Umsatzsteuerfreie Leistungen der Verfahrenspfleger

Die nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen können sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.

Hintergrund: Steuerfreie Tätigkeit eines Verfahrenspflegers

Streitig war, ob die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen steuerbefreit sind.

X war in den Streitjahren 2014 und 2015 u.a. als Verfahrenspfleger in Betreuungssachen (§ 276 FamFG) und in Unterbringungssachen (§ 317 FamFG) tätig.

Das FA ging von der Steuerpflicht der Umsätze aus. Dem folgte das FG und wies die Klage ab. Die Verfahrenspflegschaften seien auf das gerichtliche Verfahren in Betreuungs- und Unterbringungssachen nach §§ 271 ff. FamFG bzw. §§ 312 ff. FamFG beschränkt. Damit werde keine umfassende Personen- oder Vermögenssorge wahrgenommen. 

Mit der Revision verwies X auf die Rechtsprechung des BFH zur Steuerfreiheit der Umsätze eines Verfahrensbeistands nach § 158 FamFG (BFH v. 17.7.2019, V R 27/17, BFH/NV 2019 S. 1478). Für die Tätigkeit als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen könne nichts anderes gelten. Der einzige Unterschied liege darin, dass er, X, als Verfahrenspfleger nicht gegenüber Kindern, sondern gegenüber volljährigen Personen tätig werde, die ihre Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ganz oder teilweise nicht selbst besorgen könnten.  

Entscheidung: Steuerfreie Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrenspfleger

Der BFH lehnt die Auffassung des FG ab. Die Umsätze als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen sind steuerfrei nach Art. 132 Abs. 1 Buchst g MwStSystRL. Der BFH hob das anders lautende FG-Urteil auf und verwies den Fall an das FG zurück.

Keine Steuerbefreiung nach dem UStG

§ 4 Nr. 16 Buchst. k UStG betrifft nach § 1896 BGB bestellte Betreuer. Das trifft auf X nicht zu. Er wird nicht als amtlich bestellter Betreuer tätig. Seine Tätigkeit beschränkt sich auf die Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren vor der Anordnung einer Betreuung oder Unterbringung. Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. c UStG ist ebenfalls nicht einschlägig, da sie lediglich Leistungen der Vormünder nach § 1773 BGB oder Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB betrifft. X gehört nicht zu dieser Personengruppe.

Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL

Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen handeln (leistungsbezogene Voraussetzung). Diese Leistungen müssen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind (personenbezogenes Merkmal, BFH v. 17.7.2019, V R 27/17, BFH/NV 2019 S. 1478). Beide Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

Mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen – leistungsbezogene Voraussetzung

Die vor der Bestellung eines Betreuers oder vor der Anordnung einer (geschlossenen) Unterbringung tätigen Verfahrenspfleger erbringen Leistungen an (körperlich oder wirtschaftlich) hilfsbedürftige Personen. Die Leistungen des Verfahrenspflegers sind für die unter die Sozialfürsorge und die soziale Sicherheit fallenden Leistungen von Betreuern in rechtlicher Hinsicht unerlässlich. Denn die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung der geschlossenen Unterbringung setzt die Mitwirkung des Verfahrenspflegers voraus.

Fehlt es an der Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist die Maßnahme verfahrensfehlerhaft und der entsprechende Beschluss (des Amtsgerichts) wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben (BGH v. 20.1.2021, XII ZB 202/20, FamRZ 2021 S. 636). Ohne wirksamen Beschluss kann die als Betreuer vorgesehene Person nicht für den Hilfsbedürftigen tätig werden und die zum Schutz des Betroffenen erforderliche Unterbringungsmaßnahme nicht erfolgen. Die Leistungen des X als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen sind somit "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen" i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.

Verfahrenspfleger als soziale Einrichtung – personenbezogene Voraussetzung

Der Verfahrenspfleger ist auch als soziale Einrichtung anerkannt. Einer Anerkennung steht nicht entgegen, dass es sich bei X um eine natürliche Person mit Gewinnerzielungsabsicht handelt (EuGH "Kingscrest Associates und Montecello", EU:C:2005:322, BFH/NV 2005, Beilage 4 S. 310, Rz 35 und 40). Die Anerkennung als soziale Einrichtung ergibt sich aus dem Bestehen spezifischer Vorschriften für Verfahrenspfleger (§§ 276, 317 FamFG), deren Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie aus der Anerkennung anderer Steuerpflichtiger mit gleichen Tätigkeiten ("Neutralitätsprinzip"). An der Tätigkeit eines Verfahrensbeistands in Betreuungs- und Unterbringungssachen besteht ein besonderes Gemeinwohlinteresse. Denn in diesen Verfahren geht es fast ausschließlich um intensive Grundrechtseingriffe gegenüber Hilfsbedürftigen, sei es, weil eine Betreuerbestellung erfolgt, eine weitergehende Betreuungsmaßnahme beschlossen wird oder weil eine Maßnahme unterlassen und der Rechtsanspruch auf rechtliche Betreuung nicht erfüllt wird.

Zurückverweisung an das FG

Der BFH anerkennt sowohl die leistungsbezogene als auch die personenbezogene Voraussetzung der unionsrechtlichen Steuerbefreiung. Das Urteil erging damit in der Sache zugunsten des X. Wegen fehlender Feststellungen wurde der Fall an das FG zurückverwiesen. Die getätigten Umsätze des X als Verfahrenspfleger sind steuerfrei zu stellen. Der Vorsteuerabzug ist entsprechend zu kürzen.

Hinweis: Konkretisierung "Sozialfürsorge und soziale Sicherheit"

Der BFH weist darauf hin, dass die Begriffe "Sozialfürsorge" und "soziale Sicherheit" in Art. 132 Abs. 1 Buchst. MwStSystRL weder in der MwStSystRL noch vom EuGH definiert werden. Der BFH leitet jedoch aus der bisherigen EuGH-Rechtsprechung ab, dass die Steuerbefreiung stets Leistungen an hilfsbedürftige Personen betrifft, und zwar an körperlich oder wirtschaftlich Hilfsbedürftige (EuGH "Kügler" v. 10.9.2002, C-141/00, EU:C:2002:473), an Kinder (EuGH "Kinderopvang Enschede" v. 9.2.2006, C-415/04, EU:C:2006:95) oder an Senioren in einer Einrichtung für betreutes Wohnen (EuGH "Les Jardins de Jouvence" v. 21.1.2016, C-335/14, EU:C:2016:36). Eine abschließende Konkretisierung ist mit dieser Aufzählung jedoch nicht verbunden. Darüber hinaus müssen die erbrachten Dienstleistungen jedenfalls für die unter die Sozialfürsorge und die soziale Sicherheit fallenden Umsätze unerlässlich sein.  

BFH Urteil vom 25.11.2021 - V R 34/19 (veröffentlicht am 24.03.2022)

Alle am 24.03.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen.

Schlagworte zum Thema:  Betreuungsrecht, Umsatzsteuer