden, zumal die daraufhin jeweils an die Adresse der GbR ergangenen Steuerbescheide vom Kläger unbeanstandet akzeptiert worden sind. Das FG hat darüber hinaus ohne Verfahrensverstoß und damit revisionsrechtlich verbindlich festgestellt, der Kläger und sein Bruder seien auch bei der Einholung von steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen als Gesellschafter aufgetreten. Es liegt also in mehrfacher Hinsicht - wenn nicht sogar durchgängig - ein Verhalten des Klägers vor, demzufolge beim FA der Rechtsschein des Vorliegens eines Gesellschaftsverhältnisses erweckt wurde. Dabei kommt es, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, nicht darauf an, welchem der beiden Brüder letztlich die Verluste des Unternehmens steuerlich zugerechnet wurden. Eine Verpflichtung des FA zur Rücknahme des Haftungsbescheids besteht deshalb nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414434

BFH/NV 1986, 646

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