Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 351 Abs. 1 AO setzt voraus, dass der Einspruchsführer einen Verwaltungsakt, der einen anderen Verwaltungsakt ändert, anfechten will. Dabei greift die einschränkende Regelung nur ein, wenn der ursprüngliche Bescheid nicht mehr angegriffen werden kann. Der Erstbescheid muss unanfechtbar sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Einspruchsfrist abgelaufen ist (§ 355 AO), auf den Einspruch verzichtet worden ist (§ 354 AO), der Einspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist zurückgenommen wurde (§ 362 AO) oder über einen Einspruch unanfechtbar entschieden worden ist.

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Wird der Änderungsbescheid erlassen, bevor der Erstbescheid unanfechtbar ist, soll § 351 AO nach überwiegender Auffassung nicht gelten. Der Änderungsbescheid sei unbeschränkt anfechtbar (so: BFH v. 10.07.1980, IV R 11/78, BStBl II 1981, 5; Seer in Tipke/Kruse, § 351 AO Rz. 11; Keß in Schwarz/Pahlke, § 351 AO Rz. 10; a. A. Siegers in HHSp, § 351 AO Rz. 56). Dies gelte auch dann, wenn der Einspruch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist für den Erstbescheid eingelegt wird (FG Mchn v. 16.04.2010, 13 K 2939/08, EFG 2010, 1574). Maßgeblich sei allein der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Änderungsbescheides. Diese Auffassung lässt jedoch unberücksichtigt, dass schon der Ursprungsbescheid einen eigenen Regelungsgehalt hat und eine eigene Rechtsbehelfsfrist. Insbesondere ist die Finanzbehörde an ihren Ursprungsbescheid ab dessen Bekanntgabe gebunden und kann auch einen Änderungsbescheid innerhalb der Rechtsbehelfsfrist des Ursprungsbescheides nur ändern, wenn Korrekturvorschriften eingreifen. Aus diesem Grunde muss auch in solchen Fallkonstellationen § 351 AO in vollem Umfang Geltung haben und ein Änderungsbescheid nur dann unbeschränkt anfechtbar, wenn der Einspruch vor Ablauf der Einspruchsfrist des Ursprungsbescheides eingelegt wird. Wird der Verwaltungsakt während des Rechtsbehelfsverfahrens geändert, greift § 365 Abs. 3 AO, wonach der Änderungsbescheid Gegenstand des Verfahrens wird. Der Einspruch ist unbeschränkt.

I. Geänderte Verwaltungsakte

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Geändert ist ein Verwaltungsakt dann, wenn er eine inhaltliche Änderung in Form eines Steuermehr- oder Steuerminderbetrages erfährt. Eine Änderung ist also zugunsten und zum Nachteil des Steuerpflichtigen möglich. Umstritten ist, ob Verwaltungsakte, die den §§ 130, 131 AO unterfallen, d. h. zurückgenommen oder widerrufen werden, "geänderte" Verwaltungsakte i. S. von § 351 Abs. 1 AO sind. Für den BFH wird in diesen Fällen eine Neuregelung getroffen, die den alten Regelungsinhalt ersetzt. Die Anfechtungseinschränkung nach § 351 AO gelte deshalb nicht (BFH v. 24.07.1984, VII R 122/80, BStBl II 1984, 791; Rätke in Klein, § 351 AO Rz. 3; Szymczak in K/S, § 351 AO Rz. 6; Siegers in HHSp, § 351 AO Rz. 32; AEAO zu § 351, Nr. 3; Keß in Schwarz/Pahlke, § 351 AO Rz. 12a). Andererseits wird argumentiert, dass der Wortlaut des § 351 AO alle änderbaren Verwaltungsakte erfasse. Der durch die Vorschrift zu lösende Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit durch Korrektur unrichtiger Regelungen, bestehe in gleicher Weise bei Änderungen aufgrund einer Änderungsvorschrift sowie bei Rücknahme oder Widerruf eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes, sodass § 351 AO auch hier Anwendung finden soll (Seer in Tipke/Kruse, § 351 AO Rz. 7).Praktische Bedeutung hat dieser Meinungsstreit für Haftungsbescheide, die nach §§ 130, 131 AO korrigiert werden müssen, für Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge und Abrechnungsbescheide. Betrachtet man aber gerade den Wortlaut des § 351 Abs. 1 AO in Gegenüberstellung zum § 240 Abs. 1 Satz 4 AO, so ist festzustellen, dass das Gesetz ausdrücklich unterscheidet, ob ein Verwaltungsakt – nach Korrekturvorschriften – geändert oder – nach den §§ 130, 131 AO – zurückgenommen oder widerrufen wird. Da in § 351 AO ausdrücklich nicht der Fall der Rücknahme oder des Widerrufs erwähnt ist, sondern nur der der Änderung, kann § 351 AO in diesen Fällen keine Anwendung finden.

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Von der Regelung des § 351 AO sind jedenfalls alle nach § 172ff. AO änderbaren Verwaltungsakte erfasst. Gleiches gilt für die Berichtigung nach § 129 AO, die auch dahingehend als reguläre Norm zur Änderung eines Verwaltungsaktes zu verstehen ist. Dieses sich von den §§ 130 und 131 AO unterscheidende Verständnis findet seine Grundlage in der besonderen Ausgrenzung der §§ 130, 131 AO durch § 172 Abs. 1 Nr. 2d) AO. Keine Anwendung findet § 351 AO ferner bei Änderungen von Steuerbescheiden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen oder vorläufig festgesetzt worden sind (§§ 164, 165 AO, BFH v. 16.01.2013, II R 66/11, BStBl II 2014, 266). Wiederholungsbescheide sind, da sie den Erstbescheid lediglich wiederholen, schon nicht anfechtbar und damit der Regelungsbereich des § 351 AO nicht eröffnet. § 351 Abs. 1 AO beschränkt bei der Änderung eines Antrags- oder Wahlrechts im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen einen Änderungsbescheid...

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