Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Auslegung von Art. 16 und Art. 74 MwStSystRL zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich um die "Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen ... als unentgeltliche Zuwendung" i.S. von Art. 16 MwStSystRL, wenn ein Steuerpflichtiger Wärme aus seinem Unternehmen unentgeltlich an einen anderen Steuerpflichtigen für dessen wirtschaftliche Tätigkeit abgibt (hier: Zuwendung von Wärme aus dem Blockheizkraftwerk eines Stromlieferanten an ein landwirtschaftliches Unternehmen zum Beheizen von Spargelfeldern)? Kommt es hierfür darauf an, ob der steuerpflichtige Empfänger die Wärme für Zwecke verwendet, die ihn zum Vorsteuerabzug berechtigen?

2. Schränkt der Tatbestand der Entnahme (Art. 16 MwStSystRL) den Selbstkostenpreis i.S. des Art. 74 MwStSystRL in der Weise ein, dass bei seiner Berechnung nur vorsteuerbelastete Kosten einzubeziehen sind?

3. Gehören zum Selbstkostenpreis nur die unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten oder auch nur mittelbar zurechenbare Kosten wie z.B. Finanzierungsaufwendungen?

 

Normenkette

§ 3 Abs. 1b, § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG, Art. 16, Art. 74, Art. 302, Art. 289 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit angeschlossener Biogasanlage. Der produzierte Strom wurde überwiegend in das allgemeine Stromnetz eingespeist und von dem Stromnetzbetreiber vergütet. Die erzeugte Wärme diente u.a. dem Produktionsprozess (Prozesswärme). Sie wurde außerdem u.a. kostenlos dem Unternehmer A zur Trocknung von Holz und der Unternehmerin B zur Beheizung ihrer Spargelfelder überlassen.

Im Streitjahr erhielt die Klägerin für die Lieferung von Strom die sog. Mindest-Einspeisevergütung (§ 8 Abs. 1 EEG) und den Erhöhungsbetrag (KWK-Bonus, § 8 Abs. 3 EEG).

Da die Klägerin den Wärmeabnehmern kein Entgelt in Rechnung stellte, ging das beklagte FA von einer unentgeltlichen Entnahme der Wärme i.S.v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG an A und B aus. Es setzte als Bemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG die Selbstkosten an. Den Einspruch wies es als unbegründet zurück.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin zunächst geltend, der KWK-Bonus sei ein Entgelt von dritter Seite für die Lieferung der Wärme. Das FG gab der Klage der Klägerin im ersten Rechtsgang statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.11.2013, 16 K 247/12, Haufe-Index 6528190). Der BFH (BFH, Urteil vom 31.5.2017, XI R 2/14, BFH/NV 2017, 1393) hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Der KWK-Bonus sei kein Entgelt für die Wärmeabgaben der Klägerin, sondern für die Lieferung von Strom an den Netzbetreiber. Die Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen Wertabgaben habe das FG zu ermitteln.

Im zweiten Rechtsgang wendete sich die Klägerin gegen die Berechnung der Selbstkosten durch das FA nach der energetischen Methode. Das FG gab der Klage im zweiten Rechtsgang teilweise statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.9.2019, 11 K 195/17, Haufe-Index 13586739, EFG 2020, 227). Es berechnete die anteiligen Selbstkosten nach der Marktwertmethode.

 

Entscheidung

Der BFH legte die im Tenor genannten Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Eine Selbstbindung des BFH gemäß § 126 Abs. 5 FGO bestand insoweit nicht (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 6.2.1973, GmS-OGB 1/72, BFHE 109, 206, Leitsatz 3; BFH, Urteil vom 8.11.1983, VII R 141/82, Haufe-Index 74934, BStBl II 1984, 317, unter 2.); denn die Rechtsprechung hat sich geändert (vgl. EuGH, Urteil vom 16.9.2020, C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, Haufe-­Index 14095489; BFH, Urteil vom 16.12.2020, XI R 26/20 (XI R 28/17), BFH/NV 2021, 896, Leitsatz 2) .

 

Hinweis

1. Nach § 3 Abs. 1b Nr. 3 UStG wird die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands (hier: Wärme, Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL) auch dann besteuert, wenn sie aus unternehmerischen Gründen erfolgt (hier: zur Erzielung eines höheren Preises für die Lieferung von Strom, § 8 Abs. 3 EEG).

a) Diesen Grundsatz haben EuGH, Urteil vom 16.9.2020, C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie (Haufe-Index 14095489) und BFH, Urteil vom 16.12.2020, XI R 26/20 (XI R 28/17) (BFH/NV 2021, 896, Leitsatz 2) bereits eingeschränkt, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht, weil die Kosten einer öffentlichen Straße, die unentgeltlich an eine nicht vorsteuerabzugsberechtigte Gemeinde abgegeben wurde, mittelbar die Käufer der Steine, die über die Straße transportiert werden müssen, durch einen höheren Preis für die steuerpflichtige Lieferung von Steinen bezahlt haben.

b) Der EuGH soll nun mit der Antwort auf die Frage 1 des Besprechungsbeschlusses klären, ob diese Einschränkung auch dann eingreift, wenn der Empfänger der unentgeltlichen Wertabgabe ein Pauschalland‐ oder ‐forstwirt i.S.d. § 24 UStG sein könnte, weil der Netzbetreiber mittelbar die Kosten der Wärme durch einen höheren Preis für den erzeugten Strom (KWK-Bonus) bezahlt hat. M.E. könnte dies – unabhängig von der nur pauschal...

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