Leitsatz (amtlich)

Wer sich dem FA gegenüber als Gesellschafter einer Personengesellschaft geriert, muß sich auch bei Nichtbestehen der Gesellschaft nach dem Maß des von ihm erweckten Rechtsscheins als Gesellschafter behandeln lassen. Dies gilt auch hinsichtlich der Haftung nach § 113 AO.

 

Normenkette

AO a.F. § 113

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat den Kläger und Revisionskläger (Kläger) mit Haftungsbescheid von 1968 gemäß § 113 AO wegen rückständiger Umsatzsteuer 1963 bis 1967 als Gesellschafter der Firma S., Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR), in Anspruch genommen. Die GdbR war für die Veranlagungszeiträume 1963 mit 1965 durch Bescheide vom ... und für die Veranlagungszeiträume 1966 und 1967 durch vorläufige Bescheide veranlagt worden. Sie hat diese Verwaltungsakte nicht angefochten. Der Kläger wendet sich gegen den Haftungsbescheid mit der Begründung, die Firma S. sei nicht als Gesellschaft, sondern als Einzelfirma betrieben worden, bei der er als Arbeitnehmer angestellt gewesen sei.

Zu der gegenteiligen Annahme war das FA aufgrund der folgenden, vom FG festgestellten Vorgänge gelangt: Mit Schreiben hatte der damalige Steuerberater der Firma S. dem FA mitgeteilt:

"Die Firma S. stellt seit ihrer Gründung eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts dar. Sie wurde bisher bei Ihnen unter der St.Nr.... auf den Namen A. S. steuerlich geführt. Die Brüder A. und B. S. sind zu gleichen Teilen an dem Aufbau des Geschäfts beteiligt.

Ich bitte Sie deshalb, das Geschäft als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts anzusehen und dem Betrieb sowie den Beteiligten ab 1.1.1961 eine neue Steuernummer zu erteilen.

Die Brüder haben gleiche Kapitalanteile, der Gewinn wird nach einer Kapitalverzinsung von 4 v. H. zu gleichen Teilen verteilt. Es ist beabsichtigt, im Laufe dieses Jahres die Gesellschaft als offene Handelsgesellschaft in das Handelsregister eintragen zu lassen."

In Übereinstimmung mit dieser Darstellung gab der Kläger in der Folgezeit die Steuererklärungen zur Umsatzsteuer für 1962 bis 1965 unter der Firma "Gebr. S." ab. In seinen Einkommensteuererklärungen bezeichnete sich der Kläger als Mitunternehmer der Firma "Gebr. S." und erklärte seine Vergütungen unter "Einkünfte aus Gewerbebetrieb". In den für "Gebr. S." aufgestellten Bilanzen wurden für die beiden Brüder A. und B. S. getrennte Kapitalkonten geführt. Dementsprechend wurde im Betriebsprüfungsbericht die Firma für die Jahre 1963 bis 1965 als GdbR behandelt und wurden die von der Gesellschaft erzielten Verluste den beiden Gesellschaftern anteilig zugerechnet. Gegen diese Sachbehandlung erhob der Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsfürhrer des Unternehmens keine Einwendungen. Für die Jahre 1966 und 1967 wies der Betriebsprüfer jedoch zutreffend darauf hin, daß das Unternehmen im Juli 1966 unter dem Namen des Bruders des Klägers, A. S., als Einzelfirma in das Handelsregister eingetragen worden sei. Diese Tatsache hat auch der Kläger dem FA mit Schreiben mitgeteilt. Auch bei einer Beförderungsteuerprüfung in 1967 (für die Jahre 1962 bis 1967) behandelte der Prüfer das Unternehmen als Einzelfirma, wobei er auf die Eintragung im Handelsregister Bezug nahm.

Die gegen den Haftungsbescheid nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Es hat zur Begründung seines Urteils im wesentlichen ausgeführt: Nach dem Stand der Ermittlungen sei nicht mit Sicherheit festzustellen, ob das Unternehmen in den Jahren 1962 bis 1967 als Gesellschaft oder als Einzelfirma geführt worden sei. Die Frage könne aber auf sich beruhen, weil der Kläger auch bei Nichtvorliegen eines Gesellschaftsverhältnisses für die Steuerrückstände hafte. Er sei nämlich in dem betroffenen Zeitraum ohne Unterbrechung dem FA gegenüber als Gesellschafter aufgetreten und sei vom FA auch entsprechend behandelt worden. Er habe dadurch insbesondere bei der Einkommensteuer, bei der die von ihm bezogenen Vergütungen als Privatentnahmen und nicht als Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit beurteilt worden seien, erhebliche Steuerersparnisse - nämlich etwa 13 000 DM (Einkommensteuer und Kirchensteuer) - erzielt. Der Kläger müsse sich an seiner fortlaufend bekundeten Eigenschaft als Gesellschafter der Firma S. nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hinsichtlich der Haftung für die Steuerrückstände festhalten lassen. Er könne nicht in Widerspruch zu seiner über Jahre bekundeten Verhaltensweise verlangen, nunmehr als Arbeitnehmer behandelt zu werden. Der Haftungsbescheid sei daher zu Recht ergangen.

Mit der Revision rügt der Kläger unzutreffende Aufklärung des Sachverhalts und - sinngemäß- unrichtige Anwendung des § 113 AO. Er führt im einzelnen aus:

Unzureichend aufgeklärt habe die Vorinstanz den Sachverhalt insofern, als sie es unterlassen habe, den sämtlichen Argumenten des Klägers hinsichtlich des Vorliegens einer Einzelfirma nachzugehen. Dies gelte insbesondere für die Hinweise auf die Eintragung des Unternehmens als Einzelfirma im Handelsregister sowie auf die Behandlung des Unternehmens bei der Beförderungsteuer, für die - wie der Bericht über die Beförderungsteuerprüfung ergebe - nur sein Bruder A. S. vom FA als Steuerschuldner herangezogen worden sei. Er - der Kläger - habe in der Vorinstanz ferner darauf hingewiesen, daß als Inhaber der Geschäftskonten (von den Banken und beim Postscheckamt) ausschließlich der Bruder geführt worden sei und daß auf den Geschäftsvordrucken und Werbeschriften gleichfalls nur der Bruder als Inhaber bezeichnet gewesen sei. Soweit er - der Kläger - die Steuererklärungen der Firma unterschrieben habe, habe er dies im Namen seines Bruders getan. Diesen Gesichtspunkten habe das FG bei Feststellung des Sachverhalts nicht ausreichend Rechnung getragen.

Die Heranziehung als Haftungsschuldner gemäß § 113 AO sei auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht zu rechtfertigen. Denn das FA habe sich selbst wechselhaft verhalten, indem es die Firma bei der Beförderungsteuer als Einzelfirma, bei den Ertrags- und der Umsatzsteuer dagegen als Gesellschaft behandelt habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Haftungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat zum Teil Erfolg.

1. Haftung für Umsatzsteuerrückstände 1963 mit 1965.

Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt: Der Kläger habe seit dem Jahre 1962 fortlaufend in den Umsatzsteuererklärungen und den Einkommensteuererklärungen das Vorliegen einer Gesellschaft angegeben sowie sich selbst als Mitunternehmer und seine Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb bezeichnet. In den für die Gebr. S. erstellten Bilanzen seien getrennte Kapitalkonten für den Kläger und seinen Bruder geführt worden und das Unternehmen sei - hiermit übereinstimmend - bei der Betriebsprüfung für die Jahre 1963 bis 1965 als Gesellschaft und der Kläger als Mitunternehmer behandelt worden. Gegen diese Sachbehandlung habe der Kläger in keinem Zeitpunkt Einwendungen erhoben; auch habe er durch die Besteuerung als Gesellschafter - wegen der von dieser durchwegs ausgewiesenen Verluste - erhebliche Esparnisse bei der Einkommensteuer und der Kirchensteuer erzielt. Diese Feststellungen tragen die Entscheidung der Vorinstanz.

Die den Sachverhalt betreffenden Rügen des Klägers sind unzulässige Angriffe auf die Beweiswürdigung der Vorinstanz, denen das gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die Feststellungen des FG gebundene Revisionsgericht nicht nachgehen kann. Im übrigen ist das FG - entsprechend den nachstehenden Darlegungen zutreffend - davon ausgegangen, daß die hier strittige Frage der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids aus ganz anderen als den von den Rügen zum Sachverhalt erfaßten Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Das angefochtene Urteil kann deshalb auf dem Mangel einer Feststellung über die Person des Unternehmers nicht beruhen.

Das FG hat nämlich aus dem festgestellten Verhalten des Klägers gegenüber dem FA - soweit die Jahre 1963 mit 1965 in Betracht kommen rechtlich bedenkenfrei - den Schluß gezogen, der Kläger habe mit Wissen und Willen vor dem FG zutreffend vorgetragen oder jedenfalls den Anschein erweckt, daß die Firma S. eine aus ihm selbst und seinem Bruder bestehende GdbR sei. Es hat außerdem für die Zeit bis zum Erlaß der an die GdbR gerichteten Steuerbescheide für 1963 mit 1965 in revisionsrechtlich einwandfreier Weise festgestellt, das FA habe keine Umstände gekannt, die das Bestehen einer Einzelfirma auch nur hätten vermuten lassen. Nach den aufgezeigten Verhältnissen hat das FG schließlich mit Recht entschieden, daß das FA - wenn die vom Kläger bezeichnete GdbR nicht wirklich bestand - unter den festgestellten Umständen jedenfalls auf den erweckten Rechtsschein vertrauen durfte.

Im bürgerlichen Recht und im Handelsrecht ist anerkannt, daß derjenige, der sich nach außenhin als Gesellschafter geriert, sich nach dem Maß des von ihm zurechenbar erweckten Rechtsscheins von einem Dritten, der hierauf vertrauen durfte, auch als Gesellschafter behandeln lassen muß (vgl. Brüggemann in Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, Anm. 4, Anhang zu § 5; Schlegelberger, Handelsgesetzbuch, Anm. 11 zu § 5 mit jeweils weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum). Dieser aus dem Prinzip von Treu und Glauben gewonnene Grundsatz gilt auch, wie der BFH - wenn auch in anderem Zusammenhang - wiederholt entschieden hat, für das Rechtsverhältnis zwischen dem Steuergläubiger und dem Steuerschuldner oder den Personen, die für den Steuerschuldner haften (vgl. Urteile vom 28. Mai 1968 IV R 109/67, BFHE 92, 486, BStBl II 1968, 648, und vom 12. April 1967 VI R 240/66, BFHE 88, 417, BStBl III 1967, 420). Da die Bescheide des FA (Umsatzsteuerbescheide an die GdbR) auf dem vom Kläger erzeugten und allein zu vertretenden Rechtsschein beruhen, muß sich der Kläger nach diesem Grundsatz so behandeln lassen, als ob die Gesellschaft bestanden hätte, die dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steuern in ihrer Person entstanden wären und der Kläger Mitgesellschafter gewesen wäre. Der Kläger muß deshalb hinnehmen, daß er nach § 113 AO zur Haftung herangezogen wird. Nach dieser Vorschrift gelten für die persönliche Haftung der einzelnen Gesellschafter einer Gesellschaft, die als solche der Besteuerung unterliegt, sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Diese Regelung führt, da nach bürgerlichem Recht die Gesellschafter für die Geschäftsschulden gegenüber Dritten mit dem eigenen Vermögen als Gesamtschuldner zu haften haben, zur Anwendung des § 421 BGB, wonach der Gläubiger die gesamte Leistung von jedem der Schuldner fordern kann.

Der Haftungsbescheid ist deshalb rechtmäßig, soweit er die Umsatzsteuerrückstände für die Jahre 1963 mit 1965 betrifft.

2. Haftung für Steuerrückstände 1966 und 1967.

Das angefochtene Urteil ist jedoch insoweit rechtsfehlerhaft, als die Klageabweisung auch das diese Steuer betreffende Begehren umfaßt.

Das FG hat nämlich zu Unrecht entschieden, daß nach den von ihm festgestellten Umständen das FA auch noch bei der Veranlagung der Firma S. für die Veranlagungszeiträume 1966 und 1967 darauf vertrauen durfte, daß der Steuerpflichtige eine GdbR ist und der Kläger als Gesellschafter für die Steuerschulden persönlich haftet. Denn für diese Veranlagungszeiträume wurden für das Unternehmen S. keine Steuererklärungen mehr abgegeben, es wurden keine Bilanzen erstellt, es fand auch keine Betriebsprüfung statt. Dem FA sind sogar geraume Zeit vor dem Erlaß der Steuerbescheide mehrere Mitteilungen zugegangen, aus denen es erkennen konnte, daß das Unternehmen seit 1966 von A. S. als Einzelkaufmann betrieben wurde. Es fehlt daher hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1966 und 1967 an einem Vertrauenstatbestand, der als Grundlage für die vom FG angenommene Verpflichtung zur Steuerhaftung erforderlich wäre.

3. Die Sache ist spruchreif. Aus den vorstehenden Erwägungen ist die Haftung des Klägers auf die Steuerrückstände aus den Jahren 1963 mit 1965 zu beschränken und deshalb der Haftungsbescheid durch Verminderung um die für 1966 und für 1967 festgesetzten Beträge zu ermäßigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72259

BStBl II 1977, 364

BFHE 1977, 275

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