Rz. 122

[Autor/Stand] Reiner Wortlaut unionsrechtswidrig, aber Möglichkeit unionsrechtskonformer Auslegung. Betrachtet man den reinen Wortlaut des § 50d Abs. 3 EStG, so wird dieser in vielerlei Hinsicht den oben dargestellten unionsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. In vielen Fällen wird man diesen gesetzgeberischen Fehler aber im Rahmen unionsrechtskonformer Auslegung richten können. Insoweit wird es Aufgabe der Behörden und letztlich der Gerichte sein, § 50d Abs. 3 EStG auf seinen unionsrechtskonformen Kern "zurückzuschneiden". Die Methoden dafür wurden oben Rz. 2 ff., Rz. 17 ff. dargelegt. Die Vereinbarkeit der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 50d Abs. 3 EStG wird auch bei der Kommentierung der jeweiligen Tatbestandsmerkmale ausführlich erörtert, s. für einen Überblick Rz. 123. Überprüft man § 50d Abs. 3 EStG an den oben dargestellten unionsrechtlichen Anforderungen, so ergeben sich im Wesentlichen folgende Erkenntnisse:

  • § 50d Abs. 3 EStG widerspricht bereits seiner Konzeption – so wie sie sich seinem Wortlaut nach darstellt – den unionsrechtlichen Anforderungen (dazu Rz. 41 ff.). Zum einen ist fraglich, ob die Missbrauchsvermutung des Satzes 1 tatsächlich einen hinreichend tragfähigen und ernsthaften Anfangsverdacht eines Missbrauchs begründet ("allgemeine Vermutung", vgl. Rz. 42), was insbesondere die Vorstellung des Gesetzgebers betrifft, dass das Merkmal des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG auch dann einen Missbrauch indizieren soll, wenn durch die Einschaltung der Körperschaft gar kein Steuervorteil oder sogar ein Steuernachteil erzielt wird (s.a. Rz. 122). Insoweit müsste die FinVerw (entgegen der Rechtsprechung des EuGH) nicht das subjektive Element des Missbrauchs nachweisen (vgl. Rz. 40). Sollte man dieser Ansicht folgen, ergäbe sich die Unionsrechtswidrigkeit klar aus den Grundsätzen der Rs. Eqiom und Enka (vgl. näher Rz. 42). Es gibt aber eine Möglichkeit, dies durch unionsrechtskonforme Auslegung zu vermeiden, vgl. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 209 ff. Zum anderen widerspricht der Gegenbeweis des § 50d Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 EStG den unionsrechtlichen Vorgaben an die Widerlegbarkeit einer Missbrauchsvermutung, da § 50d Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 EStG dem Steuerpflichtigen nur die Möglichkeit bietet, das Vorliegen eines steuerlichen Hauptzwecks als Teil des subjektiven Elements (vgl. Rz. 31.2) oder das objektive Missbrauchselement (Zweckverfehlung, vgl. Rz. 30) zu widerlegen. Alleine eine "kooperative Subsumtion" unter die feststehenden Tatbestandsmerkmale des Satzes 1 genügt den Anforderungen eines echten Gegenbeweises nicht. S. zum abweichenden Willen des Gesetzgebers und zur Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung § 50d Abs. 3 EStG Rz. 555, 563 f.
  • § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG widerspricht unionsrechtlichen Anforderungen insoweit, als er mit dem Abstellen auf "dieser Anspruch" auch Fälle als missbräuchlich einstuft, in denen durch die Einschaltung der Körperschaft kein Steuervorteil oder sogar ein Steuernachteil erzielt wird (vgl. Rz. 31.1; ausf. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 210). Den Danish Cases kann nicht entnommen werden, dass es auf einen Steuervorteil nicht ankommt, im Gegenteil: Der EuGH hebt ausdrücklich hervor, dass eine hypothetische Befreiung bei Direktbezug durch den Nutzungsberechtigten klar gegen einen Missbrauch spricht (vgl. ausf. Rz. 38). Der Unionsrechtsverstoß kann und muss durch eine unionsrechtskonforme Auslegung i.S. einer "Rechtsfolgenkongruenz" vermieden werden (vgl. ausf. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 209 ff.).
  • Die Rechtsfolgenanordnung des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass sich das "soweit" auch auf die Höhe des fiktiven Entlastungsanspruchs bezieht, d.h. eine Versagung nur insoweit erfolgt, wie die Rechtsfolgen nicht kongruent sind (vgl. näher § 50d Abs. 3 EStG Rz. 494). Dies ist erforderlich, damit § 50d Abs. 3 EStG nicht gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt (vgl. Rz. 44).
 

Rz. 123

[Autor/Stand] Weitere Einzelheiten:

  • Zur Vereinbarkeit des Vorrangs des § 50d Abs. 3 EStG vor (abschließenden) DBA-Missbrauchsklauseln und die Möglichkeit eines Gegenbeweises in unionsrechtskonformer Auslegung s. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 68 aE.
  • Allein Art. 6 ATAD hat nicht die Wirkung eines Treaty Override s. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 70.
  • Zur Auswirkung der unbeschränkten Rückwirkung der Neufassung auf die Unionsrechtswidrigkeit der Altfassungen s. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 92 ff.
  • Zur Anwendbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG auf unmittelbar anwendbare Richtlinienbestimmungen s. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 166.
  • Zur unionsrechtskonformen Auslegung des Merkmals "dieser Anspruch" (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG) s. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 209 ff.
  • Zu Mäander-Strukturen s. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 231.
  • Zur Auslegung des Begriffs Wirtschaftstätigkeit in § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG s. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 247 f.
  • Zum Ausschluss vermögensverwaltender Tätigkeiten aus dem Begriff der Wirtschaftstätigkeit vgl. § 50d Abs. 3 EStG Rz. 252, Rz. 347 ff.
  • Zur passiven Natur ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge