1 Überblick

 

Rz. 1

Die AO enthält eine Vielzahl steuerlicher Verfahrensregelungen, die sich zwar in ihren einzelnen Zielen unterscheiden, aber im Wesentlichen auf die verfahrensrechtliche Durchsetzung eines bestimmten, durch die Einzelsteuergesetze konkretisierten Steueranspruchs ausgerichtet sind. Die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung im vierten Teil der AO bilden den Kernbereich dieses Gesetzes. Sie enthalten die Bestimmungen über die jeweiligen Rechte und Pflichten der Finanzbehörde und der Stpfl. im Besteuerungsverfahren und regeln diejenigen Verfahren, die unmittelbar auf eine der Bestandskraft fähige Entscheidung über den Steueranspruch ausgerichtet sind. Diese allgemeinen Vorschriften über die Steuerfestsetzung sind im 1. Unterabschnitt des dritten Abschnitts des vierten Teils der AO[1] verortet. Anders als die Bezeichnung dieses Unterabschnitts es vermuten lässt, betreffen allerdings nur die §§ 155157 AO und §§ 164-168 AO die Steuerfestsetzung als solches, während sich die §§ 158-162 AO auf die Sachverhaltsermittlung beziehen und § 163 AO eine Billigkeitsregelung im Steuerfestsetzungsverfahren enthält. Ferner sind die Regelungen über die Festsetzungsverjährung[2], die Bestandskraft und ihre Durchbrechung[3] sowie zu Kosten[4] in diesem Unterabschnitt verortet. Die Systematik dieser Vorschriften ist nicht gelungen, da die Vermengung verschiedener Verfahrensstufen in einem Unterabschnitt dazu führt, dass strukturelle Zusammenhänge zwischen einzelnen Vorschriften übersehen werden können.[5]

[4] §§ 178–178a AO.
[5] Kritisch ebenso Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 155 AO Rz. 1; Schuster, in HHSp, AO/FGO, Vor § 155 AO Rz. 1, 3.

2 Das Steuerfestsetzungsverfahren

2.1 Systematik und Ablauf des Steuerfestsetzungsverfahrens

 

Rz. 2

Das Steuerfestsetzungsverfahren wird mit dem Ziel betrieben, eine endgültige und bindende Entscheidung über einen bestimmten Steueranspruch gegenüber einem bestimmten Stpfl. herbeizuführen.

 

Rz. 3

Der Entscheidung über einen Steueranspruch geht das Ermittlungsverfahren voraus, in dem die Stpfl. erfasst werden[1] und insbesondere durch die Abgabe von Steuererklärungen[2] und Steueranmeldungen[3] mitzuwirken haben. Die Intensität der Maßnahmen zur Sachaufklärung durch die Finanzbehörde[4] und zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen kann sehr unterschiedlich ausfallen und kann nach den Umständen des Einzelfalls von einer ggf. vollautomatischen Plausibilitätsprüfung der Steuererklärung[5] bis hin zu einer intensiven Außenprüfung[6] variieren.

 

Rz. 4

Die Steuerfestsetzung durch Bescheid[7] schließt das Steuerfestsetzungsverfahren grundsätzlich ab. Stellt die Finanzbehörde fest, dass kein Steueranspruch besteht, kommt der Erlass eines Freistellungsbescheids[8] in Betracht; liegen die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen zur Durchführung einer Steuerfestsetzung nicht vor, kann die Steuerfestsetzung abgelehnt werden.[9] Ist eine Steuer aufgrund gesetzlicher Verpflichtung anzumelden oder durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu entrichten, so ist eine Steuerfestsetzung nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer von der Steueranmeldung abweichenden Steuer führt.[10] Die Abgabe einer Steuererklärung oder Steueranmeldung ist aber keine Voraussetzung der Steuerfestsetzung; vielmehr kann die Finanzbehörde bei einer Verletzung der Mitwirkungspflichten durch pflichtwidrige Nichtabgabe einer Steuererklärung die Besteuerungsgrundlagen schätzen[11] und auf dieser Grundlage die Steuer festsetzen.

 

Rz. 5

Auch wenn der Steuerbescheid grundsätzlich auf eine endgültige Entscheidung über einen bestimmten Steueranspruch gerichtet ist, haben die Finanzbehörden die Möglichkeit, Steuerbescheide im Hinblick auf eine schnellere Realisierung des Steueranspruchs mit einer Nebenbestimmung zu versehen und die vollständige oder partielle Überprüfung des Steueranspruchs zu einem späteren Zeitpunkt abschließen. So hat die Finanzbehörde die Möglichkeit, Steuern unter dem Vorbehalt der Nachprüfung[12] festzusetzen, so lange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist und kann die Steuerfestsetzung insgesamt aufheben oder ändern, solange der Vorbehalt wirksam ist. Ferner kann die Finanzbehörde Steuern vorläufig festsetzen bzw. die Festsetzung aussetzen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind.[13]

 

Rz. 6

Daraus, dass Steuerbescheide mit Nebenbestimmungen versehen werden können, ergibt sich zwangsläufig auch, dass für einen Besteuerungszeitraum oder -zeitpunkt mehrere Steuerbescheide ergehen können. Diese können sich in ihren Zielen und in ihrer Wirkung unterscheiden. So kann bei zeitraumbezogenen (periodischen) Steuern im Hinblick auf eine voraussichtlich entstehende Steuerschuld ein Vorauszahlungsbescheid[14] erlassen werden, der sich später durch einen Steuerbescheid, in dem die Jahressteuerschuld festgesetzt wird, erledigt.[15] Noch bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung[16] kann ein Steuerbescheid durch einen weiteren Steuerbescheid berichtigt[17], geändert oder aufgehoben werde...

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