A. Bedeutung der Vorschrift

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Umdeutung von Verwaltungsakten hat im Steuerrecht nur geringe praktische Bedeutung. Steuerverwaltungsakte sind in der Regel nach Art, Inhalt, Form und Verfahren in eindeutiger Weise gesetzlich vorgeschrieben, sodass allenfalls auf dem Gebiet der Ermessensentscheidungen eine Umdeutung i. S. des § 128 Abs. 1 AO infrage kommt (s. Rz. 3). § 128 AO übernimmt die durch Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze des § 47 VwVfG. Er ist neben § 126 AO und § 127 AO die dritte Vorschrift, wonach fehlerhafte Bescheide nicht zurückgenommen oder in einem Rechtsbehelfsverfahren aufgehoben (oder geändert) zu werden brauchen, wenn dies aus Gründen der Verfahrensökonomie zweckmäßig ist.

B. Begriff der Umdeutung

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Unter Umdeutung eines Verwaltungsakts versteht man den Austausch des Regelungsinhalts eines Verwaltungsakts unter Beibehaltung seiner Zielsetzung gegen einen anderen Regelungsinhalt. Von der reinen Auslegung eines Verwaltungsakts (s. § 119 AO Rz. 4) unterscheidet sich die Umdeutung dadurch, dass diese nicht nur die wirkliche Bedeutung seines Erklärungsgehalts zu ermitteln sucht, sondern in unterstellter Übereinstimmung mit seiner Willensrichtung die Erklärung ergänzt bzw. abändert. Jedoch ist wie bei der Auslegung von Willenserklärungen eine Umdeutung, die den Willen der Finanzbehörde verfälscht bzw. ihm zuwiderläuft, unzulässig (s. BFH v. 19.10.1976, VII R 63/73, BStBl II 1977, 255). Diesen Grundsätzen trägt § 128 AO sowohl in Abs. 1 als auch in § 128 Abs. 2 Satz 1 AO erste Alternative Rechnung. Die Ersetzung einer falschen Begründung durch eine richtige ist keine Umdeutung und kann danach unabhängig von § 128 AO jederzeit erfolgen, bei Ermessensentscheidungen jedoch nur bis zum Erlass der Rechtsbehelfsentscheidung (s. § 5 AO Rz. 15 und s. § 102 FGO Rz. 4; Ratschow in Klein, § 128 AO Rz. 1).

C. Voraussetzung der Umdeutung (§ 128 Abs. 1 AO)

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Voraussetzung für eine Umdeutung nach § 128 AO ist, dass der andere Verwaltungsakt auf das gleiche Regelungsziel wie der ursprüngliche Verwaltungsakt gerichtet ist. Danach darf kein anderer Sachverhalt dem anderen Verwaltungsakt zugrunde gelegt werden, also keine andere Person oder kein anderer Veranlagungszeitraum als im umzudeutenden Verwaltungsakt (von Wedelstädt in Gosch, § 128 AO Rz. 6 f.; Seer in Tipke/Kruse, § 128 AO Rz. 3 f.). Ein Haftungsbescheid kann nicht in einen Steuerbescheid umgedeutet werden (BFH v. 06.09.1989, II R 61/86, BFH/NV 1990, 594 und für den umgekehrten Fall BFH v. 18.07.1991, V R 72/87, BStBl II 1991, 781). Eine Umdeutung der Zustellung in eine schlichte Bekanntgabe nach § 122 Abs. 2 AO lässt § 128 AO ebenso nicht zu, da die förmliche Zustellung nach dem VwZG und die Bekanntgabe nach § 122 AO artverschieden sind (BFH v. 25.01.1994, VIII R 45/92, BStBl II 1994, 603, 605). Zulässige Beispiele für eine Umdeutung sind: Umdeutung einer Aussetzung der Vollziehung in eine Stundungsverfügung (BFH v. 24.04.1985, II B 53/84, BFH/NV 1986, 11), Umdeutung eines Wertfortschreibungs- in einen Nachfeststellungsbescheid (BFH v. 19.07.2012, II R 5/10, BFH/NV 2012, 1942) oder Umdeutung eines Erstbescheids, der in der unzutreffenden Annahme der Nichtigkeit eines vorangegangenen Bescheids ergeht, in einen Änderungsbescheid (BFH v. 22.08.2007, II R 44/05, BStBl II 2009, 754). Zum umgekehrten Fall der Umdeutung eines Änderungs- in einen Erstbescheid s. BFH v. 18.07.1985, VI R 100/83, BFH/NV 1987, 431. Ein weiteres Beispiel ist die Umdeutung der Zurückweisung eines Bevollmächtigten in die Zurückweisung eines Beistands (BFH v. 19.10.2016, II R 44/12, BStBl II 2017, 797).

Der umgedeutete Verwaltungsakt muss sowohl in den sachlichen und örtlichen Zuständigkeitsbereich der erlassenden Finanzbehörde fallen als auch in der Verfahrensweise und Form, in der der fehlerhafte Verwaltungsakt ergangen ist, erlassen werden können. Damit verbietet sich z. B. die Umdeutung eines mündlichen Verwaltungsakts in einen Verwaltungsakt, für den schriftliche Erteilung zwingend vorgeschrieben ist. Dagegen ist die Umdeutung eines wegen Form- oder Verfahrensverstoßes fehlerhaften Verwaltungsakts in einen anderen Verwaltungsakt, für den wegen weniger strenger Form- und Verfahrensvorschriften die gewählte Form bzw. das bisherige Verfahren keinen Verstoß darstellt, nicht ausgeschlossen.

Schließlich müssen alle Voraussetzungen für den Erlass des anderen Verwaltungsakts erfüllt sein. Diese an und für sich selbstverständliche Voraussetzung verhindert die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsakts in einen anderen Verwaltungsakt, der mit einem anderen Fehler behaftet ist. Außerdem kann die Umdeutung nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgen (Seer in Tipke/Kruse, § 128 AO Rz. 9).

 

Tz. 4

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Nur fehlerhafte Verwaltungsakte sind einer Umdeutung zugänglich. Insoweit ist die Zielsetzung der Verfahrensökonomie von Bedeutung. Entsprechend dem im bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz, dass eine Umdeutung nur dann in Frage kommt, wenn eine ...

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