Leitsatz

Der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften durch eine GmbH für Länder und Kommunen kann nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei sein. Dasselbe gilt für den Betrieb einer kommunalen Obdachlosenunterkunft.

 

Normenkette

Art. 132 Abs. 1 Buchst. g EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a, Nr. 16 Satz 1 Buchst. l, Nr. 18 UStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, bewirtschaftete im Streitjahr 2014 eine Vielzahl von Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge, Aussiedler und Obdachlose in verschiedenen Bundesländern. Sie wurde insoweit aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit dem jeweiligen Träger der Unterkunft wie etwa Bundesländern, Städten und Landkreisen tätig. Für ihre Leistungen erhielt die Klägerin entsprechend der jeweiligen Vereinbarung Geldzahlungen von dem jeweiligen Träger, die sich teilweise nach der Zahl der betreuten Personen und teils nach einem Pauschalbetrag bemaßen. Die Klägerin wies in den von ihr ausgestellten Rechnungen keine USt aus.

Die Klägerin begehrte mit einem Einspruch, sämtliche Umsätze aus dem Betrieb der Flüchtlingsunterkünfte als nach § 4 Nr. 18 des UStG steuerfrei zu behandeln. Einspruch und Klage beim FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 9.11.2018, 1 K 3578/15 U, Haufe-Index 13125289, EFG 2019, 1018) hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG habe eine Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zu Unrecht verneint. In einem zweiten Rechtsgang seien weitere Feststellungen zu einzelnen Unterkünften zu treffen.

 

Hinweis

1. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten insbesondere eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen, die durch die vom Mitgliedstaat als anerkannte Einrichtungen mit sozialem Charakter bewirkt werden. Diesem Befreiungstatbestand kommt eine unmittelbare Wirkung zu, auf die sich ein Unternehmer gegen eine sich aus dem nationalen Recht ergebende Steuerpflicht berufen kann.

Danach kann der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften, für den eine nationale Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a, Nr. 16 Satz 1 Buchst. l, Nr. 18 UStGnicht in Betracht kommt, aus Gründen des Unionsrechts steuerfrei sein.

2. Die unionsrechtliche Steuerfreiheit knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an.

a) Leistungsbezogen sind Flüchtlinge als wirtschaftlich hilfsbedürftig anzusehen, da sie in aller Regel über kein ausreichendes Vermögen verfügen, um ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können, zumal ihnen eine Erwerbstätigkeit für die Dauer der Pflicht, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, grundsätzlich nicht gestattet ist. Dies genügt, um Unterkunft und Unterstützung in Flüchtlingsunterkünften als eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden anzusehen. Die Verfolgung asylverfahrensrechtlicher Zwecke steht dem nicht entgegen, da die angemessene Unterbringung von Flüchtlingen zur notwendigen Unterstützung für Asylantragsteller gehört und es sich um Leistungen des materiellen Sozialrechts handelt. Dabei ist der Betrieb einer Flüchtlingsunterkunft als eine einheitliche Leistung anzusehen, die insbesondere die Ausstattung, Instandhaltung, Reinigung sowie personelle Besetzung der Unterkunft mit sozialen Betreuungsmaßnahmen umfasst.

Dasselbe gilt für die Unterbringung von Aussiedlern und Spätaussiedlern und den Betrieb von Obdachlosenunterkünften.

b) Unternehmerbezogen ergibt sich die Anerkennung des Unterkunftsbetreibers als soziale Einrichtung insbesondere aus spezifischen Vorschriften wie etwa den Flüchtlingsaufnahmegesetzen der Bundesländer, die es den Unterbringungsbehörden ermöglichen, den Betrieb von Unterbringungseinrichtungen auf Dritte zu übertragen, und der mit diesen Vorschriften verbundenen Kostentragung durch die öffentliche Hand.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 24.3.2021 – V R 1/19

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