Tz. 94

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Grundlagenbescheide sind nach der Legaldefinition des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO Feststellungsbescheide, Steuermessbescheide oder andere Verwaltungsakte, die für die Festsetzung einer Steuer bindend sind. Obwohl der Wortlaut des § 171 Abs. 10 AO eine Bindungswirkung für die "Steuer" verlangt, findet die Norm auch auf ein zweistelliges Feststellungsverfahren Anwendung, mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Begriffs der "Festsetzung der Steuer" die "gesonderte Feststellung" tritt (BFH v. 09.08.2006, II R 24/05, BStBl II 2007, 87 m. w. N.).

 

Tz. 95

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Auch bei einem nach § 181 Abs. 5 AO ergehenden Grundlagenbescheid ist die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO anwendbar. § 171 Abs. 10 AO bleibt lediglich außer Betracht, wenn es im Rahmen der Prüfung der Anwendbarkeit des § 181 Abs. 5 AO um die Frage geht, ob für den Folgebescheid die Festsetzungsverjährung schon eingetreten ist (s. Rz. 105; BFH v. 09.08.2006, II R 24/05, BStBl II 2007, 87).

 

Tz. 96

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides besteht darin, dass sie als selbstständig anfechtbare und eigener Bestandskraft fähige Verwaltungsakte über bestimmte Besteuerungsgrundlagen Vorentscheidungen treffen. Deswegen sind sie gegenüber den Folgebescheiden inhaltlich vorrangig. Die Bindungswirkung muss gesetzlich angeordnet sein (BFH v. 11.04.2005, GrS 2/02, BStBl II 2005, 679). Sie erstreckt sich nur auf die im Tenor des Grundlagenbescheids getroffenen Feststellungen. Nicht von der Bindungswirkung erfasst sind hingegen die diesen Feststellungen zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen (BFH. v. 22.02.2006, I R 67/05, BStBl II 2008, 312; Cöster in Koenig, § 171 AO, Rz. 148). Erfasst werden unter anderem auch negative Feststellungsbescheide (BFH v. 24.05.2006, I R 93/05, BStBl II 2007, 76), Zerlegungsbescheide (§ 188 AO), Zuteilungsbescheide (§ 190 AO), der Verlustfeststellungsbescheid nach § 10d Abs. 4 EStG und nach § 10a GewStG (BFH v. 05.11.2015, III R 12/13, BStBl II 2016, 420), der Feststellungsbescheid über die Hinzurechenbarkeit eines ausländischen Betriebstättengewinns (BFH v. 09.06.1999, I R 40/98, BFH/NV 1999, 168), Feststellungsbescheide nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG für den Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwerts und für den GrESt-Bescheid (BFH v. 15.03.2017, II R 36/15, BStBl II 2017, 1215). Der Bescheid über die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) ist Grundlagenbescheid für die Steuerfestsetzung (BFH v. 21.07.2016, X R 11/14, BStBl II 2017, 22; s. § 163 AO Rz. 24).

Werden die Feststellungen in einem Grundlagenbescheid im Feststellungs-, Einspruchs- oder Klageverfahren geändert, entfaltet dies Bindungswirkung und löst die Anpassungspflicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und damit die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO aus (BFH v. 19.01.2005, X R 14/04, BStBl II 2005, 242 m. w. N.; ausführlich von Wedelstädt in Gosch, § 175 AO Rz. 13 f. m. w. N.). Die bloße Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ohne Änderung der festgestellten Besteuerungsgrundlagen ändert den Grundlagenbescheid inhaltlich und löst die Ablaufhemmung aus (AEAO zu § 171, Nr. 6.3). Dies ist nicht der Fall bei einem Grundlagenbescheid, der einen gleichartigen, dem Inhaltsadressaten wirksam bekannt gegebenen Grundlagenbescheid in seinem verbindlichen Regelungsgehalt nur wiederholt (BFH v. 13.12.2000, X R 42/96, BStBl II 2001, 471; BFH v. 19.01.2005, X R 14/04, BStBl II 2005, 242; AEAO zu § 171, Nr. 6.2), bei einer Einspruchs- oder Gerichtsentscheidung, durch die der angefochtene Grundlagenbescheid bestätigt wird (BFH v. 30.11.1999, IX R 41/97, BStBl II 2000, 173), oder bei der Rücknahme eines Einspruchs oder einer Klage gegen einen Grundlagenbescheid.

 

Tz. 97

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Grundlagenbescheid muss nicht notwendigerweise ein von einer Finanzbehörde erlassener Verwaltungsakt sein, er kann auch ressortfremd sein, wie ausdrücklich aus § 171 Abs. 10 Satz 2 AO folgt (vgl. von Wedelstädt, AO-StB 2014, 150). So ist z. B. die Anerkennung nach §§ 83, 93 Abs. 2 WoBauG ein Grundlagenbescheid i. S. von § 171 Abs. 10 AO (BFH v. 27.06.1990, II R 8/88, BFH/NV 1991, 555), ebenso die Feststellung des Versorgungsamtes gem. § 3 Abs. 1 SchwbG (BFH v. 13.12.1985, III R 204/81, BStBl II 1986, 245), Zulagenbescheide anderer Behörden (BFH v. 28.05.2003, III B 87/02, BFH/NV 2003, 1218), Bescheinigungen der Gemeindebehörde nach InvZulG, soweit darin planungsrechtliche Feststellungen getroffen werden (BFH v. 28.05.2003, III B 87/02, BFH/NV 2003, 1218), baurechtliche Bescheinigungen der Verbandsgemeinde (BFH v. 04.05.2004, XI R 38/01, BStBl II 2005, 171) und Feststellungen der Kfz-Zulassungsbehörde zu Schadstoffemissionen (BFH v. 17.10.2006, VII R 13/06, BStBl II 2007, 134) sowie hinsichtlich der Fahrzeugklassen und Aufbauarten (für Fahrzeuge, die nach dem 12.12.2012 zugelassen worden sind, § 2 Abs. 2 Nr. 2 KraftStG; FG SAnh v. 04.12.2013, 5 K 510/10...

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