3.1.1 Formerfordernis für Aufhebungsvertrag

 

Rz. 14

Die Vorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfasst in erster Linie die auf einem freien Willensentschluss der Vertragsparteien beruhende und in deren gegenseitigem Einvernehmen erfolgende Aufhebung eines Erwerbsvorgangs durch einen Aufhebungsvertrag. Zwar schreibt § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG selbst die Form eines solchen Aufhebungsvertrags nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH v. 30.4.1982, V ZR 104/81, NJW 1982, 1639; BGH v. 7.10.1994, V ZR 102/93, NJW 1994, 3346), die hierzu heranzuziehen ist, weil die Rückgängigmachung zivilrechtlich wirksam erfolgen muss (vgl. BFH v. 8.8.1990, II R 184/87, BFH/NV 1991, 267, und BFH v. 8.11.1995, II R 87/93, BFH/NV 1996, 577), besteht für den Aufhebungsvertrag zumeist Formfreiheit, in besonderen Fällen aber Beurkundungszwang. Danach ergeben sich im Einzelnen folgende Formerfordernisse (vgl. hierzu auch FinMin Baden-Württemberg v. 7.8.2002, 3 – S 4543/9):

  • Bei einem Kaufvertrag ohne Auflassungserklärung und ohne Eintragung einer Auflassungsvormerkung im Grundbuch kann der Kaufvertrag formfrei aufgehoben werden, weil die Aufhebung in diesem Fall keine unmittelbare oder mittelbare Rückübertragungs- oder Erwerbsverpflichtung begründet.
  • Bei einem Kaufvertrag mit Auflassungserklärung und ohne Eintragung einer Auflassungsvormerkung bzw. ohne Antrag auf Eigentumsumschreibung ist ebenfalls Formfreiheit gegeben, weil sich in diesen Fällen das Grundstück noch im Eigentum des Veräußerers befindet. Entsprechendes gilt, wenn der Veräußerer einen jederzeit widerruflichen Eintragungsantrag zugunsten des Auflassungsempfängers gestellt hat.
  • Liegen ein Kaufvertrag und ein Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers vor, besteht für den Aufhebungsvertrag Beurkundungszwang (vgl. § 313 S. 1 BGB). Ein solches Anwartschaftsrecht ist gegeben, wenn der Auflassungsempfänger eine gesicherte Rechtsposition innehat, die der Veräußerer nicht mehr einseitig einschränken oder auflösen kann. Ein Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers ist anzunehmen, wenn er selbst den Antrag auf Eigentumsumschreibung gestellt hat oder zu seinen Gunsten eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen ist, die ihn nach den §§ 883ff. BGB vor einer anderweitigen Verfügung des Veräußerers schützt. Ein Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers kann jedoch nur entstehen, wenn der Antrag auf Eintragung des Eigentums oder die Eintragung einer Auflassungsvormerkung nach der Auflassung erfolgt. Bei Aufgabe eines bestehenden Anwartschaftsrechts (z. B. durch Rücknahme des Eintragungsantrags) entfällt das Form­erfordernis oder der zunächst unwirksame Aufhebungsvertrag wird dadurch geheilt.

3.1.2 Willensrichtung der Beteiligten

 

Rz. 15

Ob ein Vertrag auf die Aufhebung eines Erwerbsvorgangs gerichtet ist, muss nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsbeteiligten beurteilt werden (vgl. BFH v. 31.5.1972, II R 92/67, BStBl II 1972, 836). Eine ausdrücklich als "Aufhebungsvertrag" überschriebene oder bezeichnete Vereinbarung, bei der es sich in Wahrheit um ein Scheingeschäft (§ 117 Abs. 1 BGB) handelt, ist jedenfalls nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH v. 8.3.1995, II R 42/92, BFH/NV 1995, 924). Wird ein Kaufvertrag über ein Grundstück innerhalb von 2 Jahren nach Vertragsabschluss in der Weise aufgehoben, dass der Veräußerer das Grundstück, als dessen Eigentümer er noch im Grundbuch eingetragen ist, vom Erwerber "zurückkauft", ist darin kein weiterer Erwerbsvorgang i. S. v. § 1 Abs. 1 GrEStG zu sehen (vgl. § 1 GrEStG Rz. 19). Gleichwohl kann ein solcher Vertrag zu einer Aufhebung der ursprünglichen Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG führen (vgl. BFH v. 22.6.2010, II R 24/09, BFH/NV 2010, 2300).

Zur Rückgängigmachung eines Erwerbs im Zwangsversteigerungsverfahren i. S. d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist es erforderlich, dass das Meistgebot vor der Zuschlagserteilung an den bisherigen Eigentümer abgetreten wird (vgl. BFH v. 6.6.1984, II R 184/81, BStBl II 1985, 261). Auch in den Fällen, in denen der Meistbietende erklärt, er habe das in seinem eigenen Namen abgegebene Meistgebot für den bisherigen Eigentümer abgegeben, ist § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG anwendbar (vgl. RFH v. 18.1.1929, BStBl 1929, 207).

Der freiwilligen und einvernehmlichen Aufhebung eines Vertrags steht die (zumeist einseitige) Rückgängigmachung durch die Ausübung eines vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrechts (§§ 346 ff. BGB) oder Wiederkaufsrechts (§§ 497ff. BGB) gleich.

3.1.3 Beseitigung sämtlicher Wirkungen des Erwerbsvorgangs

 

Rz. 16

Die bloße formale Aufhebung eines Erwerbsvorgangs reicht für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG nicht aus. Die Vorschrift verlangt darüber hinaus eine vollständige (echte) Rückgängigmachung, d. h., der ursprüngliche Erwerbsvorgang muss in allen seinen rechtlichen und tatsächlichen (wirtschaftlichen) Wirkungen vollumfänglich beseitigt werden (vgl. BFH v. 6.5.1969, II 87/64, BStBl II 1969, 556, und BFH v. 9.3.1994, II R 86/90, BStBl II 1994, 413). Die an dem ursprünglichen Rechtsgeschäft Beteiligten müssen aus ihren vertraglichen Bindungen in der Weise entlassen werden, dass die Möglichkeit der Verfüg...

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