Leitsatz

1. Wurde eine nach Unionsrecht fakultative Steuerbegünstigung (hier: ermäßigter Steuersatz nach § 9 Abs. 3 StromStG a.F.) zu Unrecht nicht gewährt, so dass der Steuerpflichtige Vorauszahlungen geleistet hat, ist ein daraus resultierender Erstattungsanspruch zu verzinsen.

2. Der Verzinsungszeitraum beginnt mit der Leistung der jeweiligen Vorauszahlung und endet mit der Erstattung des unter Verstoß gegen Unionsrecht festgesetzten Steuerbetrags.

3. Die Pflicht zur Verzinsung erstreckt sich auf den gesamten Zeitraum, in dem der Betrag dem Steuerschuldner nicht zur Verfügung stand, nicht nur auf volle Zinsmonate gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 3 StromStG a.F., § 238 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes, bezog im Streitjahr 2010 unversteuerten Wechselstrom und speiste diesen in Akkumulatoren ein. Diese Strommenge erklärte sie als Eigenverbrauch zum ermäßigten Steuersatz nach § 9 Abs. 3 StromStG und leistete monatliche Vorauszahlungen. Das HZA lehnte die Steuerermäßigung erst ab. Nachdem die Klägerin in einem Parallelverfahren für das Jahr 2006 Erfolg hatte, änderte das HZA auch die Festsetzung für 2010 und erstattete die entsprechende Stromsteuer.

Daraufhin begehrte die Klägerin Zinsen, was das HZA ablehnte. Einspruch und Klage waren erfolglos. Das FG (FG München, Urteil vom 22.2.2018, 14 K 924/15) lehnte Prozesszinsen nach § 236 AO ab, weil der Anspruch hinsichtlich der Stromsteuer 2010 nicht rechtshängig gewesen war. Auch einen unionsrechtlichen Zinsanspruch verneinte das FG, letztlich weil der Klägerin eine nach Unionsrecht lediglich fakultative Steuerermäßigung versagt worden sei.

Der BFH (BFH, Beschluss vom 19.11.2019, VII R 17/18 (BFH/NV 2020, 473, BFH/PR 2020, 151, Haufe-Index 13696765) hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH um Vorabentscheidung ersucht. Dieser beantwortete die Vorlagefrage mit Urteil Hauptzollamt B vom 9.9.2021, C 100/20 (EU:C:2021:716), berichtigt durch Beschluss vom 29.9.2021, C 100/20 (EU:C:2021:774), wie folgt:

"Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es eine Verzinsung des Erstattungsbetrags der Stromsteuer verlangt, die zu Unrecht erhoben wurde, weil eine auf der Grundlage einer den Mitgliedstaaten von der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom eingeräumten Möglichkeit erlassene nationale Vorschrift fehlerhaft angewendet wurde."

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin war erfolgreich. Der BFH hob das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG wird – zur Berechnung der Zinshöhe – festzustellen haben, wann die Klägerin die Vorauszahlungen auf die Stromsteuer geleistet hat und in welcher Höhe diese gegen Unionsrecht verstoßen haben.

 

Hinweis

Im Streitfall geht es um die Verzinsung von Steuer­erstattungsansprüchen nach unionsrechtlichen Grundsätzen.

1. Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen (BFH, Beschluss vom 19.11.2019, VII R 17/18, BFH/NV 2020, 473, BFH/PR 2020, 151, Haufe-Index 13696765) wollte der BFH geklärt wissen, ob ein Verstoß gegen Unionsrecht auch dann zu einem Erstattungsanspruch (einschließlich Zinsen) führt, wenn es sich lediglich um eine fakultative Steuerbegünstigung handelt. Das hat der EuGH (EuGH, Urteil Hauptzollamt B vom 9.9.2021, C 100/20, EU:C:2021:716, berichtigt durch EuGH, Beschluss vom 29.9.2021, C 100/20, EU:C:2021:774) bejaht.

2. Die konkrete Umsetzung der Verzinsung obliegt mangels unionsrechtlicher Regelungen den Mitgliedstaaten. Dabei sind die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beachten; insbesondere dürfen die Zinszahlungsmodalitäten nicht dazu führen, dass dem Betreffenden eine angemessene Entschädigung für die erlittenen Einbußen vorenthalten wird.

3. Zu verzinsen ist der Gesamtzeitraum zwischen dem Tag der Entrichtung der Steuer und dem Tag ihrer Erstattung, weil der zu Unrecht gezahlte Betrag während dieses Zeitraums dem Steuerpflichtigen nicht zur Verfügung stand und somit ein Liquiditätsnachteil entstanden ist, der durch die Verzinsung ausgeglichen werden soll.

Der Zinslauf begann im Streitfall bereits mit der Zahlung der Stromsteuer-Vorauszahlungen, soweit diese unionsrechtwidrig waren. Auf die Festsetzung der Jahressteuer oder den Zeitpunkt der Aufrechnung mit den Vorauszahlungen kommt es nicht an.

Der Zinslauf endet mit der Erstattung der Stromsteuer durch das HZA. Dabei werden nicht nur die vollen Zinsmonate berücksichtigt, wie § 238 AO vorsieht. Denn dies widerspräche dem Effektivitätsgrundsatz, da die Geltendmachung eines Teils des Zinsanspruchs im Ergebnis unmöglich gemacht würde. Das BFH-Urteil (BFH, Urteil vom 22.10.2019, VII R 24/18, BFH/NV 2020, 844, Haufe-Index 13859183) ist insoweit aufgrund der danach ergangenen EuGH-Rechtsprechung (EuGH, Urteil Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost vom 28.4.2022, C 415/20, C 419/20 und C 427/20, EU:C:2022:306, BFH/NV 2022, 796, Haufe-Index 15140230) überholt.

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