Leitsatz

1. Ein vom Kläger erklärter Verzicht auf mündliche Verhandlung wird wirkungslos, wenn das FG einen Erörterungstermin anberaumt und das persönliche Erscheinen des Klägers anordnet. Das FG darf danach nur dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn die Beteiligten erneut darauf verzichten.

2. Bittet der Kläger wegen fehlender finanzieller Mittel für die Anreise um Entscheidung im schriftlichen Verfahren und beantragt er zugleich die Gewährung von PKH, so handelt es sich nicht um einen unbedingten Verzicht auf mündliche Verhandlung i.S.v. § 90 Abs. 2 FGO.

 

Normenkette

§ 90 Abs. 2, § 119 Nr. 4 FGO, § 4 Abs. 4 EStG

 

Sachverhalt

Nachdem der Kläger auf entsprechende Anfrage des FG auf mündliche Verhandlung verzichtet hatte und die Beteiligten sodann umfangreichen Schriftverkehr ausgetauscht hatten, lud der Berichterstatter des FG die Beteiligten zu einem Erörterungstermin und ordnete das persönliche Erscheinen des Klägers an. Daraufhin bat der Kläger um Aufhebung des Termins und Entscheidung im schriftlichen Verfahren, weil er vom Sozialamt Hilfe zum Lebensunterhalt beziehe und deshalb nicht über die finanziellen Mittel für die Fahrtkosten und entstehenden Gerichtskosten im Zusammenhang mit dem Erörterungstermin verfüge. Zugleich beantragte er PKH.

Der Berichterstatter des FG hob darauf den Termin mit der Begründung auf, nach dem Vortrag des Klägers sei anzunehmen, dass dieser zum Termin nicht erscheinen werde. Zwei Jahre später teilte er dem FA mit, der Kläger habe auf erneute telefonische Anfrage erklärt, nicht zu einem Erörterungstermin bereit zu sein und eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu erbitten. Nach weiteren zwei Jahren lehnte das FG das PKH-Begehren wegen fehlender Erfolgsaussichten ab. Zugleich wies es die Klage ab (FG Bremen, Urteil vom 16.03.2007, 1 K 422/02 (3)).

 

Entscheidung

Auf die Revision des Klägers hob der BFH das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Die Vorentscheidung beruhe auf einem Verfahrensfehler, weil der Kläger vor dem FG "nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten" gewesen sei (§ 119 Nr. 4 FGO).

Nach der Anberaumung des Erörterungstermins habe das FG nicht mehr von einem vorbehaltlosen Verzicht des Klägers auf mündliche Verhandlung ausgehen dürfen. Der ursprüngliche Verzicht habe durch die Ladung zum Erörterungstermin seine Wirkung verloren. Die Erklärung des Klägers, wegen Mittellosigkeit nicht zum Erörterungstermin zu erscheinen, sei ebenfalls kein vorbehaltloser Verzicht auf mündliche Verhandlung gewesen.

Im Übrigen habe das FG, da es eine Sachaufklärung durch Erörterung mit den Beteiligten für geboten gehalten habe, sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem es ohne mündliche Verhandlung entschieden habe.

 

Hinweis

1. Die mündliche Verhandlung ist das Herzstück des Finanzgerichtsprozesses, welches gewöhnlich dem Urteil unmittelbar vorausgeht. Hier findet der entscheidende Austausch von Rechtsauffassungen durch die Beteiligten statt, die Beteiligten erörtern den Streitstoff mit dem Gericht und stellen ihre Anträge. Auch eine etwa gebotene Beweisaufnahme findet in der mündlichen Verhandlung statt.

2. Der herausgehobenen Bedeutung der mündlichen Verhandlung entspricht es, dass das FG grundsätzlich verpflichtet ist, mündlich zu verhandeln (§ 90 Abs. 1 FGO). Allerdings "kann" das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ausnahmsweise auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO). Die Gesetzesformulierung "kann" deutet auf einen dem Gericht eingeräumten Ermessensspielraum hin.

3. Wegen der überragenden Bedeutung der mündlichen Handlung muss der Verzicht eines Prozessbeteiligten auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt sein. Ist dies nicht der Fall und entscheidet das FG gleichwohl ohne mündliche Verhandlung, so beruht sein Urteil auf einem Verfahrensfehler und ist deshalb aufzuheben.

4. Eine eindeutige vorbehaltlose Verzichtserklärung im vorstehenden Sinn liegt nicht vor, wenn der Kläger unter Hinweis auf seine Mittellosigkeit"um Entscheidung im schriftlichen Verfahren" bittet und zugleich einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) stellt. Dann geht aus der Erklärung des Klägers nämlich hervor, dass er keineswegs grundsätzlich an einer mündlichen Verhandlung kein Interesse hätte, sondern dass er allein wegen seiner Mittellosigkeit nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen will, weil er die Reisekosten nicht aufbringen kann. In derartigen Fällen ist das FG aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet, dem Kläger durch Gewährung von PKH die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu ermöglichen, sofern die Rechtsverfolgung nicht erkennbar aussichtslos ist.

5. Liegt ein eindeutiger und vorbehaltloser Verzicht auf mündliche Verhandlung vor, so kann das Gericht gleichwohl nicht in allen Fällen ohne Weiteres ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung kann sich "verbrauchen", also seine prozessrechtliche Wirkung verlieren, wenn das Gericht selbst, zum Beis...

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