Rz. 45

§ 102 S. 2 FGO gestattet es dem FA nur, bereits an- oder dargestellte Ermessensentscheidungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen. Das FA ist dagegen nicht befugt, Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen.[1] In der Begründung des Verwaltungsakts muss also zum Ausdruck gekommen sein, dass der Behörde die Möglichkeit der Auswahl zwischen unterschiedlichen Ergebnissen bewusst gewesen ist und sie eine Abwägung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten vorgenommen hat. Fehlt Derartiges in der Begründung, liegen keine ergänzungsfähigen Ermessenserwägungen vor. Bei Ermessensnichtgebrauch bis zur Einspruchsentscheidung ist der Verwaltungsakt aufzuheben.[2]

 

Rz. 46

Nachträglich eingetretene Tatsachen dürfen dabei nicht zugrunde gelegt werden. Ergänzt werden können die Erwägungen daher nur insoweit, als die von der Behörde nachträglich angegebenen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsakts bzw. der Einspruchsentscheidung vorlagen. Die erstmalige Darlegung von Erwägungen oder deren Austausch stellt keine Ergänzung dar und ist daher im Prozess unbeachtlich.

 

Rz. 47

Die nachträgliche Ergänzung der Ermessenserwägungen hat schriftlich bzw. zur Niederschrift des Gerichts zu erfolgen.[3] Erfolgt die Ergänzung nach Prozessbeginn, ist sie in Form eines Schriftsatzes oder elektronischen Dokuments[4] über das Gericht zu erklären.[5] Dem Kläger ist rechtliches Gehör zu gewähren. Die Ergänzung muss sich klar und eindeutig auf den streitbefangenen Verwaltungsakt beziehen. Eine hilfsweise Ergänzung unter hauptsächlicher Verteidigung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts in seiner bisherigen Gestalt ist nicht zulässig.[6]

 

Rz. 48

Die Ermessenserwägungen können nur bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzt werden. Einzige Tatsacheninstanz im finanzgerichtlichen Verfahren sind die Finanzgerichte.[7] Im Verfahren vor dem BFH ist daher eine erst dann erfolgende Ergänzung von Ermessenserwägungen bei der gerichtlichen Entscheidung nicht zu beachten.

 

Rz. 49

Die Tatsacheninstanz im finanzgerichtlichen Verfahren ist regelmäßig dann abgeschlossen, wenn das Urteil des FG verkündet oder zugestellt worden ist.[8] Danach kann die Entscheidung des Gerichts nicht mehr geändert werden. Wird die Ergänzung der Ermessenserwägungen seitens der Finanzbehörde erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung, aber vor Verkündung oder Zustellung des Urteils erklärt, muss das Gericht prüfen, ob es die mündliche Verhandlung wiedereröffnet.[9] Endet das finanzgerichtliche Verfahren nicht durch Urteil, sondern durch Klagerücknahme[10] oder übereinstimmende Erledigungserklärung, ist damit, nicht erst durch einen Einstellungs- oder Kostenbeschluss des Gerichts, die Tatsacheninstanz abgeschlossen. Bei einer Kostenentscheidung kann das Gericht daher nur bis zur Klagerücknahme oder übereinstimmenden Erledigungserklärung ergänzte Ermessenserwägungen berücksichtigen.

[2] Lange, DB 2001, 2681.
[3] Lange, in HHSp, AO/FGO, § 102 FGO Rz. 80.
[5] Abzulehnen Wiese/Leingang-Ludolph, DB 2001, 2470, die formlose Bekanntgabe, auch nur an den Kläger, ausreichen lassen.
[6] Lange, in HHSp, AO/FGO, § 102 FGO Rz. 78.

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