4.1 Der Grundsatz des § 3 Abs. 6 UStG

 

Rz. 8

Wird der Gegenstand der Lieferung an einen bereits feststehenden Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung gem. § 3 Abs. 6 S. 1 UStG als an dem Ort ausgeführt, an dem die Beförderung beginnt bzw. an dem der Gegenstand an den Spediteur, Frachtführer, Verfrachter oder sonstigen selbstständigen Beauftragten übergeben wird.

Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und wird der Liefergegenstand befördert oder versendet, gelten die Besonderheiten des § 3 Abs. 6a UStG, wonach es in einer Kette von Unternehmern, die denselben Gegenstand nacheinander liefern, immer nur eine Beförderungs- oder Versendungslieferung geben kann.[1]

 

Rz. 9

§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG regelt in Übereinstimmung mit Art. 32 MwStSystRL sowohl den Ort als auch den Zeitpunkt der Beförderungs- oder Versendungslieferung.[2] Der BFH widerspricht damit der Auffassung des Gesetzgebers, wonach der Zeitpunkt der Lieferung unter Berücksichtigung der zivilrechtlichen Besonderheiten des einzelnen Falles zu ermitteln ist (Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Jahressteuergesetzes (JStG) 1997, BT-Drs. 13/5359; BR-Drs. 390/96, vgl. Rz. 49ff.). Der BFH konkretisierte allerdings im Urteil v. 25.5.2015[3] diese Auffassung, in dem er darauf hinwies, es handele sich trotzdem um verschiedene Tatbestandsmerkmale, die getrennt zu prüfen seien; sonst bedürfte es auch einer Fiktion nicht. Insbesondere im Zeitpunkt des Verkaufs auf Probe sei die Beförderung nicht mehr der Lieferung zuzurechnen, sodass insoweit eine unbewegte Lieferung am Tag der Einigung (§ 929 S. 2 BGB) stattfindet (Rz. 25).

 

Rz. 9a

Für die Bestimmung des Lieferorts nach § 3 Abs. 6 UStG muss der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststehen. Unter dieser Bedingung kann eine Versendungslieferung auch dann vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird (s. Rz. 33).[4]

4.2 Beförderung oder Versendung durch den Abnehmer (Abholfälle)

 

Rz. 10

§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG gilt nach dem Wortlaut für Fälle, in denen "der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet" wird. Die Vorschrift betrifft auch die sog. Abholfälle, bei denen der Abnehmer den Liefergegenstand beim Lieferer abholt. Da es sich auch bei Abholfällen darum handelt, dass "der Gegenstand der Lieferung durch den … Abnehmer oder einen … vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet" wird, sind derartige Sachverhalte als Beförderungs- oder Versendungsfälle zu beurteilen, deren Ort mit dem Beginn der Beförderung/Versendung bestimmt wird.

§ 3 Abs. 6 S. 1 UStG gilt somit für die Fälle, in denen

  • der Abnehmer,
  • ein von ihm beauftragter Dritter (Angestellter, selbstständiger Spediteur),
  • eine Betriebsstätte oder
  • eine Organgesellschaft
  • den Gegenstand beim Lieferer abholt (vgl. auch Rz. 48f.).

4.3 Verbringen von Waren ins Inland

 

Rz. 11

Der Lieferort ist nur dann nach § 3 Abs. 6 S. 1 UStG zu bestimmen, wenn der Abnehmer bereits zu Beginn der Beförderung feststeht (Abnehmer i. S . dieser Vorschrift ist der zweite am Leistungsaustausch "Lieferung" Beteiligte, i. d. R. der Käufer). Wird z. B. ein Gegenstand in einen anderen Staat verbracht, ohne dass ein Verkauf beabsichtigt ist bzw. ohne dass ein Käufer feststeht, ergibt sich im Zeitpunkt des Verbringens keine Notwendigkeit, einen Lieferort zu bestimmen.

 
Praxis-Beispiel

Ein Hersteller in Amsterdam kommt mit einer Ladung Waren am 19.12.01 mit eigenem Lkw in das Inland, um sich hier (z. B. auf Großmärkten) Händler als Abnehmer zu suchen.

Im Fall des Verkaufs der Waren kann der Lieferort nicht an den Ort des Beginns der Beförderung zurückverlegt werden, denn im Zeitpunkt des Beförderungsbeginns gab es noch keinen Abnehmer. Es liegt zunächst ein Fall des sog. Verbringens vor. Der Lieferort bestimmt sich im Fall des an das Verbringen ins Inland anschließenden Verkaufs nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG und liegt im Inland. Da Liefergegenstände von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen gelangen, ist der Hersteller unter den Voraussetzungen der §§ 1a, 3 Abs. 1a UStG erwerbsteuerpflichtig. In der Regel liegt im Herkunftsland eine fiktive steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vor und im Bestimmungsland ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb.

 

Rz. 12

Die Fiktion des § 3 Abs. 6 S. 1 UStG verlangt, dass der Gegenstand der Lieferung "an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten" befördert wird. Verbringt ein Unternehmer aus Köln Waren nach Holland, um sie auf dortigen Märkten zu verkaufen, so handelt es sich im Inland nicht um steuerbare Lieferungen (keine Lieferung "an den Abnehmer …"), sondern um nach holländischem Umsatzsteuerrecht steuerbare Umsätze – Erwerb und Lieferung (Rz. 32).

 
Praxis-Beispiel

Der Fahrer einer inländ...

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