Der Austritt des VK aus EU und EWR hat Auswirkungen auf die Wertschöpfungsketten vieler Unternehmen, die zum Teil durch veränderte volkswirtschaftliche (z. B. Wechselkursschwankungen), zum Teil über veränderte regulatorische Rahmenbedingungen (insbesondere im Bereich des Warenverkehrs, zum Teil aber auch im Dienstleistungsverkehr) ausgelöst werden können und durch die gegenwärtige Pandemielage noch verstärkt werden.

So mögen einige inländische Unternehmen erwägen, die Produktion und Logistik für Waren, die an Kunden in Großbritannien verkauft werden sollen, dort zu lokalisieren, auch soweit diese Funktionen bislang im Inland oder aus anderen EU-Mitgliedstaaten ausgeübt worden sein sollten.

Dies könnte sich durch Investitionsanreize noch verstärken, die Großbritannien möglicherweise künftig noch stärker als bislang anbieten wird, nachdem es nicht mehr dem EU-Binnenmarkt angehören wird. Auch wenn der Körperschaftsteuersatz ab 2023 voraussichtlich erhöht wird, hat das VK im Rahmen des soeben verabschiedeten Finance Act 2021, https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2021/26/pdfs/ukpga_20210026_en.pdfm, zuletzt abgerufen am 23.06.2021) für 2021 bereits ab 01.04.2021 greifende, befristete Sonderabschreibungen bzw. "Super-Deductions" von bis zu 130 % der Anschaffungskosten neuer Anlagegüter eingeführt. Weitere Anreize für Forschung, Entwicklung oder die Schaffung von britischen Arbeitsplätzen können hinzutreten.

Werden Wirtschaftsgüter mit stillen Reserven oder auch ein ganzes sog. Transferpaket im Rahmen einer Funktionsverlagerung aus dem Inland in das Ausland verlagert, so kann dies eine Besteuerung auslösen (s. dazu allgemein bereits unter 2.1.2.3).

 
Praxis-Beispiel

Fallbeispiel 12

Die DE-GmbH will einen Teil ihrer Produktion zusammen mit den dazugehörigen immateriellen Wirtschaftsgütern in eine britische Kapitalgesellschaft, die UK Limited, verlagern, weil sie dort wegen geringerer Kosten und niedrigerer Steuerbelastungen mit einem höheren Nachsteuergewinn rechnet.

Lösung

Sofern eine Funktionsverlagerung i. S. v. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a. F. (vgl. § 1 Abs. 3b AStG n. F. nach AbzStEntModG) vorliegt und nicht ausnahmsweise eine Einzelverrechnung zulässig ist, ist der Verrechnungspreis nach der gesetzlichen Regelung aus dem gesamten Transferpaket abzuleiten. Dabei wird das Gewinnpotenzial der verlagerten Funktion sowohl aus der Perspektive des inländischen Unternehmens als auch aus der Perspektive des Erwerbers mit einbezogen. Dies kann dazu führen, dass die inländische Bemessungsgrundlage für diesen fiktiven Gewinnrealisierungsvorgang Kostenvorteile mit berücksichtigt, die ausschließlich aus dem Erwerberland, hier Großbritannien, stammen, wie z. B. eine geringere Steuerbelastung oder geringere Lohnkosten, mithin Faktoren, die mit der inländischen Wertschöpfung nichts zu tun haben.

Bei einer nach dem Ablauf des Übergangszeitraums vorgenommenen Funktionsverlagerung nach Großbritannien erübrigt sich die Überlegung, ob diese Elemente der deutschen Funktionsverlagerungsregelung mit der europäischen Niederlassungsfreiheit vereinbar sind, da sie eine betriebliche Investition in Form einer Funktionsverlagerung möglicherweise unverhältnismäßig behindern (vgl. Frotscher, Brexit in Fällen, Funktionsverlagerung in das Vereinigte Königreich, https://www.haufe.de/steuern/kanzlei-co/brexit-funktionsverlagerung-in-das-vereinigte-koenigreich_170_491940.html). Ob die verlagerten stillen Reserven bzw. das Gewinnpotenzial vor oder nach Ablauf der Brexit-Übergangsfrist entstanden ist, spielt bei einer Verlagerung in das Drittland Großbritannien keine Rolle mehr. Allenfalls ließe sich in Erwägung ziehen, ob diese Regelung nicht bereits nach nationalem Recht zu einer Übermaßbesteuerung im Hinblick auf den im Inland erzielten Zuwachs an individueller Leistungsfähigkeit führt.

Soweit aus der Verlagerung beim Erwerber in Großbritannien Anschaffungskosten und Abschreibungspotenzial entsteht, werden darin die Wertbestandteile, die nicht aus Deutschland erworben werden, dort aber in die Funktionsverlagerung einbezogen werden, nicht als Anschaffungskosten und Abschreibungsbasis berücksichtigt werden. Insoweit besteht ein erhebliches Doppelbesteuerungsrisiko. Es erscheint schwer vorstellbar, dass Großbritannien insoweit zu einer Gegenberichtigung auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2 DBA-UK (ggf. i. V. m. einem Verständigungsverfahren nach 26 DBA-UK) bereit wäre. Das EU-Schiedsverfahren – bzw. nunmehr auch die von Deutschland erst verspätet umgesetzte (BGBl I 2019, 2103) EU-Streitbeilegungsrichtlinie – stehen nach dem Ablauf des Übergangszeitraums im Verhältnis zum VK nicht mehr als potenziell effiziente(re) Streitbeilegungsmechanismen zur Verfügung.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die im Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (AbzStEntModG) vom 02.06.2021 (BGBl I 2021, 1259) vorgesehene Neuregelung zur Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3b AStG n. F.

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