Entscheidungsstichwort (Thema)

(Nutznießer der Steuerhinterziehung als Schuldner der Hinterziehungszinsen - keine Umdeutung eines Zinsbescheides in einen Haftungsbescheid)

 

Leitsatz (amtlich)

Der Geschäftsführer einer GmbH, der Steuern zum Vorteil der GmbH hinterzieht, ist nicht Schuldner der Hinterziehungszinsen.

 

Orientierungssatz

Der Geschäftsführer einer GmbH, der zu deren Vorteil Steuerhinterziehung begeht, haftet für die Hinterziehungszinsen. Ein --rechtswidrig-- gegen den Geschäftsführer erlassener Zinsbescheid kann nicht in einen Haftungsbescheid umgedeutet werden, weil der Erlaß eines Haftungsbescheids eine Ermessensentscheidung voraussetzt.

 

Normenkette

AO 1977 § 235 Abs. 1, §§ 71, 128 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 27.05.1987; Aktenzeichen III 300/84 AO)

 

Tatbestand

I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte gegen die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) Hinterziehungszinsen mit der Begründung fest, sie habe als tatsächliche Geschäftsführerin einer GmbH Umsatzsteuer 1978 und 1979 hinterzogen. Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchverfahren erhobenen Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 487 abgedruckten Urteil statt. Es führte aus, Zinsschuldnerin sei nicht die Klägerin, sondern die GmbH. Unerheblich sei, daß die Klägerin aus der Steuerhinterziehung wirtschaftliche Vorteile gezogen habe.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 235 Abs.1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO 1977). Es macht geltend, die Klägerin schulde die Hinterziehungszinsen.

Das FA beantragt, die Entscheidung der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die Klägerin schuldet die Hinterziehungszinsen (§ 235 Abs.1 Satz 1 AO 1977) weder nach Satz 2 noch nach Satz 3 des § 235 Abs.1 AO 1977.

a) Nach § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 ist Zinsschuldner derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Die Vorschrift will den steuerlichen Vorteil des Steuerschuldners abschöpfen. Dieser Vorteil liegt in der verspäteten Zahlung der geschuldeten Steuer. Er erwächst dem Nutznießer der Steuerhinterziehung, also z.B. einer GmbH, zu deren Vorteil Steuern hinterzogen worden sind, nicht deren Geschäftsführer. Die Inanspruchnahme der GmbH als Zinsschuldnerin steht nicht im Ermessen des FA (vgl. näher Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19.April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596).

b) Die Klägerin schuldet die Hinterziehungszinsen ebenfalls nicht gemäß § 235 Abs.1 Satz 3 AO 1977, etwa neben der GmbH.

Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, daß steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs.3 AO 1977) allgemein nur gegen den Steuerschuldner festgesetzt werden dürften. So können etwa Verspätungszuschläge (§ 152 AO 1977) nicht lediglich gegen Kapitalgesellschaften, sondern auch --im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung-- gegen deren gesetzliche Vertreter festgesetzt werden (BFH-Urteile vom 27.Juni 1989 VIII R 73/84, BFHE 158, 103, BStBl II 1989, 955; vom 12.Dezember 1990 I R 92/88, BFHE 163, 299, BStBl II 1991, 384).

§ 235 Abs.1 Satz 3 AO 1977 rechtfertigt aber nicht die Inanspruchnahme des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft als Schuldner von Hinterziehungszinsen zu Steuern, die er zum Vorteil der Kapitalgesellschaft hinterzogen hat. Die Vorschrift regelt in Ergänzung des § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 nur Fälle, in denen der Steuerschuldner nicht Zinsschuldner ist, weil die Steuern nicht zu seinem Vorteil hinterzogen worden sind. Im Vordergrund steht dabei die 1. Alternative der Vorschrift, bei der die Steuerhinterziehung dadurch begangen wird, daß ein anderer als der Steuerschuldner seine Verpflichtung, einbehaltene Steuern an die Finanzbehörde abzuführen, nicht erfüllt, etwa bei der Lohnsteuer, der Kapitalertragsteuer und der einbehaltenen Umsatzsteuer gemäß §§ 51 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1980.

Diese Fallgruppe wird ergänzt durch die 2. Alternative des § 235 Abs.1 Satz 3 AO 1977, die die Nichtentrichtung von Steuern zu Lasten eines anderen betrifft. Letztere Regelung bezieht sich auf die Fälle, in denen ein Dritter die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat (§ 43 Satz 2 AO 1977). Dies ist z.B. bei der Versicherungsteuer der Fall, die zwar vom Versicherungsnehmer geschuldet wird, aber vom Versicherer für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten ist (§ 7 Abs.1 Sätze 1 und 3 des Versicherungsteuergesetzes). Hat der Versicherungsnehmer die Versicherungsteuer mit dem Versicherungsbeitrag an den Versicherer entrichtet und hinterzieht der Versicherer die Steuer, ist der Versicherungsnehmer nicht Zinsschuldner nach § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977, weil die Steuer nicht zu seinem Vorteil hinterzogen wurde. Für solche Fälle bedarf daher § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 ebenso einer Ergänzung wie für die Abzugssteuern. Hierin erschöpft sich der Gesetzeszweck des § 235 Abs.1 Satz 3 AO 1977.

Die Kapitalgesellschaft ist im Verhältnis zu ihren gesetzlichen Vertretern kein "anderer" i.S. des § 235 Abs.1 Satz 3, 2. Alternative AO 1977. Sie ist als juristische Person nicht selbst handlungsfähig und handelt durch ihre gesetzlichen Vertreter (§ 79 Abs.1 Nr.3 AO 1977).

2. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob der angefochtene Bescheid etwa als Haftungsbescheid rechtmäßig ist.

Geschäftsführer einer GmbH, die zu deren Vorteil Steuerhinterziehung begehen, haften für die Hinterziehungszinsen nach §§ 71, 235 AO 1977. Ob der Klägerin Steuerhinterziehung zur Last fällt, bedarf indes im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Der Zinsbescheid kann nicht in einen Haftungsbescheid umgedeutet werden (§ 128 Abs.3 AO 1977). Der Erlaß eines Haftungsbescheids gegen die Klägerin setzt im Unterschied zum Erlaß eines Bescheides über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen eine Ermessensentscheidung voraus, wenngleich die Ausübung des Ermessens im Streitfall eingeschränkt sein könnte (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 11.Mai 1982 VII R 97/81, BFHE 136, 182, BStBl II 1982, 689, und vom 6.September 1989 II R 61/86, BFH/NV 1990, 594).

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 61

BStBl II 1991, 781

BFHE 164, 506

BFHE 1992, 506

BB 1991, 1852

BB 1991, 1852-1853 (LT)

DB 1991, 2120 (LT)

DStR 1991, 1248 (KT)

DStZ 1991, 667 (KT)

HFR 1991, 635 (LT)

StE 1991, 323 (K)

WPg 1991, 747 (S)

StRK, R.6 (LT)

NJW 1992, 1472

NJW 1992, 1472 (LT)

GmbH-Rdsch 1991, 478 (LT)

UStR 1991, 301 (KT)

ZfZ 1992, 19 (LT)

EWiR 1991, 1049 (S)

ZIP 1992, 37

ZIP 1992, 37-38 (LT)

ZKF 1992, 183-184 (LT)

wistra 1991, 349-350 (LT)

GmbHR 1991, 478

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